So viel Ärger mit den Kassen

„System basiert auf Ausbeutung der Leistungserbringer“

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Berlin -

Immer wieder ein Ärgernis: Ein Patient kommt nach dem Arztbesuch in die Apotheke, steckt seine Gesundheitskarte (eGK) – und das E-Rezept ist nicht abrufbar. Viele Praxen hätten ihren Arbeitsfluss zwar mittlerweile angepasst, doch bei einigen sei das Rezept erst am nächsten oder übernächsten Tag auf der eGK des Patienten verfügbar, berichtet eine Apothekerin. Das könne schnell zum Problem werden, etwa bei akutem Bedarf oder eingeschränkter Mobilität. „Das E-Rezept ist nicht für die gedacht, die es empfangen sollten“, kritisiert sie. Dass sich niemand um die Probleme kümmert, passt für sie ins Bild.

Verzögerungen durch Probleme mit der Rezeptausstellung sind nicht neu. Auch beim Papierrezept habe man teils wegen vermutlich stressbedingter Formfehler Medikamente nicht abgeben können und Rücksprache halten müssen, betont die Apothekerin. Doch mit dem E-Rezept habe die Problematik noch einmal eine neue Dimension erhalten. Für Apotheken und Patienten entstehe ein enormer Mehraufwand.

Sie erinnert sich an einen Fall: Kürzlich sei ein Patient an einem Freitagnachmittag mit einem juckenden Hautausschlag in die Apotheke gekommen, um ein Rezept einzulösen. Doch auf der Karte des Mannes sei nichts hinterlegt gewesen. Die Apothekerin nahm daraufhin Kontakt zum Klinikum auf und habe dort telefonisch die Information bekommen, dass die Rezepte immer erst am Folgetag ausgestellt würden. „Ich habe dann gesagt, dass der Patient einen stark juckenden Ausschlag am Körper habe und nicht bis morgen auf das Rezept warten könne“, so die Apothekerin.

„Wir versuchen natürlich, den Patienten bestmöglich zu unterstützen und versuchen, die Praxis zu erreichen.“ Teilweise müsse man mehrfach in der Praxis anrufen, teils seien Praxen gar nicht erreichbar. Dann müsse der Patient gegebenenfalls noch einmal, teils auch mehrfach, zur Praxis gehen, bis das Rezept tatsächlich eingelöst werden könne. Auch dass die Patienten das mit sich machen ließen, verstehe sie wenig. Insbesondere ältere Menschen hätten wohl Hemmungen, bei ihrem Arzt „auf den Tisch zu hauen“ und ihr Rezept einzufordern.

Auf Kosten der Patienten und Leistungserbringer

„Für mich sind das die Symptome eines zerfallenden Systems der Krankenkassen“, so die Apothekerin. Gespart werde bei den Leistungserbringern, denen durch das E-Rezept zusätzliche Folgekosten entstünden, die durch die Pauschalen nicht ansatzweise abgedeckt würden. Zudem belasteten Retaxationen und Regresse die Apotheken und Praxen. Gleichzeitig würden Leistungen nicht mehr adäquat bezahlt.

So sei es kein Wunder, dass immer mehr Praxen aufgäben oder sich auf Privatversicherte und Selbstzahler konzentrierten. Leidtragender sei am Ende der Patient. „Das System ist immer mehr auf Ausbeutung der Leistungserbringer ausgerichtet“, urteilt sie. Einsparpotenzial sehe sie eher bei den Verwaltungs- und Werbeausgaben der Kassen. Sie schlägt eine Einheitskasse vor.

Das Hin und Her beim E-Rezept belaste außerdem die Beziehung zwischen Apotheken und Praxen, die eigentlich Hand in Hand die bestmögliche Versorgung und Betreuung der Patienten sicherstellen sollten. Schließlich müsse der Apotheker neben Problemen wie ständigen Lieferengpässen bei fehlenden Rezepten auch den Frust der Patienten abfangen – obwohl es nicht die eigenen Verfehlungen gewesen seien, die dazu geführt hatten. „Der Patient wird im Stich gelassen – und du bist nur Tröster und kannst nichts machen“, beklagt sie.

Versender profitieren von verzögerten Rezepten

„Das Thema, dass das Rezept nicht einlösbar ist, befördert das Wachstum im Rx-Markt bei den Versendern“, erklärt sie. Schließlich würden viele Patienten ihr Rezept dann lieber online einlösen, statt erneut den Weg zur Apotheke einzuschlagen und gegebenenfalls wieder weggeschickt zu werden, weil die Signatur immer noch fehle. „Und wenn der Patient das Rezept ohnehin online einlöst, dann macht er das vermutlich gleich schnell bei den großen ausländischen Versendern statt über eine App einer lokalen Apotheke“, schätzt die Apothekerin.

Versender böten massiv Rabatte, Kunden wanderten dann scharenweise ab. Auch die Praxen seien von der stärkeren Konzentration auf die Onlinebehandlung betroffen. Schließlich würden auch Online-Ärzte an Beliebtheit gewinnen. Wenn der Patient auch durch den Besuch in der Praxis nicht schneller mit seiner Arzneimittelbehandlung beginnen könne, nehme der Reiz, dorthin zu gehen, weiter ab, warnt sie. „Die Sorglosigkeit vieler Praxen erschüttert mich“, erklärt sie.

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