Arztinformationssystem

Kampf um AIS: Pharma gegen Kassen

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Berlin -

Im kommenden Jahr muss die neue Bundesregierung über das Arztinformationssystem (AIS) entscheiden. Damit sollen Ärzte Infos über den Einsatz von Arzneimitteln an die Hand gegeben werden. Die Kassen sehen darin eine Chance auf die Therapiehoheit Einfluss zu nehmen. Und die Pharmaindustrie fürchtet den Ausbau des AIS zum „Spardiktat“. Der Kampf um die Informationshoheit hat begonnen.

Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungs-Gesetz (AM-VSG) hat der Bundestag im März das neue AIS im Grundsatz beschlossen. Dieses Info-Modul für die Praxis-EDV soll Ärzten kompakt einen Überblick über die Nutzenbewertungs-Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bieten. Befragungen hatten zuvor gezeigt, dass nur ein kleiner Teil der Ärzte die schwer lesbaren und umfassenden G-BA-Beschlüsse zur Kenntnis nimmt.

Per Rechtsverordnung muss der neue Bundesgesundheitsminister nun die Feinheiten regeln: Welche Informationen finden Eingang in das AIS, wie werden diese Informationen aufgearbeitet und den Ärzten angeboten? Das Wie könnte erheblichen Einfluss auf die Arzneimittel-Therapieentscheidung des Arztes nehmen.

Zunächst stand die Befürchtung im Raum, die Kassen könnten versuchen, über das AIS ein Ampelmodell zu etablieren, das steuernd in die Therapiewahl eingreift. Das Rot-Gelb-Grün-Modell erscheint aber selbst den Kassen als zu grober Maßstab für patientenindividuelle Entscheidungen. Der GKV-Spitzenverband hat kürzlich ein neues System präsentiert. Dr. Antje Haas, Leiterin der Arzneimittelabteilung beim GKV-Spitzenverband, präsentierte als Prototyp jetzt ein differenzierteres Software-System: „Wir müssen mit den Vergleichstherapien arbeiten, und das lässt sich mit einer Ampel gar nicht umsetzen“, so Haas.

Anhand einer Afatinib-Verordnung beim nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC) stellte Haas das System laut einem Bericht der „Ärztezeitung“ vor: Der Arzt öffnet das Rezeptformular 16 und entscheidet sich, wie gehabt, für Präparat, Packungsgröße und gegebenenfalls Hersteller oder Importeur. Dann folgt ein Pop-up-Fenster, das zum einen eine Ultrakurzform des Zulassungstextes einblendet, zum anderen die existierenden G-BA-Beschlüsse.

Diese können angeklickt werden, müssen aber nicht. Was der Arzt auf jeden Fall sieht, sind die unterschiedlichen Patientengruppen und Teilindikationen des G-BA-Beschlusses und den jeweiligen Zusatznutzen. Im Falle von Afatinib beim NSCLC erfährt der Arzt, dass bei nicht vorbehandelten Patienten in gutem Allgemeinzustand mit EGFR-Mutation „Del 9“ ein erheblicher Zusatznutzen ausgesprochen wurde, ein solcher dagegen bei Mutation „L 858R“ nicht belegt ist.

In beiden Fällen werden unterschiedliche zweckmäßige Vergleichstherapien direkt ohne weiteren Klick mit angegeben. Die Vergleichstherapien, für die der Hersteller Studiendaten vorgelegt hat, sind farbig markiert, damit auf einen Blick klar ist, worauf sich das G-BA-Urteil bezieht. Weitere Informationen sind hinterlegt, erfordern aber, dass der Arzt sie aktiv anklickt. So informiert ein Klick auf „Zusatznutzen“ über die Gründe für die Bewertung. Ein Klick auf „Wirtschaftlichkeitshinweise“ bringt Infos über regionale oder bundesweite Preisvereinbarungen sowie über kassenindividuelle Verträge. Auch über „Therapiealternativen“ soll der Arzt sich informieren können.

Dagegen laufen die Pharmahersteller jetzt Sturm: Die Nutzenbewertung sei ein Instrument zur Preisfindung für neue Arzneimittel und keine Therapieempfehlung, kritisiert Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Pharma-Unternehmen (vfa): „Die Kassen drängen vehement in den Bereich der Ärzte. Es sei „ein Märchen“, dass es den Kassen beim AIS um bessere Informationen gehe. Ein AIS, das allein auf der Nutzenbewertung basiere, „diktiere Verordnungen“. Es drohe ein „Spardiktat der Kassen“, dass sich in die Therapiefreiheit einmische. Die Ärzte müssten die „tragende Rolle“ im neuen AIS spielen, fordert Fischer.

Eine Studie habe ergeben, dass in der hochinnovativen Onkologie für 38 Prozent der betrachteten Patientengruppe Abweichungen zwischen den Beurteilungen des G-BA und der Leitlinien der Fachärzte bestünden. „Bei Lungenkrebs und Brustkrebs sind solche Diskrepanzen besonders ausgeprägt“, so Fischer.

Kritik kommt auch vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI). Gemeinsam mit dem vfa fordert der Verband, den Ärzten im AIS das „vollständige Kartenmaterial“ anzubieten. Im Klartext: Neben der Nutzenbewertung sollen dort auch die Leitlinien der Fachärzte dargestellt werden. „Es braucht ein ehrliches Informationsmodell“, fordert Norbert Gerbsch, stellvertretender BPI-Hauptgeschäftsführer. Die Informationen müssten dabei so neutral präsentiert werden, dass sie die Verordnungshoheit des Arztes nicht beeinflussen können. Hier geht es ums Kleingedruckte: Noch ist nicht entscheiden, ob die Informationen im Originaltext angeboten werden oder in einer überarbeiteten, entschlackten und besser lesbaren Variante. Daher ist jetzt die Lobbyarbeit der Pharmaverbände gefragt. Fischer: „Die kommende Rechtsverordnung entscheidet über den Inhalt des AIS.“

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