Angebot vor dem Ruhestand

Ärztin verkauft Praxis an Doktor.de

, Uhr
Berlin -

Der Telemedizinanbieter Doktor.de macht ernst und übernimmt seine ersten vier Hausarztpraxen in den Berliner Stadtteilen Lichtenberg und Hellersdorf. Ein Standort gehörte bislang der Allgemeinmedizinerin Dr. Kathrin Wellnitz. Sie erklärt, was sie zum Verkauf bewogen hat und warum sie bis zu ihrem Ruhestand als führende Ärztin an Bord bleiben will.

„Ich habe mich bewusst in meiner Nachfolge für Doktor.de entschieden, weil es ein Konzept mit Herz und Charakter ist“, lässt sich Wellnitz von ihrem neuen Arbeitgeber zitieren. Schon während der Pandemie habe sie die Kombination aus Tele- und Vor-Ort-Medizin spannend gefunden. Allerdings habe sie angesichts der täglichen Arbeitsintensität keine Chance gesehen, das Modell alleine in ihre Praxis zu integrieren.

Auch Verzweiflung über die derzeitigen Arbeitsbedingungen klingt durch: „Seit über 25 Jahren leite ich meine eigene Praxis. In den letzten Jahren wurden in meinem Umkreis immer mehr Arztpraxen geschlossen, ohne dass die Patient:innen irgendwohin versorgt wurden.“ Sie selbst könne bereits seit zehn Jahren keine Patient:innen mehr guten Gewissens aufnehmen, ohne mental darunter zu leiden. „Ich bin heute 60 Jahre alt und kann die Intensität der Arbeit die nächsten sieben Jahre nicht mehr leisten. Mein absolutes Schreckensszenario ist, meine Praxis zu schließen, ohne zu wissen, dass meine Patientinnen und Patienten versorgt sind.“

Nach ihren Schilderungen kommt Doktor.de geradezu als weißer Ritter daher: Mit dem schwedischen Unternehmen als Praxisnachfolger sei die Versorgung der Patient:innen gesichert. Ihr selbst würden Aufgaben wie Unternehmensführung, Personalmanagement, Technik und Abrechnung abgenommen. „So bin ich entlastet und kann für die letzten Jahre wieder Ärztin sein.“

Erst Doktor.de, dann Ruhestand

Doktor.de will im kommenden Jahr weitere Praxen kaufen oder eröffnen. Angesprochen werden gezielt Praxisinhaber:innen, die vor dem Ruhestand stehen. „Doktor.de bietet ihnen einen schrittweisen Übergang in den Ruhestand an.“

Während sich die Ärzt:innen verpflichten, mindestens drei Jahre an Bord zu bleiben, übernimmt Doktor.de die Verwaltung und kümmert sich um die Modernisierung der Praxis sowie den Aufbau hybrider Versorgungswege. Zum Konzept gehören standardisierte Formate wie Online-Terminbuchung über die App, automatisiertes Check-in und vorgeschaltete symptomorientierte digitale Anamnese, zukünftig auch ein einheitliches Dokumentationssystem.

Das Unternehmen verspricht, „virtuelle und physische Versorgung verknüpfen“ und so „eine langfristige Arzt-Patientenbindung schaffen, medizinisches Personal entlasten und die drohende Versorgungslücke schließen“. Die Mitarbeiter:innen werden daher für die telemedizinische Tätigkeit geschult und in die Fernbehandlung eingebunden, entweder in der Praxis, im Homeoffice oder in den Büros („Digital hubs“) von Doktor.de. Auch dafür werden Ärzt:innen als Angestellte oder Leiter gesucht.

„Eingestaubte Strukturen“

Nachdem mit Kry gerade der erste Anbieter von Videosprechstunden das Handtuch geworfen hat, stellt sich die Frage, wie ernst es Doktor.de mit der Telemedizin eigentlich ist und ob es nicht eher der Aufbau einer eigenen Praxiskette im Vordergrund geht. Seit einiger Zeit kaufen Investoren hierzulande Arztsitze auf, vor allem in lukrativen Fachrichtungen. Ärzteverbände, Politik und sogar schon erste Kassen wollen eigentlich gegensteuern.

Susanne Kreimer, Geschäftsführerin und Chief Medical Officer von Doktor.de, ist überzeugt, dass ihr Konzept einen Vorteil hat: „Die eingestaubten analogen Strukturen sorgen aktuell dafür, dass kranke Menschen zu unzufriedenen Patienten:innen werden; sie müssen stundenlang in besetzten (Telefon-) Warteschlangen ausharren, um einen Arzttermin zu ergattern, nur um dann erneut stundenlang im Wartezimmer zu sitzen. Daneben benötigen wir zeitgemäße Arbeitsplatz- und Zeitkonzepte für Mediziner:innen, um den Medizinberuf wieder attraktiv zu machen und schlussendlich eine moderne, digital-unterstützte und effiziente Versorgung mit hoher Qualität und einem außergewöhnlichen Servicelevel zu schaffen.“

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch
Neuere Artikel zum Thema
Mehr aus Ressort
Vorstandschefin in der Kritik
AOK Bayern: Belegschaft meutert
Video der Freien Apothekerschaft
„Zum Glück“: Schlaganfall statt Apotheke

APOTHEKE ADHOC Debatte