EuGH-Verfahren

Rx-Boni: Angriff, ducken oder ziviler Ungehorsam

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Berlin -

Die Zukunft der Apotheker wird morgen in Luxemburg entschieden. Das klingt dramatisch, trifft aber in jeder Hinsicht zu: Entweder werden Rx-Boni für ausländische Versandapotheken frei – dann kommt es darauf an, wie die deutschen Apotheker reagieren. Oder die Preisbindung hält, dann ist der letzte große juristische Angriff auf das System abgewehrt.

Sollte der Europäische Gerichtshof (EuGH) DocMorris & Co. tatsächlich einen Freibrief ausstellen, werde er ebenfalls Rx-Boni gewähren, verrät ein Apotheker. Einen Euro pro Arzneimittel, also bis zu drei Euro pro Rezept, kann er sich vorstellen. Wenn wirtschaftlich möglich, würde er auch das Bonusmodell von DocMorris kopieren. Damit steht er nicht allein: Laut einer Umfrage von APOSCOPE, dem Apothekenpanel von APOTHEKE ADHOC, würde jeder Vierte in irgendeiner Form reagieren.

Zulässig wäre das nicht, weil die Preisbindung für deutsche Apotheken in jedem Fall zunächst fortbesteht. Demnach könnten die Aufsichtsbehörden gegen Apotheken vorgehen, die Boni gewähren. Die ABDA hat das explizit gefordert. Ob etwaige Strafen allerdings einer gerichtlichen Überprüfung standhalten würden, kann keiner sagen. Letztlich müsste wohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) darüber entscheiden, ob die Apotheker gegenüber ausländischen Anbietern diskriminiert werden.

Oder der Gesetzgeber wird aktiv und hebt die Preisbindung insgesamt auf. Dann wären Boni für alle erlaubt. Da Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) beim Deutschen Apothekertag (DAT) aber angekündigt hat, man werde die Sache nach dem Urteil sorgfältig prüfen, ist wohl nicht mit einer schnellen Lösung zu rechnen. Eines scheint festzustehen: Ein komplettes Rx-Versandverbot wird es als Abwehrmittel nicht geben. Das ist in Berlin vor allem mit der SPD nicht zu machen, aber auch in der Union überwiegen dem Vernehmen nach die Vorbehalte.

Damit müssten zunächst die Apotheker selbst entscheiden, wie sie sich im Falle eines für sie negativen EuGH-Urteils verhalten. Dabei sind auch ihre Kooperationen gefragt. Der Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) hat das Thema unlängst bei einem Treffen am Rande des DAT erneut besprochen. Der Verband würde GDP-Kontrollen für den Versandhandel fordern. Mit einer lückenlosen Temperaturführung, so der Gedanke, könnte man den Versendern den Spaß am Geschäft nehmen.

Bei ihrer Jahrestagung auf Mallorca haben sich die Guten-Tag-Apotheker dagegen nicht auf ein gemeinsames Vorgehen geeinigt. Die Kooperation Elac Elysée ist auch nicht bekannt dafür, ihren Mitgliedern starre Vorschriften zu machen. In Sachen Rx-Boni erhalten Mitglieder keine Empfehlung aus der Systemzentrale – aber eine Freiburger Telefonnummer. Wer sich interessiert, möge bitte Dr. Morton Douglas kontaktieren. Der Rechtsanwalt von der Kanzlei Friedrich Graf von Westphalen berät die Kooperation und viele einzelne Apotheker.

Was wird er ihnen empfehlen? Das kommt auf die Apotheke an. Natürlich wird Douglas seine Mandanten darauf hinweisen, dass ihnen Ärger mit der Aufsicht droht. Er wird aber auch zu bedenken geben, dass sie viel Umsatz verlieren können, wenn sie nicht reagieren. Als er einst öffentlich geäußert hatte, jede dritte Apotheke würde das nicht überleben, soll ihm ein ABDA-Funktionär gesagt haben, er rechne mit 50 Prozent.

Jede Apotheke müsse also für sich rechnen, ob sie die „schmerzhaften Schläge“ der Aufsichtsbehörden aushalten oder sich von Versendern den Umsatz wegnehmen lassen möchte, so Douglas. Sollte allerdings tatsächlich jede vierte Apotheke Rx-Boni anbieten, glaubt der Rechtsanwalt an die normative Kraft des Faktischen. Die Behörden würden dann schon aus personellen Gründen nicht gegen tausende Apotheker vorgehen können. Und wenn ein Gericht zu dem Schluss kommt, dass das einseitige Verbot einer rechtlichen Überprüfung vermutlich nicht standhält, hätte eine Klage gegen ein behördliches Verbot sogar wieder aufschiebende Wirkung.

Bleibt es hingegen ruhig im Markt, werde der Gesetzgeber vermutlich auch nicht reagieren, erwartet Douglas. Dann bliebe es bei der Ungleichbehandlung. Deshalb wünscht er sich zivilen Ungehorsam von den Apothekern. Damit stellt sich Douglas – der selbst aus einer Apothekerfamilie stammt – mehr oder weniger öffentlich gegen die ABDA und ihre Resolution.

Dabei ist Douglas selbst kein Fan von Rx-Boni. Er hat die Engel-Apotheke aus Darmstadt im Verfahren gegen die Europa Apotheek Venlo (EAV) vertreten. Der Gemeinsame Senat der obersten Bundesgerichte nahm ausländische Versandapotheken in die Pflicht – noch bevor der Gesetzgeber jene Klarstellung folgen ließ, die letztlich Gegenstand des aktuellen EuGH-Verfahrens wurde.

Nicht jeder in der Branche ist Fan von Dr. Morton Douglas. Für einen Juristen hat der hochgewachsene Rotschopf eine ungewohnt direkte Sprache und klare Ansagen. Aber niemand kann leugnen, dass Douglas Großes für die Apotheker geleistet hat. Für die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) hat er DocMorris immer wieder erfolgreich wegen verschiedener Bonus-Modelle verklagt. Zwar gestaltete sich das Eintreiben der Ordnungsgelder schwierig und Stammkunden erhalten womöglich immer noch Rabatte – beworben werden diese aber seit Längerem nicht.

Etwas entspannter nach Luxemburg schauen die deutschen Versandapotheken. Für sie würde allenfalls der frühere Status wieder hergestellt, als DocMorris Boni gewährte und sie nicht durften. Im Rx-Geschäft sind die meisten von ihnen sowieso schwach. Allerdings dürften DocMorris oder auch die EAV den Druck deutlich erhöhen, wenn die Boni vom EuGH legitimiert würden. Und Rezepte ziehen immer auch OTC-Geschäft mit. Dass DocMorris aktuell im Fernsehen wirbt, dürfte kein Zufall sein. Vielleicht gibt es zeitnah Spots zu Rx-Boni zu sehen. Vielleicht gibt es dann auch Chroniker-Verträgen mit Krankenkassen.

Spätestens dann müssten auch die deutschen Versender reagieren: Apotal wäre ein Kandidat dafür. Offiziell will man zunächst das Urteil abwarten. In der Vergangenheit hat die Versandapotheke aber bereits Boni gewährt. Aufgrund des traditionell großen Diabetes-Geschäfts ist der Rx-Anteil mit kolportierten 15 bis 20 Prozent deutlich über dem Wert der deutschen Versandkonkurrenz. Zum Vergleich: Bei DocMorris sollen es zwischen 70 und 80 Prozent des Umsatzes sein. Als Folge der Boni-Verfahren waren die Niederländer zuletzt aber auch im OTC-Geschäft preisaggressiver geworden, berichten Mitbewerber.

Und wie immer gibt es im Fahrwasser solcher Großereignisse auch Geschäftsmodelle: Horst Tiedtke, Chef der Kooperation Farma-Plus, bietet Ende November eine Veranstaltung an. Mit von der Partie ist Douglas. Die beiden wollen die Konsequenzen erläutern und Lösungsansätze zeigen. „Diese Veranstaltung findet nur statt, wenn das EuGH-Urteil zugunsten von DocMorris ausgeht“, heißt es in der Werbung. Dann gilt die Anmeldung als verbindlich und die Veranstaltungsgebühr von 195 wird fällig.

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