Apothekenwahlfreiheit

Ringen um die Retax-Hoheit

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Berlin -

Der Streit um die Gültigkeit der exklusiven Zytoverträge verunsichert die Apotheker zunehmend: Wie sollen sie mit der unklaren Rechtslage umgehen? Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) ist die freie Apothekenwahl ab sofort wieder hergestellt. Barmer, TK und KKH halten dagegen an ihren Exklusivverträgen fest und drohen mit Retaxationen. Das BMG würdige das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) „nicht vollständig“, wirft die Arbeitsgemeinschaft parenterale Zubereitungen (Arge Parezu) Staatssekretär Lutz Stroppe vor. Das BMG bekräftigt seine Position.

Stroppe hatte in einem Brief die Krankenkassen unmissverständlich vor Retaxationen in der Zytoversorgung gewarnt. Ab sofort gelte für Patienten wieder die Apothekenwahlfreiheit, teilte Stroppe gegenüber dem stellvertretenden Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Johann-Magnus von Stackelberg, mit. Es war nicht der erste Brief, den das BMG mit entsprechender Botschaft an die Kassen schrieb.

Dem widersprechen Barmer, TK und KKH vehement. Die in der Arge Parezu zusammengeschlossenen Kassen vertreten die Auffassung, dass ihre Zyto-Verträge bis zum 31. August exklusiv sind. Basis dafür sei die „weiterhin gültige Rechtsprechung“ des BSG vom November 2015, mit der Nullretaxationen gegenüber Apotheken ohne Liefervertrag für zulässig erklärt wurden.

„Die Einschätzung des Bundesgesundheitsministeriums würdigt dieses BSG-Urteil nicht vollständig“ so die Agre Parezu auf Nachfrage von APOTHEKE ADHOC. Die vom Gericht berücksichtigten Rechtsgrundlagen zur Wahl des wirtschaftlichsten Bezugsweges seien durch das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) unverändert geblieben. „Die durch das AMVSG eingeräumte Übergangsfrist von drei Monaten zur Weitergeltung der geschlossenen Lieferverträge wäre ohne den exklusiven Charakter unnötig und würde sich zudem zu Lasten der Vertragsapotheken auswirken, welche ausschließlich die vertraglich vereinbarten Preise abrechnen können“, so die Erklärung. Generell seien sämtliche Vertragsärzte verpflichtet, den jeweils wirtschaftlichsten Bezugsweg zu wählen.

Das BMG gibt zu Protokoll, die Rechtsauffassung des Hauses sei mit dem Brief abschließend dargelegt: „Die Apotheker können sich auf die im Schreiben dargelegte Rechtsposition berufen“, erklärte das BMG gegenüber APOTHEKE ADHOC.

Genau eine Woche nach dem Stroppe-Brief verschickten die Kassen ihre Warnungen an die Apotheker. Wer ohne Vertrag liefert, wird retaxiert, so die Drohung. Das am 2. Juni datierte Schreiben trägt den Betreff: „Exklusivität der Verträge der Arge Parezu bis zum 31. 8. 2017.“ Darin teilen die Krankenkassen unmissverständlich ihre Rechtsauffassung mit: Es gelte weiterhin die höchstrichterliche Rechtssprechung des BSG, das „einen fehlenden Vergütungsanspruch des Apothekers für Zytostatika-Zubereitungen bei exklusiven Lieferverträgen der Krankenkassen mit Apotheken festgestellt hat.“

Das BSG habe bei seiner Entscheidung den Aspekt der Apothekenwahlfreiheit gewürdigt. „Damit besteht für die geschlossenen Verträge der Arge Parezu bis zum 31. 8. 2017 weiterhin Exklusivität“, ist dort fett gedruckt zu lesen. Nicht lieferberechtigte Apotheken erwerben laut Arge Parezu „keinen Vergütungsanspruch“ bei der Herstellung der Sterilrezepturen.

„Es besteht daher ein erhöhtes Retaxierungsrisiko für nicht lieferberechtigte Apotheken“, heißt es in dem Schreiben. Apotheken sollten sich vor Belieferung eines Zyto-Rezeptes „tagesaktuell“ auf dem Portal arge-parezu.de informieren, um Unstimmigkeiten in der Abrechnung zu vermeiden. Ausschlaggebend für die Lieferberechtigung sei die Postleitzahl der verordnenden Arztpraxis.

Stroppe hatte gegenüber dem GKV-Spitzenverband in einem Schreiben klargestellt, dass ab sofort bei der Versorgung von Krebspatienten wieder die freie Apothekenwahl gelte. Retaxationen seien nicht zulässig. Er teile hiermit „die geltende Rechtslage mit der Bitte um Beachtung mit“, schrieb Stroppe an von Stackelberg. Die Exlusivverträge seien mit dem AMVSG „gestrichen“.

„Die Exklusivität noch bestehender Verträge ist unmittelbar mit Inkrafttreten des AMVSG entfallen“, so Stroppe. „Die Versicherten sind ab diesem Zeitpunkt nicht mehr verpflichtet, die verordneten Zytostatika ausschließlich über die exklusive Vertragsapotheke der Krankenkassen zu beziehen.“ Vielmehr könnten auch andere Apotheken die Versorgung sicherstellen. „Vor diesem Hintergrund lässt das AMVSG im Rahmen der dreimonatigen Übergangsfrist auch keinen Raum für die Retaxation von Abrechnungen von Apotheken, die keinen Zuschlag im Ausschreibungsverfahren erhalten haben, da die bestehenden Verträge keine Exklusivität mehr haben“, schreibt Stroppe.

Auch die Entstehung des AMVSG lasse keinen anderen Schluss zu. Es sei Ziel, die wohnortnahe Versorgung mit Zytostatika durch die Abschaffung der Exklusivität zu stärken. Das Ende der Exklusivität laufender Verträge entspreche daher „Sinn und Zweck“ der gesetzlichen Regelung. Die Möglichkeit in der Versorgung von Krebspatienten, ihre Apotheke frei wählen zu könnten, solle „nicht beschränkt“ werden. „Die beschlossene Übergangsfrist von drei Monaten für Altverträge dient daher gerade nicht dem Fortbestand der Exklusivität, sondern dem Vertrauensschutz für eine geordnete Abwicklung der noch bestehenden Verträge“, so Stroppe weiter. Für eine andere Rechtsauslegung gibt es aus Sicht des BMG keine Begründung. Der Grundsatz der Apothekenwahlfreiheit bleibe „vorrangig“.

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