„Fiebersaft ist wichtiger als ein Joint“

Austausch und Retaxverbot: „Die Bürokratie muss weg!“

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Berlin -

Während die Abda auf Bundesebene derzeit kaum Gehör findet, stoßen die Apothekerinnen und Apotheker in Bayern bei der Politik auf offene Ohren. Beim Pharmagipfel von Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) durfte Verbandschef Dr. Hans-Peter Hubmann die Ergebnisse vorstellen, die auch seine Handschrift und die von Kammerpräsident Thomas Benkert tragen. Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening wies in ihrer Gastrede auf die drängendsten Probleme hin.

Holetschek gehört zu den schärfsten Kritikern von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Dessen Cannabis-Pläne lehnt er ab, während er gleichzeitig die bisherigen Maßnahmen gegen Lieferengpässe als absolut unzureichend empfindet. „Noch hätte die Ampel die Chance umzukehren, aber sie darf nicht nur über Cannabis diskutieren. Ein Fiebersaft ist nun einmal wichtiger als ein Joint“, sagte er beim Bayerischen Pharmagipfel in Berlin.

Den Dialog mit Ärzten, Apothekern, Großhandel, den Herstellern – und ursprünglich auch den Kassen, die mittlerweile allerdings ausgestiegen sind – hatte Holetschek im Herbst ins Leben gerufen, um im Kampf gegen Lieferengpässe schneller voranzukommen. „Wir brauchen nicht nur Reaktionen, sondern eine Strategie!“

Statt eines beherzten Vorgehens gegen die Missstände habe es aber mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) ein Spargesetz gegeben – und zwar ohne mit den Betroffenen vorher zu sprechen. „Wir müssen schleunigst in die andere Richtung gehen! Die aktuellen Belastungen müssen dringend auslaufen oder aktiv abgeändert werden“, so Holetschek. Sonst verspiele man die Zukunft für eine Leitökonomie.

Freiheiten erlauben statt Löcher stopfen

Die aktuelle Hängepartie findet der bayerische Gesundheitsminister doppelt ärgerlich: „Wir hätten so viele Chancen, die Erkenntnisse aus der Pandemie zu nutzen, um die Probleme zu lösen und die Versorgung auf neue Füße zu stellen.“ Statt Löcher zu stopfen, müsse man aber zunächst die grundlegende Frage klären, wie viel Staat und Gesellschaft ein gutes Gesundheits- und Arzneimittelwesen wert sei.

Dabei gehe es auch darum, diejenigen im Gesundheitswesen zu stärken, die bereit sind, ihre Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen. „Wir müssen den an der Versorgung Beteiligten möglichst viele Freiheiten geben Wir müssen den Mut haben, hier mehr aufzumachen. Die Bürokratie als neue Geisel der Menschheit muss weg! Wir müssen es nur tun .“

Die Heilberuflerinnen und Heilberufler müssten ihr Ermessen ausüben können, es dürfe nicht länger nur um Schuld und Haftung gehen. „Wenn wir es jetzt nicht angehen, werden wir irgendwann nicht mehr weiterkommen in dieser Spirale .“

Holetschek versprach, zunächst die Gesundheits- und Wirtschaftsminister der Südländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg an einen Tisch zu holen. Dann werde man sich mit Änderungsanträgen im Gesetzgebungsverfahren einbringen: „Unser Ziel ist es, die Dinge vernünftig zurückführen.“

Dr. Hans-Peter Hubmann verbittet sich und den Apothekenteams gute Ratschläge zu Hausmitteln gegen Lieferengpässe.Foto: APOTHEKE ADHOC

Hubmann präsentierte die vier Themengebiete, auf die man sich beim Pharmagipfel verständigt habe:

Auf lange Sicht sollen bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, etwa indem bei Rabattverträgen mindestens drei Anbieter zum Zuge kommen sollen, einer davon mit Produktion in Europa. Die Festbeträge sollen nicht nur bei Kinderarzneimitteln, sondern bei allen versorgungskritischen Präparaten gelockert werden. „Es darf nicht sein, dass aufwändige Säfte nur mit Centbeträgen vergütet werden.“

Auch Nullretaxationen aus formalen Gründen sollen verboten werden, das sei „fast schon Zechprellerei“: „Man darf bei verantwortungsvollem Handeln nicht auch noch bestraft werden, das verunsichert die Kolleginnen und Kolleginnen, sodass sie sich im Zweifel gar nicht mehr trauen, im Sinne der Versorgung zu entscheiden.“

Über Vorratspflichten etwa auf Ebene des Großhandels wolle man sprechen, wobei dies nicht nur erhebliche Reserven binde, sondern unter Umständen auch ins Leere laufe: „Was nicht zu bekommen ist, kann man auch nicht bevorraten.“

Mehr Transparenz in der Lieferkette soll für ein Frühwarnsystem genutzt werden können. Eine echte Meldepflicht sei sinnvoll, aber nur wenn die Informationen dann auch an die Apotheken gegeben würden.

Wahnsinn für Apotheken und Arztpraxen

Da es Jahre dauern könne, bis diese drei Komplexe ihre Wirkung in vollem Umfang entfalten könnte, habe man sich außerdem auf pragmatische Maßnahmen verständigt: Dabei gehe es zuvorderst um mehr Handlungsfreiheit für die Apotheken. Bislang musste man nämlich jede Kundin und jeden Kunden bei Unklarheiten zum Arzt zurückschicken. „Welch ein Wahnsinn für die Praxis!“ Mitunter sei man dazu übergegangen, den eigenen Botendienst loszuschicken. Aber schon wenn man fünfmal am Tag in der Praxis anrufen müsse, und dann nur den Anrufbeantworter oder eine genervte Sprechstundenhilfe am Telefon habe, sei das alles andere als eine Freude.

Derzeit stelle man in großem Umfang Amoxicillin-Säfte her – auch dabei müsse man immer ein neues Rezept anfordern. „Wir machen Rezepturen nicht zum Spaß, da geht es um Menschen, oft Kinder, die in der Apotheke stehen und schnell versorgt werden müssen .“ Wenn er dann auch noch Ratschläge höre, dass man statt eines fehlenden Fiebersaftes genauso gut Wadenwickel nutzen könne, höre der Spaß endgültig auf.

Abda-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening verglich Lauterbach mit dem Elefanten im Porzellanladen.Foto: APOTHEKE ADHOC

Overwiening schilderte als Gastrednerin anhand mehrerer Beispiele aus ihrer Apotheke, wie ähnlich die Suche nach einem geeigneten Arzneimittel mittlerweile dem Finden der Nadel im Heuhaufen geworden sei. Eine einfache Antwort auf die Probleme gebe es nicht, da die Ursachen sehr verschieden seien und es eine „sehr tief verankerte Schieflage“ im System gebe.

Mit dem Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG), das die Ampel nun monatelang ausgebrütet habe, würden nur einzelne Stellschrauben verändert, während die Ursachen unzureichend adressiert würden. So sei es lobenswert, dass es neue Kriterien für Ausschreibungen geben solle. Aber dies auf Antibiotika zu beschränken, ist zu wenig. Wir brauchen einen Umbruch bei den Rabattverträgen. Exklusivmodelle müssen gänzlich wegfallen.“

Für alle Wirkstoffe müssten Lösungen gefunden werden, man brauche im Grunde ein neues Preisbildungssystem. Dabei werde es auch teurer werden. „Wenn wir sicherer versorgen wollen, müssen wir auch mehr ausgeben wollen. Diese Konsequenzen müssen wir tragen.“

Keine ausreichende Entlastung sehe der Entwurf für die Apotheken vor. Nach mehrfachem Nachfassen seitens der Abda sei es immerhin gelungen, den Austausch weiter zu flexibilisieren. „Diesen Kampf haben wir mit unfassbarer Kraft geführt, und zwar nicht für die Apotheken, sondern für die Patientinnen und Patienten. Es geht nicht um Bequemlichkeit, es geht um die Versorgung! Wir müssen bei Bedarf entscheiden können, ob wir beispielsweise die Darreichfungsform wechseln. Und wir müssen selbst Rezeptur ohne bürokratische Hürde herstellen können.“

Apotheken seit Jahren unterfinanziert

Nächster großer Schwachpunkt sei die Engpass-Prämie von 50 Cent, mit der gerade einmal 24 Sekunden Arbeitszeit abgegolten würden. „Das ist unverfroren, das ist eine Frechheit. Oft muss man Telefonate führen, mit dem Arzt, mit dem Großhandel, mit Kollegen. Nicht selten dauert es eine halbe Stunde oder mehr, bis man eine fachgerechte Lösung gefunden hat.“

Der Vorschlag werfe ein Licht auf viel größeres Problem: „Die Apotheken sind schon seit Jahren unterfinanziert.“ Während die Ärzte zurecht jedes Jahr mit den Kassen über eine Anpassung der Vergütung verhandeln könnte, hätten die Apotheken trotz Inflation und massiv gestiegener Kosten seit elf Jahren keine Anpassung bekommen. Selbst die Einnahmen der GKV hätten sich erhöht, die Apotheken seien davon abgekoppelt und hätten zuletzt sogar ein Spargesetz hinnehmen müssen: „Dieses fatale Zeichen hat viele Kolleginnen und Kollegen mental schwer erschüttert, sie demotiviert und frustriert! Ungeschickter kann man gesundheitspolitisch nicht agieren, das ist der Elefant im Porzellanladen.“

Probleme zu lösen, liege in der DNA der Apothekerinnen und Apotheker. Der Fachkräftemangel schlage aber auch wegen der Vergütung voll ins Kontor. „Apotheken müssen als Arbeitgeber nicht nur mit den Gehältern der Industrie, sondern auch der Kassen mithalten können!“ Der Ampel fehle an vielen Stellen der Weitblick , die Tragweite der Engpässe werde nach wie vor unterschätzt . Die Länder seien da weiter, Bayern etwa habe nicht nur den Dialog geführt, sondern dann auch Maßnahmen abgeleitet. „Das sollte eine Blaupause für den Bund sein.“

Der Abbau von Bürokratie werde langfristig zu einer besseren Versorgung führen, ist Overwiening überzeugt. „Aber die Zeit drängt, denn wir riskieren Unruhen in der Bevölkerung“, prognostizierte sie. Schon jetzt würden Arzneimittel wegen der Engpässe getauscht und bei Ebay versteigert. „Wir lösen diese Probleme professionell, aber wir brauchen die Rückendeckung der Politik, damit die Arzneimittelversorgung nicht aus den Fugen gerät.“

Wolfgang Späth (Hexal), Oliver Kirst (Servier), Minister Klaus Holetschek und Heinrich Moisa (Novartis), von links.Foto: APOTHEKE ADHOC

Auch die beteiligten Pharmahersteller setzen große Hoffnungen in die Initiative des bayerischen Gesundheitsministers. Wolfgang Späth von Hexal ärgert sich maßlos darüber, dass das „Tamoxifen-Trauma“ offenbar schon wieder verdrängt wurde: Bei Kinderarzneimittel gebe es jetzt einen kleinen Vorstoß, den Rest sitze man mit Lippenbekenntnissen weiter aus – aus Sorge, dass man zu viel zahlen könnte.

Laut Heinrich Moisa von Novartis kämpft die Pharmaindustrie mit rasant steigenden Kosten, während die Abgabepreise fix seien. „Wenn man die pharmazeutische Industrie als Leitökonomie erhalten will, dann geht es nicht um Pennies. Das ist keine taktische, sondern eine strategische Frage. Erst wenn wir die beantwortet haben, können wir die Probleme offensiv lösen."

Und Oliver Kirst von Servier ist der Meinung, dass man erst einmal versuchen sollte, die verbliebene Forschung und Produktion in Europa zu halten, bevor man über ein Zurückholen nachdenke. „Just do it“, so sein Aufruf, sich endlich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen.

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