Die Retaxierungen von Rezepturen reißen nicht ab. Auch wenn die Verbände die Apothekeninhaberinnen und -inhaber immer wieder ermutigen, sich an die Mustereinsprüche zu halten, kommen bei manchem Zweifel auf. Bei Wilfried Neubauer* etwa reicht ein Retax-Ordner längst nicht mehr aus. Sorgen bereitet dem Apotheker besonders sein anstehender Abschied in den Ruhestand. Denn wenn es so weitergeht, müsste er laut eigenen Berechnungen mindestens rund 50.000 Euro vorhalten – zu viel, wie er sagt und weshalb er jetzt die Verbandslinie verlässt.
Neubauer hielt sich bislang an die Vorgaben des Deutschen Apothekerverbandes (DAV). Seit Anfang 2024 rechnet er wegen der Kündigung der Hilfstaxe (Anlagen 1 und 2) nach der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) ab. „Mittlerweile quillt es über“, sagt er. „Ich habe zwei komplette acht Zentimeter dicke Ordner voll, fast jeden Tag flattert eine rein.“ Im Schnitt seien es zwischen 200 und 300 Euro pro Woche. Denn fast jede Rezeptur über 100 Euro sei betroffen und werde auf 20 bis 40 Euro retaxiert. „Und dabei ist das hier eine kleine Apotheke.“
Hintergrund ist ein Streit zwischen dem DAV und dem GKV-Spitzenverband. Bereits Ende 2023 machte die Apothekerseite klar, wegen „deutlichen Preiserhöhungen bei den Einkaufspreisen“ eine Anpassung der Abrechnung von Rezepturen durchsetzen zu wollen. Mehrere Vorschläge seien den Kassen eingereicht worden, die jedoch abgelehnt worden seien. Dann wurde der Vertrag gekündigt. „Für alle Beteiligten bedeutet dies einen unnötigen Mehraufwand“, warnte der DAV noch. Zuletzt war von einem Musterstreitverfahren die Rede.
Seither plagen sich die Inhaberinnen und Inhaber mit den Retaxierungen, auch wenn viele die Einsprüche der Kassen an ihre Verbände weiterleiten. Bewegung in die Sache gekommen ist seitdem nicht. Der Berliner Apothekerverein (BAV) hatte bereits Ende 2023 an die Apotheken appelliert, den Widerstand aufrecht zu erhalten und gegebenenfalls Rücklagen zu schaffen. „Bitte machen Sie sich klar: Der DAV befindet sich in einer Konfliktsituation, um eine angemessene Vergütung für die Leistungen der Apotheke zu erreichen. Konflikte sind nicht bequem.“
Doch Neubauer sorgt sich jetzt, da immer noch Unklarheit herrscht, um seinen erhofften sorgenfreien Ruhestand. Denn die Retaxierungen kommen noch Monate später. „Ich müsste 50.000 Euro auf die Seite legen, nur um die Retaxierungen zu finanzieren.“
In zwei Jahren plant der Inhaber im Alter von 62 den Ausstieg. „Das Problem ist, dass sich viele in meiner Generation keine Gedanken darüber machen, was mit den Forderungen ist, wenn wir im Ruhestand sind. Mir wird Angst und Bange, wenn ich daran denke, Schluss zu machen.“ Wie sollten Kolleginnen und Kollegen das stemmen, wenn der DAV damit nicht durchkomme, fragt er sich.
Neubauer glaubt nicht an einen Sieg gegen die Kassen. „Ich bin mir relativ sicher, dass das nichts wird. Dann stehen wir belämmert da. Ich erwarte da nicht viel.“ Deshalb entschloss sich der Inhaber jetzt, auf die Kassenlinie umzuschwenken – und setzt auf eine anteilige Abrechnung der verwendeten Rezeptursubstanzen.
* Name von der Redaktion geändert