Streit um Schließungen

Apothekenstreiks: Kammern müssen cool bleiben

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Berlin -

Der 14. Juni, so viel steht fest, wird nicht der letzte Apotheken-Protesttag gewesen sein. Während in Hessen und Sachsen erste Streiks schon am Montag anstehen, hat die Abda im November zu Schließungen und Kundgebungen aufgerufen. Nicht nur die Kolleginnen und Kollegen, sondern auch die Kammern müssen mitziehen. Denn rechtlich ist ein Apothekenstreik ein „Ritt auf der Rasierklinge“.

Den Protesttag im Juni hatten die Kammern nach langem Ringen noch als abgestimmte politische Maßnahme durchgehen lassen. Doch schon der Streik am kommenden Montag spaltet die Meinungen: Während die Kammer in Hessen Schließungen gerade wegen des Brückentags für unzulässig hält, können sich die Kolleginnen und Kollegen in Sachsen nach Ansicht der hiesigen Kammer Meinungs- und Versammlungsfreiheit berufen.

Im November soll es jede Woche einen Protesttag geben. Immer mittwochs sollen die Apotheken schließen, allerdings immer nur in einer bestimmten Region. Dafür wird Deutschland in vier große Teile aufgeteilt – Osten, Norden, Westen und Süden. In einer Metropole soll es jeweils eine Kundgebung geben. Höhepunkt soll am 29. November eine große Kundgebung in Berlin werden.

Dabei hängt es nun abermals von den Kammern ab. Denn wie Dr. Fiete Kalscheuer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht bei der Kanzlei Brock Müller Ziegenbein in Kiel erklärt, müssen bei solchen Aktionen die unterschiedlichen Interessen von Apotheken auf der einen und Patientinnen und Patienten auf der anderen Seite abgewogen werden.

Unterschied zum Tarifstreit

Grundsätzlich gelte dabei, dass ein „Streik“ von Apotheken als „politischer Streik“ außerhalb einer Tarifauseinandersetzung nicht vom sachlichen Schutzbereich der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG) umfasst ist. Einschlägig seien vielmehr die Berufsfreiheit nach Art. 12 I GG, die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 I GG sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 GG.

Die Dienstbereitschaftspflicht nach § 23 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) in Verbindung mit § 36 Nr. 2 o) ApBetrO und damit auch die Ablehnung eines Antrags auf Befreiung oder sogar die Verhängung eines Bußgeldes stellen laut Kalscheuer aufgrund der subjektiv berufsregelnden Tendenz der Vorschriften insbesondere Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit dar.

Die Bewertung liegt im Ermessen der jeweiligen Landesapothekenkammer. Bei der Abwägung kommt es laut dem Experten auf die Verhältnismäßigkeit an: „Damit ist gemeint, dass der Eingriff einen legitimen Zweck verfolgen, zu dessen Verfolgung geeignet und erforderlich sowie angemessen sein muss.“

Gesundheit wichtiger als Politik

Das Bundesverfassungsgericht habe im sogenannten Apothekenurteil von 1958 die „Drei-Stufen-Theorie“ entwickelt, nach der Beschränkungen der Berufsausübungsfreiheit im Gegensatz zu Beschränkungen der Berufswahlfreiheit bereits zur Verfolgung vernünftiger Erwägungen des Gemeinwohls erfolgen können. „Es hat ausgeführt, dass Regelungen des Berufsrechts von Apotheken der Volksgesundheit und damit sogar einem ‚wichtigen Gemeinschaftsgut‘ dienen können. Die Beschränkung und Ahndung eines ‚Apotheken-Streiks‘ zur Aufrechterhaltung der medizinischen Versorgung dient also nicht nur einem legitimen Zweck. Sie kann sich auf den Schutzeines Rechtsguts berufen, dass gewichtiger ist, als es für derartige Beschränkungen grundsätzlich erforderlich ist.“

Protest muss spürbar sein

Trotzdem könnten die Beschränkung und Ahndung eines „Apotheken-Streiks“ auch unangemessen sein: Denn bei der Schließung von Apotheken zur Durchsetzung politischer Forderungen handelt es sich laut Kalscheuer um ein wirksames Mittel im politischen Meinungskampf. „Die Wirksamkeit dieses Mittels hängt gerade auch davon ab, dass Apotheken zu einer Zeit schließen, in der sie üblicherweise geöffnet haben, sodass Apotheken wohl nicht grundsätzlich auf Zeiten außerhalb der regulären Öffnungszeiten verwiesen werden können.“

Antrag kann vor Bußgeld schützen

Allerdings weist Kalscheuer darauf hin, dass es – abgesehen von Einzelfällen – die Wirksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mindert, wenn vor der Schließung die Befreiung von der Dienstpflicht beantragt wird. Oder anders ausgedrückt, dass „die Verhängung eines Bußgelds jedenfalls dann angemessen erscheint, wenn, wie dies hier der Fall zu sein scheint, schon gar nicht versucht worden ist, bei der zuständigen Behörde eine Befreiung von der Dienstpflicht zu erwirken“.

Was den 2. Oktober angeht, spricht seiner Ansicht nach viel dafür, dass die Ablehnung von Anträgen auf Befreiung von der Dienstbereitschaftspflicht und die Verhängung von Bußgeldern gerechtfertigt wären. „Selbst wenn dies versucht worden ist und die Anträge abgelehnt worden sind, spricht die bereits bestehende Beschränkung der Versorgung durch den Feiertag zugunsten einer solchen Ablehnung.“

Wahl rechtfertigt Streik noch nicht

Denn die Eingriffsintensität sei im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen nicht als besonders hoch einzustufen: Einerseits wäre auch ein früherer Streiktermin noch in den Wahlkampf gefallen. Andererseits wären Veranstaltungen mit Politikern auch außerhalb der regulären Öffnungszeiten möglich. „Insofern ist darauf hinzuweisen, dass nach der Allgemeinverfügung der Landesapothekenkammer Hessen vom 1. September 2012 an einem Wochentag für den Nachmittag bereits von der Dienstpflicht befreit sind.“

Zwar wird die öffentliche Versorgung bei Aufrechterhaltung des Notdienstes „nicht schwerwiegend beeinträchtigt“. „Allerdings ist – und das dürfte rechtlich ausschlaggebend sein – zu beachten, dass die Gründe, die gegen einen Apotheken-Streik sprechen, dessen Untersagung jedenfalls nicht als außer Verhältnis zum ‚Streik-Recht‘ erscheinen lassen, was für die Unangemessenheit dieser Maßnahmen aber erforderlich wäre.“

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