Notbevorratung durch Unternehmen und Regierung

Brexit: UK bunkert Arzneimittel für den Ernstfall

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Berlin -

Bei der britischen Regierung wächst angesichts von Brexit und Covid19-Pandemie die Angst vor massiven Arzneimittelengpässen. Das britische Gesundheitsministerium hat pharmazeutische Hersteller in einem Schreiben dazu aufgefordert, mit Blick auf den Brexit Arzneimittelvorräte anzulegen. Durch die Coronapandemie sei bereits jetzt die Versorgung mit vielen Gütern schwierig – und Ende des Jahres verlässt das Vereinigte Königreich EU-Binnenmarkt und Zollunion, ohne dass die Gespräche über ein neues Handelsabkommen bisher sonderlich weit gekommen wären.

Über der britischen Insel braut sich derzeit ein Sturm zusammen: Während das Land nach Fallzahlen und Todesopfern so stark von der Covid19-Pandemie getroffen wird wie kein anderes europäisches Land, tickt die Uhr zum Ende der Übergangsperiode nach dem Brexit. In dem am Montag veröffentlichten Schreiben betont das Gesundheitsministerium gegenüber den Unternehmen, dass die Regierung trotz der Pandemie keine Verlängerung der Übergangsperiode über den 31. Dezember hinaus beantragen werde. Selbst wenn sie wollen würde: Die Frist dazu ist ohnehin bereits am 30. Juni abgelaufen.

Also erwarten die Briten ab Januar Grenz- und Zollkontrollen, die die britische Regierung in einem Drei-Stufen-Verfahren bis Juli 2021 einführen will. Die Sorgen, dass sich dann zwischen Dünkirchen, Calais und Coquelles auf der einen sowie zwischen Dover und Folkstone auf der anderen die LKW in langen Schlangen reihen, sind auch angesichts der Pandemie längst nicht vom Tisch. „Unser gemeinsames Ziel sollte es deshalb sein, mögliche Unterbrechungen der Versorgung des Vereinigten Königreichs mit allen Kategorien von medizinischen Produkten zu mindern“, so das Schreiben.

Neben guter Vorbereitung auf die anstehenden Grenz- und Zollkontrollen sowie der verstärkten Nutzung alternativer Routen, um das Nadelöhr am Kanal nicht zu verstopfen, sollen die Unternehmen demnach auch auf das Schlimmste gefasst sein, nämlich ein zumindest teilweises Abreißen des Nachschubs. „Wir ermutigen die Unternehmen, die Bevorratung zu einem zentralen Element ihrer Kontingentpläne zu machen und ersuchen die Industrie, wo immer möglich einen Vorrat für sechs Wochen auf britischem Boden anzulegen“, so das Gesundheitsministerium.

Dabei sieht die Regierung aber nicht nur die privaten Unternehmen in der Pflicht, sondern auch sich selbst sowie die Teilstaaten des Vereinigten Königreichs. Das Gesundheitsministerium habe in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Gesundheitsdienst NHS bereits im Vorfeld des Brexits eine zentralisierte Bevorratung aufgebaut, die vor allem Schnelldreher und klinische Verbrauchsmaterialien enthalte. „Ein Teil dieses Vorrats verbleibt und wir planen, gemäß der Nachfragetrends, diese Bestände auszubauen und ebenfalls eine Sechs-Wochen-Bevorratung aufzubauen.“ Es sei von Bedeutung, dass auch die Teilstaaten – England, Wales, Schottland und Nordirland – eigenständig solche Lager aufbauen können.

Die erneute Erinnerung der Regierung an die potentiell schwerwiegenden Engpässe durch den Austritt aus Binnenmarkt und Zollunion kommt nicht zufällig gerade jetzt. Bis Oktober müssen sich Großbritannien und die EU auf einen Vertragstext für ein Handelsabkommen geeinigt haben – sonst drohen dem vereinigten Königreich neben den wirtschaftlichen Verwerfungen der Covid19-Pandemie und einer möglichen zweiten Welle auch noch massive wirtschaftliche Verwerfungen wegen des Wegfallens der bisherigen Handelsregelungen. Doch die Verhandlungen sind festgefahren. Großbritannien habe von der EU ein Angebot erhalten, das es so noch nie für einen Drittstaat gab, betonte kürzlich der Brexit-Beauftragte des Europaparlaments, David McAllister (CDU), selbst halb Schotte. „Als Gegenleistung verlangen wir ein klares Bekenntnis zu den geltenden, fairen Wettbewerbsbedingungen auf beiden Seiten des Ärmelkanals“, zitiert ihn das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Doch genau das will Premierminister Boris Johnson nicht. Er verweist darauf, dass Großbritannien als souveräner Staat in diesen Bereichen eigene Entscheidungen treffen könne und weigert sich seit Wochen, Vertragsklauseln für einen fairen Wettbewerb zu akzeptieren. Auch beim umstrittenen Fischereiabkommen ist noch keine Einigung in Sicht.

Ein ungeordneter Ausstieg aus Binnenmarkt und Zollunion könnte aber nicht nur der britischen Wirtschaft großen Schaden zufügen, sondern auch der deutschen und anderen europäischen Wirtschaften. Auch in Deutschland könnte es dadurch zu Engpässen kommen, insbesondere bei Medizinprodukten wie In-Vitro-Diagnostika.

 

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