Klage gegen Schiedsspruch

27.000 Euro: Kassen retaxieren vorsorglich

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Berlin -

100 Euro pro Sterilrezeptur, diesen Arbeitspreis können Apotheken seit einem Jahr abrechnen. Eigentlich. Denn die Krankenkassen erkennen den Schiedsspruch nicht an, der GKV-Spitzenverband geht gerichtlich dagegen vor. Weil es bis zu einem Urteil noch dauern könnte und Abrechnungskorrekturen dann womöglich nicht mehr möglich sind, wollen die AOKen die Apotheken jetzt unter Androhung von Klage zum Verzicht auf Verjährungsfristen zwingen. Andere Kassen retaxieren sogar schon vorsorglich. Zu verlieren haben sie ja nichts.

Vor einem Jahr hatte die Schiedsstelle einen Zuschlag in Höhe von 100 Euro für die Herstellung parenteraler Zubereitungen beschlossen. Dieser gilt seit 17. Oktober 2022 für Zytostatika, monoklonale Antikörper und Calcium- und Natriumfolinatlösungen. Der Versuch, im einstweiligen Rechtschutzverfahren eine aufschiebende Wirkung zu erreichen, blieb ohne Erfolg.

Dennoch wurden Apotheken mit Sterillabor im September von verschiedenen AOKen angeschrieben und zu einem Vergleich aufgefordert. So erklärte etwa die AOK Baden-Württemberg, dass nicht auszuschließen sei, dass im Hauptsacheverfahren ein anderer Zuschlag festgesetzt werde. Daher bestehe derzeit Rechtsunsicherheit, auch bezüglich der geltenden Beanstandungsfristen.

„Unklare Rechtslage“

Aufgrund der „unklaren Rechtslage“ schlug die Kasse eine Vereinbarung vor: Man werde vorläufig auf Retaxationen bezüglich der „strittigen Arbeitspreishöhe“ verzichten, wenn sich die Apotheke im Gegenzug mit der Aussetzung der vertraglichen Retaxfristen einverstanden erkläre. Konkret sollte laut beigefügter Erklärung auf die Erhebung der Einreden der Verjährung und der Verwirkung verzichtet werden.

Und dann folgte noch eine offene Drohung: „Bitte haben Sie Verständnis dafur, dass wir, wenn Sie unser Angebot nicht bis zum oben genannten Datum annehmen, zur Sicherung unserer Ansprüche rein vorsorglich die betroffenen Abrechnungen ab 17. Oktober 2022 fristwahrend dem Grunde nach beanstanden werden.“

Retax unter Vorbehalt

Für diesen Weg hat sich die Rezeptprüfstelle Duderstadt (RPD) entschieden und im Auftrag verschiedener IKKen und BKKen bereits Retaxationen ausgesprochen: „Die Beanstandungen beziehen sich auf die Herstellungszuschläge fur parenterale Zubereitungen mit Zytostatika, monoklonalen Antikörpern und Folinaten, welche von der Schiedsstelle nach § 129 Absatz 8 SGB V mit Wirkung zum 17. Oktober 2022 auf 100,00 Euro je applikationsfertiger Einheit festgesetzt wurden“, heißt es zur Erklärung.

Auch hier vertritt man die Auffassung, dass wegen der Klage des GKV-Spitzenverbands die Herstellungszuschläge rechtlich „nicht abschließend geregelt“ sind. Daher kürzt die Retaxfirma bei allen Abrechnungen seit vergangenem Herbst die Differenz zum alten Abrechnungsbetrag von 71 beziehungsweise 81 Euro. Bis einschließlich Juli sind somit erhebliche Beträge aufgelaufen, in einem Fall sind es 27.000 Euro.

Immerhin will die Prüfstelle den Betrag noch nicht abziehen: „Die entsprechenden Verordnungen, auf denen der Arbeitspreis beanstandet wurde, werden seitens der RPD nicht zur Absetzung weitergeleitet, bis ein entsprechendes rechtskräftiges Urteil vorliegt. Sobald dieses der Fall ist, wird der dort festgesetzte Herstellungszuschlag zur Ermittlung des Absetzungsbetrags herangezogen und dieser entsprechend korrigiert.“

Allerdings werden die Apotheken aufgefordert, nicht gegen die Bescheide vorzugehen: „Wir bitten Sie daher von Einsprüchen abzusehen“, heißt es in dem Schreiben. Dass die Apotheken damit Gefahr laufen, die dafür vorgesehenen Fristen zu verpassen, wird nicht erwähnt.

AOK Hessen droht mit Klage

Die AOK Hessen hat sich für einen anderen Weg entschieden. Die Kasse hatte im September ein ähnliches „Angebot“ wie die AOK Baden-Württemberg verschickt – und jetzt „nochmal und letztmalig“ an die Abgabe der Erklärung erinnert. Dabei wird ein noch schärferer Ton angeschlagen: „Falls Sie dieser erneut nicht nachkommen, sehen wir uns gezwungen, für die betroffenen Jahre Klage gegen Sie zu erheben.“ Dies wolle man „weiterhin grundsätzlich vermeiden“, weshalb man die Frist zur Rückmeldung bis zum 17. November verlängere. „Nach erneutem, fruchtlosem Verstreichen vorstehender Frist werden wir ohne vorherige Ankündigung Klage einreichen.“

„Forderung ist haltlos“

Beim Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) ärgert man sich über die neuerliche Dreistigkeit der Kassen: „Wir können nicht erkennen, aus welchem rechtlichen Gesichtspunkt die betreffenden AOK-Landesverbände gegen die Apotheken klagen wollten, wenn diese die angeforderten Erklärungen nicht abgeben. Unseres Erachtens haben die Krankenkassen aktuell keine Rechtsposition, die sie zu einer Rückforderung der Herstellungszuschläge berechtigen würden“, so Geschäftsführerin Christiane Müller. Die Drohungen seien daher haltlos.

Das Sozialgesetzbuch (SGB V) sehe ganz klar vor, dass der geschiedste Herstellungszuschlag unabhängig von einer Klage des GKV-Spitzenverbandes gelte. „Die Klage des GKV-Spitzenverbandes gegen die Anhebung auf 100 Euro hat also keine aufschiebende Wirkung.“ Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg habe einem entsprechenden Antrag des GKV-Spitzenverbandes eine deutliche Absage erteilt. „Das ist aus unserer Sicht rechtlich überzeugend und in der Sache richtig.“

Zuschlag müsste höher sein

„Wir sind im Übrigen der Auffassung, dass der Schiedsspruch auch der gerichtlichen Überprüfung im Hauptsacheverfahren standhalten wird, da die geschiedste Erhöhung der Herstellungszuschläge als untere Grenze des Notwendigen zu werten ist“, so Müller weiter. Der VZA hatte 2022 eine Erhöhung auf knapp 147 Euro gefordert. „Inflationsbedingt müsste dieser Betrag mittlerweile erneut erhöht werden, um die Herstellungs- und Versorgungsleistungen auch in 2023 sachgerecht abbilden zu können.“

Nicht die erste Klagewelle

Sollten die Kassen ernst machen, könnten sie sich eine blutige Nase holen. Die AOK Hessen hat diese Erfahrung bereits gemacht: Vor vier Jahren hatte die Kasse hunderte Apotheken verklagt, um die Verjährung vermeintlicher Ansprüche im Zusammenhang mit dem Herstellerrabatt zu unterbrechen. An den Ansprüchen bestanden von vornherein erhebliche Zweifel; am Ende wiesen die Gerichte die Klagen ab. Am Ende hatte die Kasse einen hohen Betrag an Versichertengeldern verbrannt.

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