„Wir werden einander viel verzeihen müssen“ – das erklärte Jens Spahn (CDU) zu Beginn der Corona-Pandemie. Und natürlich: 2020 befanden wir uns in einer noch nie dagewesenen Situation: Ein neues, hoch ansteckendes Virus stellte die Welt auf den Kopf. Über seine Gefährlichkeit – geschweige denn über mögliche Langzeitfolgen – wusste man kaum etwas. Aber der geäußerte Verdacht auf Vetternwirtschaft und persönliche Bereicherung zielt nicht auf unglückliche Fehlentscheidungen oder überstürzte Fahrlässigkeit in einer drängenden Lage. Im Raum steht der Vorwurf des Machtmissbrauchs – und der ist niemals ein Versehen. Ein Kommentar von Lilith Teusch.
Seit der Bericht der Sonderbeauftragten Margaretha Sudhof (SPD) veröffentlicht wurde, betont Spahn unermüdlich, in was für einer Krise man sich damals befunden habe. Gerne greift er dabei zu martialischen Metaphern: Den Pandemiebeginn bezeichnete er etwa als einen „gesundheitlichen Kriegsfall“, Deutschland habe damals „keine Gewehre, keine Munition, keinen Schutz“ gehabt. So erklärte es Spahn nach seiner zweiten Anhörung im Haushaltsausschuss.
Und Stück für Stück zieht Spahn sich weiter zurück: Man sei schlicht unvorbereitet gewesen, habe den Überblick verloren, teilweise sei es chaotisch zugegangen, gab er am Wochenende, als neue Vorwürfe laut wurden, im Interview mit „Bild“ zu Protokoll. Spahn inszeniert sich als verantwortungsbewussten Minister, der in der Not eingesprungen ist und ja, auch Fehler gemacht hat. Aber dafür angegangen zu werden, noch dazu im AfD-Stil? Das findet er unfair. Warum er die Sache mit den Masken damals allerdings regelrecht an sich riss und sie nicht den zuständigen Stellen überließ, darauf liefert sein Rechtfertigungsmanöver keine Antwort.
Natürlich war die Pandemie ein Ausnahmezustand. Manche der damaligen – und auch späteren – Maßnahmen waren überzogen oder nicht zielführend. Doch unter dem Druck der Lage erscheinen viele dieser Entscheidungen als nachvollziehbar und verzeihlich. Aber: Wenn es um Spahn und die Maskendeals geht, sprechen wir nicht über verständliche Fehler in einer Krise. Wir sprechen auch nicht über Irrtümer, die im besten Wissen und Gewissen begangen wurden. Wir sprechen über einen Minister, der sich in dieser Zeit offenbar eine Villa leisten konnte – und bis heute keine Angaben zur Finanzierung macht. Wir sprechen über möglichen Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und Korruption – und das passiert nicht aus Versehen.
Laut Dr. Janosch Dahmen, dem gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen, übersteigt der durch Spahns Handeln verursachte Schaden das Maut-Fiasko von Andreas Scheuer (CSU) um das 40-Fache. Dabei, so räumt Spahn selbst ein, sei das Bundesgesundheitsministerium (BMG) zeitweise an seine Belastungsgrenzen gestoßen. Um die Situation zu bewältigen, habe man daher auf zusätzliche Unterstützung durch externe Berater und Dienstleister zurückgegriffen.
Insbesondere profitierte dabei das Schweizer Unternehmen Emix. Die Staatsanwaltschaft Zürich ermittelte bereits 2021 wegen Wucher gegen die Firma. Auch das BMG sowie das bayerische Gesundheitsministerium sind der Klage mittlerweile beigetreten. Andrea Tandler, Tochter des ehemaligen CSU-Politikers Gerold Tandler, soll für die Vermittlung der Emix-Geschäfte an deutsche Ministerien eine millionenschwere Provision erhalten haben. Laut Sudhof-Bericht war Spahn direkt in die Emix-Bestellungen eingebunden und schloss mehrere Teilverträge mit dem Unternehmen ab. Und zahlte für Masken deutlich mehr als bei anderen Lieferanten.
Doch die Tochter der CSU-Größe ist offenbar nicht die einzige Bekannte, die unter Spahns Verantwortung bevorzugt behandelt wurde: Ausgerechnet der Logistiker Fiege aus Spahns westfälischer Heimat erhielt den Zuschlag für die Maskenlagerung und konnte zwei Jahre lang dreistellige Millionengewinne einfahren.
Ob es Wahlkampfspenden von Fiege gegeben habe, wollten die Bild-Redakteure im Interview wissen. „Die Debatte gab es ja vor einem Jahr schon mal. Deswegen habe ich jetzt noch mal alle Rechenschaftsberichte der CDU Deutschlands durchschauen lassen: Da sind keine Spenden vermerkt, also kann ich die Frage auf der Basis mit Nein beantworten.“
Dass die Antwort so verrenkt daher kommt, könnte einen guten Grund haben: Der frühere Konzernchef Hugo Fiege gehörte während der Pandemie dem Präsidium des CDU-Wirtschaftsrats an. Felix Fiege, heute an der Konzerspitze, ist stellvertretender Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen.
In diesem Skandal geht es nicht nur um Milliarden an Steuergeldern, die unter Spahn verbrannt wurden. Vielmehr steht die Frage im Raum, ob sich der Minister in der Pandemie persönlich bereichert hat. Spahn selbst weist diesen Vorwurf entschieden zurück: „Das kann ich ausschließen“, erklärte er. Doch für Transparenz will er offenbar trotzdem nicht sorgen: Bis heute ist beispielsweise nicht geklärt, woher das Geld für seine private Villa in Berlin-Dahlem stammt.
Rückendeckung bekommt Spahn von seiner Partei: Anstatt Spahn für sein Handeln in die Pflicht zu nehmen, kritisierte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) nach ihrem Besuch im Haushaltsausschuss lieber die Methodik des Berichts; auch Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) persönlich greift lieber Sudhof an, als sich für die Untersuchung der Vorwürfe auszusprechen.
Kritisiert wurde Warken auch wegen der vielen Schwärzungen des Berichts. Bisher hatte die Ministerin hier stets auf laufende Verfahren und Datenschutzbedenken verwiesen. Die Opposition hatte bereits nach Warkens Besuch im Gesundheits- und Haushaltsausschuss Zweifel daran geäußert, dass alle Schwärzungen tatsächlich damit zu begründen seien. Nun sind die teilweise geschwärzten Passagen publik geworden: „Durch die offensichtlich politisch motivierten Schwärzungen im Masken-Bericht gerät nun auch CDU-Ministerin Nina Warken in den Glaubwürdigkeitsstrudel des Spahn-Skandals“, schreibt Dahmen auf X.
Auch der ehemalige Minister Karl Lauterbach (SPD) glänzt durch Abwesenheit – ausgerechnet derjenige, der Sudhof mit der Aufarbeitung beauftragt hat.
Statt sich der echten Aufarbeitung zu stellen, wollen SPD und CDU eine Enquete-Kommission ins Leben rufen. Deren Ziel: Lehren für die Zukunft aus der Pandemie ziehen. Doch eine Enquete hat keine rechtlichen Befugnisse – keine Zeugenvorladungen, keine Aussagen unter Eid, keine Akteneinsicht mit Zwang. Einen Untersuchungsausschuss, der tatsächlich aufklären könnte, lehnen CDU und SPD ab – und genau deshalb muss sich Spahn auch gar keine Sorgen machen.
Denn Grüne und Linke haben alleine keine Mehrheit für einen Untersuchungsausschuss. Sie müssten entweder eine Regierungspartei ins Boot holen – oder die AfD. Letzteres kommt für beide nicht infrage. Mit der AfD stimmen sie grundsätzlich nicht gemeinsam ab.
Dass die Regierungsparteien einknicken, ist unwahrscheinlich. Die Legislaturperiode steht erst am Anfang. Spahn wird den Skandal einfach aussitzen – und mit dem oft kurzen Gedächtnis der Wähler könnte das sogar funktionieren. Spahn ist jung. Und wenn nicht einmal Vorwürfe des Machtmissbrauchs sein Weiterkommen behindern, dann wird er es vermutlich noch weit bringen in dieser CDU.
Was die CDU derzeit tut, ist mehr als peinlich – und die SPD macht sich mitschuldig, wenn sie schweigt. Ihr wollt das Vertrauen der Bürger zurückgewinnen? Dann zeigt Rückgrat! Dann zieht endlich auch in den eigenen Reihen Konsequenzen.