Wer im hektischen 250-Prozent-Alltag in der Vor-Ort-Apotheke heute noch überleben will, der braucht eine Strategie – aber nicht irgendeine. Exhale statt Exit ist hier die Devise – und Resilienz das Zauberwort.
„Herzlich willkommen zu deiner Morgenmeditation. Setz dich bequem hin. Lass die Schultern sinken. Atme tief ein. Spüre, wie die Hektik des Morgens langsam aus deinem Körper entweicht...“
Es hämmert energisch an der Bürotür von Apothekeninhaber Heribert Falkenrath. „Chef! Die Scanner hängen sich auf, der Kunde will eine Rückerstattung. Ach, und irgendwas stimmt mit diesem Hochpreiser nicht, und der Großhandel hat heute Nacht auch nicht geliefert!“ Ein Earpod plumpst dem Inhaber vor Schreck aus dem Ohr und landet direkt in der noch halbvollen Kaffeetasse.
Doch Falkenrath bleibt ruhig. Er atmet schnell durch die Nase ein ... und in der dreifachen Zeit durch den Mund wieder aus. „Resilienz für Anfänger“ ist der Titel des Podcasts, der durch den einen Kopfhörer in sein Gehirn wabert und durch den anderen lustig in seine erkaltete Kaffeetasse blubbert. „Öffne langsam wieder deine Augen und nimm die Umgebung um dich herum wahr.“ Der Apotheker fischt seinen Kopfhörer aus dem Kaffee und stopft beide ins Ladecase. Er muss jetzt raus in diese trubelige Welt – aber er ist gewappnet.
Seit dem letzten Notdienst vor ein paar Tagen sieht Falkenrath das Leben anders. Nachdem er tief in der Nacht für Damenbinden, Birkenzucker und die Tagespflege, die seine Stammkundin Valentina Müller unbedingt am nächsten Morgen brauchte, aus dem Bett geklingelt wurde, wusste er, dass er etwas in seinem Leben ändern muss. Nach drei Jahrzehnten Apothekenführung und einem Leben von spitz auf Knopf konnte er einfach nicht mehr. Seine neue Devise: Loslassen!
Statt sich selbst Gehalt auszuzahlen, lebt Falkenrath jetzt von der Rente – und hat für sein eigenes, knappes Gehalt einen zusätzlichen Apotheker eingestellt, der ihm unter die Arme greift. „Atme aus“, denkt der Inhaber bei sich. „Lass das Gehalt los. Es war ohnehin nur noch symbolisch.“ Statt des schnöden Mammons bekommt der Inhaber jetzt Klarheit aufs Karmakonto. Eine neue Perspektive. Früher war er Betriebsleiter, heute ist er spiritueller Verwalter eines Systems kurz vor dem energetischen Kollaps. „Ich bin nicht mein Rohertrag“, wiederholt er innerlich. „Ich bin mehr.“
Früher begann er seinen Tag mit Kassenabschluss und Kontrollbögen. Heute beginnt er ihn mit einer geführten Tiefenmeditation. Er faltet die Hände – zum Loslassen. Erwartungen. Umsatzprognosen. Existenzängste. Der Apothekenalltag prallt an ihm ab wie Rabattverträge an einem Seelenpanzer. Und mit diesem Panzer stellt er sich den Fragen seiner Mitarbeitenden: „Ein kaputter Scanner? Dafür gibt es eine Hotline. Rückerstattung? Können wir uns nicht leisten. Hochpreiser? Können wir uns erst recht nicht leisten. Der Großhandel hat nicht geliefert? Das können die sich nicht leisten.“
Während der Inhaber spricht, wiederholt er innerlich sein Mantra: „Probleme sind dornige Chancen“ – und wendet muskelrelaxierende Spannungsübungen an, um nicht an die Decke zu gehen. „Die Probleme haben gar nichts mit mir zu tun“, redet er sich stoisch ein, wenn doch einmal sein Augenlid nervös zittert. „Die Probleme liegen bei den anderen, die haben das Problem, ich habe kein Problem.“ Belastungsgrenze: Unterschritten!
Genau so hat Falkenrath zwischen HV, Backoffice, Büro und Rezeptur seine innere Mitte gefunden. Dort, wo keine Bürokratie mehr hinreicht, kein Retax, kein Prüfmodul. Nur Stille. „Leere auf dem Konto heißt: Weite in meinem Geist.“ Früher war er als Apotheker ein Halbgott in Weiß. Heute ist er ein Zen-Mönch im Kittel. „Ich geh‘ jetzt zum Yoga“, sagt Falkenrath ruhig und mehr zu sich selbst als zum Team. „Bitte, was, Chef?“ fragt seine PKA irritiert. „Ich mache Pause“, korrigiert sich Falkenrath, schnappt sich seine Umhängetasche und ein paar Räucherstäbchen und verschwindet.
Ein paar herabschauende Hunde, Krieger-, Kobra- und Baumhaltungen später bemerkt sein Team gar nicht, dass der Chef – seltsam beseelt – bereits im HV steht. „Ich habe das online bestellt, dann wird das doch wohl hier bei Ihnen ankommen, Apotheken gehören doch alle zusammen“, herrscht ihn eine entrüstete Kundin mit geöffneter Versender-App an. Doch Falkenrath bleibt ruhig. Er atmet ein ... und er atmet wieder aus. „Sie müssen loslassen“, rät er der Dame.
Jemanden, der tatsächlich auf sein Gehalt verzichtet, gab es dieser Tage aber wirklich: Um seine Angestellten über Tarif zu bezahlen, verzichtet Inhaber Bertram Spiegler auf sein eigenes Gehalt – und sucht nach nach 30 Jahren Inhabertum für seine Apotheke einen Interessenten.
Vielleicht nicht loslassen, aber Abschreiben musste in dieser Woche das Versorgungswerk der Apothekerkammer Schleswig-Holstein, und zwar einen hohen Millionenbetrag. Kammerpräsident Dr. Kai Christiansen bleibt dennoch überzeugt, dass kein Anderer es hätte besser machen können. Immerhin: Man informiert die Mitglieder frühzeitig – anders als im Vorjahr.
Knallharte Konsequenzen zog in dieser Woche auch eine Gruppe von zehn Apotheker:innen aus dem Taunus. Nachdem ihre Lokalzeitungen einen Beileger von Shop Apotheke veröffentlicht hatten, stornierten alle ihre Anzeigen beim Verlag, da sie mehr Wert auf lokale Zusammenarbeit legen. Ein klares Zeichen gegen Shop Apotheke setzte auch Inhaber Karl-Bernd Frerker: Mit einer Plakataktion im „Wer-wird-Millionär“-Stil in seinen Schaufenstern zeigt er, dass die Einlösung von E-Rezepten auch vor Ort schnell und komfortabel möglich ist.
Gejammert wird in Apotheken sowieso nicht; auch nicht bei Stefan Reichensperger in Halle. Im Hinblick auf seinen 24-Stunden-Dienst im Alleingang ist er der Überzeugung, dass jedes Problem relevant ist – und Apotheker:innen insbesondere im Notdienst zeigen können, wie fachkompetent sie sind.
In diesem Sinne: Ein schönes Wochenende!
APOTHEKE ADHOC Debatte