Vorstand erklärt Strukturreform

Noventi wird bescheidener. Und teurer.

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Berlin -

Noventi schrumpft sich gesund. In der Vergangenheit sei zu viel gleichzeitig und vieles zu schnell gemacht worden, sodass die Projekte „nicht zukunftsgerichtet“ ausgeführt werden konnten, erklären die beiden Vorstände Marc Böhm und Frank Steimel im Gespräch mit APOTHEKE ADHOC. Sie hoffen darauf, dass nach der Strukturreform, die immerhin ein Fünftel der Belegschaft den Job kosten könnte, endlich Ruhe einkehrt – im Unternehmen ebenso wie im Markt. Sorgen um ihre Rezepte müssten sich die Apotheken nicht machen, künftig aber vermutlich etwas mehr für die Abrechnung bezahlen.

Nach der überraschenden Abberufung der Vorstände Dr. Hermann Sommer und Victor J. Castro im September 2022 haben Böhm und Steimel als Doppelspitze übernommen. „Wir haben eine Situation vorgefunden, dass mehr Geld ausgegeben wird als eingenommen wird“, fasst Finanzvorstand Steimel die Situation zusammen, die vom Betriebsrat gar als „dramatisch“ bezeichnet wurde.

Jede Beteiligung sollte hinterfragt werden – vor allem aber musste Noventi die Refinanzierung sicherstellen. Letzteres ist aus Sicht des Vorstands mit der Verlängerung des Konsortialkredits mit den Banken gelungen. „Wir haben eine integrierte Unternehmensplanung für drei Jahre erstellt“, so Steimel.

Geldspritze aus Vereinsvermögen

Noventi will zwar weiter wenn auch mit mehr Augenmaß investieren, muss aber vor allem refinanzierungsfähig bleiben. Und dabei kommt es immer auf die Eigenkapitalquote an – in Zeiten von Inflation und steigenden Zinsen kein einfaches Unterfangen für die Gruppe. Aufgrund der Bafin-Überwachung hat Noventi darüber hinaus regulatorische Anforderungen zu erfüllen.

Für die Finanzierungsstruktur von Noventi sei es daher „auch wichtig“ gewesen, dass der Verein FSA – hinter dem letztlich die Apotheker stehen – seine Verantwortung als Eigentümer des Unternehmens übernommen und 20 Millionen Euro zum Eigenkapital beigesteuert habe – „aus dem Vereinsvermögen“, wie Steimel erklärt. Dies sei aber nicht auf Druck der Banken geschehen, so der Finanzvorstand. Es sei auch mit diesem Schritt „eine komplette finanzielle Absicherung von Noventi“ gelungen. Wie sehr ist oder war Noventi denn nun in Gefahr? Antwort: Wir haben eine Durchfinanzierung für die nächsten drei Jahre.

Wovon will sich Noventi auf jeden Fall trennen?

Nach der gescheiterten Zusammenlegung der fünf Warenwirtschaftssysteme musste das Management einsehen, dass ein gleichzeitiger Betrieb auf Dauer nicht durchzuhalten war. Die parallelen Entwicklungskosten sind einfach zu groß. Deshalb sollen die Linien Jump, Infopharm und Pharmasoft verkauft werden. Nur an wen? Und für wie viel? Ein Preisschild will Böhm nicht ins Schaufenster hängen. Nennenswerte Einnahmen sind im Restrukturierungsprozesse jedenfalls nicht vorgesehen und das ist wohl auch ganz gut so.

Findet sich kein Käufer, sollen die Kund:innen sukzessive auf die Systeme Prokas und Awinta One überführt werden, auf die sich Noventi fokussieren will. Sorge vor einer Abschaltung der aussortierten EDV-Systme müsse aber niemand haben. Als apothekereigenes Unternehmen wisse Noventi um die Bedeutung eines funktionierenden Warenwirtschaftssystems. Dass allerdings eine EDV, in der nur noch die gesetzlichen Mindeststandards aktualisiert werden, die Teams in den Apotheken dauerhaft begeistern wird, steht auch nicht zu erwarten.

Der einschneidendste Faktor ist fraglos der Personalabbau. Bis zu 460 Mitarbeiter:innen könnten betroffen sein, vor allem im Vertrieb, wo viele Einheiten zusammengelegt werden. Die Ausscheidenden sollen in einer Transfergesellschaft aufgefangen werden, für die „mit dem Betriebsrat gefundene wertschätzende Lösung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ hätten der Betriebsrat selbst und er heute schon viel positives Feedback erhalten, so Böhm.

Preiserhöhungen bereits umgesetzt

Sparen muss Noventi aber auch bei den Apotheken: Die im September angekündigten Preiserhöhungen seien – entgegen anderslautenden Berichten aus dem Markt – auch tatsächlich umgesetzt worden. Vielleicht nicht in jedem Einzelfall, in der breiten Masse aber schon. Dabei wird es nicht bleiben: „Wir werden weitere Preisanpassungen im Markt haben, von uns und von Wettbewerbern“, so Böhm.

Aus der ersten Preiserhöhungsrunde im September sei man mit Blick auf die erfolgten Kündigungen besser herausgegangen als erwartet. Was die aktuelle Situation hier bewegen wird, bleibt abzuwarten. Die Noventi-Spitze hofft aber, dass die Verlängerung des Konsortialkredits für mehr Ruhe im Markt sorgt. Die Abrechnung sei sicher, mit dem Fall AvP will sich Noventi heute noch weniger vergleichen lassen als im vergangenen Herbst. „Aufgrund der getroffenen Maßnahmen sollte keiner nervös werden”, so Böhm. Die Apotheken hätten keine Not, etwas zu ändern, „ganz im Gegenteil, wir haben die langfristige zukunftsfähige Ausrichtung sichergestellt und mit der Zug-um-Zug-Abtretung die sicherste Abrechnung Deutschlands“.

Die Noventi-Spitze will und muss auch bei den Beteiligungen aufräumen. Hier herrscht noch offenbar noch immer keine Klarheit, wovon sich Noventi denn nun verabschieden will. Die Plattform Gesund.de soll jedenfalls nicht geopfert werden. Über mögliche neue Investitionsrunden würde die Noventi-Spitze in den Gremien diskutieren und dann gemeinsam eine Entscheidung treffen, hieß es auf Nachfrage.

Rückzug aus dem Pflegebereich

Komplett zurückziehen wird sich Noventi aus dem Pflegebereich. Das Tochterunternehmen Noventi Care soll veräußert werden, aber auch das ohne Zeitdruck. Erstaunlich, denn im Bereich der Abrechnung gelten die Sonstigen Leistungserbringer als besonders attraktiv; der Konkurrent ARZ Haan etwa hatte vor Jahren sogar seine Softwaresparte Lauer-Fischer verkauft, um Zukäufe finanzieren zu können.

Bis wirklich Ruhe einkehren kann im Haus Noventi, dürfte es aber noch einige Zeit dauern. Akut stehen weitere Gespräche der Unternehmensspitze mit Apothekenkooperationen und Apothekerverbänden an.

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