Das Bundessozialgericht (BSG) hat im November entschieden, dass Fertigarzneimittel bei der Verarbeitung in Rezepturen nicht anteilig abgerechnet werden müssen, sondern die für die Herstellung benötigte Packung in Rechnung gestellt werden darf – und zwar vollständig, auch dann, wenn sie nicht in vollem Umfang verbraucht wurde. Somit haben Apotheken nicht nur einen Rückzahlungsanspruch, sondern können den Kassen auch die Zinsen und eine Verzugspauschale in Rechnung stellen. Und auch der Apothekenabschlag für den jeweiligen Absetzungsmonat kann zurückgefordert werden. Allerdings bleibt den Apotheken nicht mehr viel Zeit, ihre Forderungen für 2021 geltend zu machen, denn zum Jahresende verjähren die Ansprüche.
Was war passiert? Die AOK Nordwest war die Auffassung, dass Apotheken nur anteilig abrechnen und somit nur die tatsächlich verwendete Menge in Rechnung stellen dürfen. Entsprechend wurde eine Apotheke im Jahr 2018 retaxiert. Die Inhaberin klagte und wurde aufgrund der Bedeutung des Verfahrens vom Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) unterstützt. Im Jahr 2021 bekam die Apotheke erstinstanzlich vor dem Sozialgericht Münster (SG) Recht. Doch das Landesozialgericht Essen (LSG) wies im Jahr 2024 die von der AOK Nordwest eingelegte Berufung zurück.
Das BSG in Kassel bestätigte die Entscheidung auf Grundlage von § 5 Absatz 2 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), der die Preisberechnung regelt. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass „bei der Berechnung der Festzuschüsse auf Rezepturarzneimittel vom Einkaufspreis der üblichen Abpackung eines verwendeten Stoffes bzw. der erforderlichen Packungsgröße verwendeter Fertigarzneimittel auszugehen [ist], selbst wenn bei der Zubereitung des Rezepturarzneimittels der Inhalt der üblichen Abpackung beziehungsweise Packungsgröße nicht vollständig verbraucht wird. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folgt nichts anderes.“
Daher forderten die Landesapothekerverbände die Apotheken auf, alle Retaxationen zu prüfen – und auch den Kassenabschlag zurückzufordern. Es besteht ein Rückzahlungsanspruch, wenn Apotheken bei der Preisberechnung einer Rezeptur im Jahr 2021 oder später die kleinstmögliche Menge des benötigten Fertigarzneimittels berücksichtigt haben und anteilig oder ganz retaxiert wurden, ein fristgerecht eingelegter Einspruch zurückgewiesen und der Betrag schließlich ganz oder teilweise von der Monatsrechnung abgezogen wurde.
Zur Geltendmachung der Ansprüche wurde ein entsprechendes Musterschreiben vorbereitet, das mit den geforderten Angaben auszufüllen ist und an die jeweilige Kasse per Einschreiben geschickt werden soll. In der Zahlungsaufforderung wird der Kasse eine Frist von sieben Tagen gesetzt.
Die Verzugspauschale ergibt sich aus § 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). „Der Gläubiger einer Entgeltforderung hat bei Verzug des Schuldners, wenn dieser kein Verbraucher ist, außerdem einen Anspruch auf Zahlung einer Pauschale in Höhe von 40 Euro. Dies gilt auch, wenn es sich bei der Entgeltforderung um eine Abschlagszahlung oder sonstige Ratenzahlung handelt. Die Pauschale nach Satz 1 ist auf einen geschuldeten Schadensersatz anzurechnen, soweit der Schaden in Kosten der Rechtsverfolgung begründet ist.“
Der Kassenabschlag ist von der Apotheke nur dann zu zahlen, wenn die Kasse die Rechnung fristgerecht und in vollem Umfang begleicht. Da die Kassen dies nicht getan haben und zu Unrecht eine Retaxation ausgesprochen haben, ist diese Voraussetzung in den Abrechnungsmonaten nicht erfüllt, in denen die Kasse die Absetzung vorgenommen hat. Damit entfalle der Abschlag für sämtliche in diesem Abrechnungsmonat mit der jeweiligen Krankenkasse abgerechneten Rezepte und es könne eine Rückforderung des Apothekenabschlags für den gesamten Abrechnungsmonat gefordert werden, stellt der Berliner Apotheker-Verein (BAV) klar. Der Apothekenabschlag kann nur für den Abrechnungsmonat zurückgefordert werden, in dem der retaxierte Betrag tatsächlich abgesetzt wurde und nicht für den Abrechnungsmonat, in dem die Retaxation ausgesprochen wurde.
Die Ansprüche der 2021 abgesetzten Beträge drohen zum Jahresende zu verjähren. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hat die Ersatzkassen und der BAV die AOK Nordost angeschrieben mit dem Ziel, einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu erwirken. Apotheken sollten daher die Zeit bis zum Jahresende nutzen und die Rückzahlung für 2021 einreichen. Sollte die Kasse der Aufforderung nicht nachkommen, sollte – bis spätestens zum 31. Dezember Klage eingereicht werden.