Pharmadialog

Pharmadialog: Noch ist alles offen

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Berlin -

Anderthalb Jahr lang wurde im Pharmadialog über die Herausforderungen der pharmazeutischen Industrie debattiert. Heute stellte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) die Ergebnisse vor. Die werden mehrheitlich als richtiger Ansatz gewertet – gehen den meisten Beteiligten aber nicht weit genug. Themen für die geplante Fortsetzung des Austauschs gibt es genug.

Kathrin Vogler, Sprecherin für Arzneimittelpolitik und Patientenrechte der Linksfraktion, kritisiert: „Diese Ergebnisse lesen sich wie ein Wunschzettel der Industrie, und die Versicherten und Steuerzahler müssen den ganzen bunten Gabentisch bezahlen.“ Als Gegenleistung gebe es nur freiwillige Selbstverpflichtungen. Die geplanten Umsatzschwellen werden aus ihrer Sicht das Problem der Mondpreise nicht nachhaltig lösen. Stattdessen müsse über „staatliche Preisfestsetzung und Zwangslizenzen“ nachgedacht werden.

Auch die Maßnahmen gegen Lieferengpässe gehen Vogler nicht weit genug: „So soll mit den Krankenkassen 'geredet' werden, bei ihren Ausschreibungen mehrere Unternehmen zum Zuge kommen zu lassen“, moniert sie. Erst wenn diese Gespräche nicht helfen, solle eine verbindliche Meldepflicht für Lieferengpässe geprüft werden. „Dabei wissen wir alle: Prüfaufträge sind meistens eine Beerdigung zweiter Klasse, erst recht, wenn sie auf den Sankt Nimmerleinstag vertagt werden.“

Kordula Schulz-Asche, Gesundheitsexpertin der Grünen, bezeichnet die Ergebnisse des Pharmadialogs als „dürftig“. „Wesentliche Probleme der Arzneimittelversorgung werden gar nicht angegangen, so beispielsweise die Impfstoffsicherstellung sowie die Forschung und Produktentwicklung für armutsassoziierte Erkrankungen.“ Die rückwirkende Preiserstattung sei richtig, die vorgeschlagene Höhe erscheine jedoch „völlig beliebig“. Den Vorschlag, die Erstattungspreise vertraulich zu behandeln, bezeichnete Schulz-Asche als „bittere Pille für die Patientenorientierung“. Versicherte hätten einen Anspruch auf volle Information.

Die Kassen sehen die Ergebnisse als Schritt in die richtige Richtung. Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretender Vorstandsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes, erklärt: „Nun kommt es im parlamentarischen Verfahren darauf an, die Interessen der Beitragszahler einzubeziehen, denn die müssen am Ende alles bezahlen.“ Mit Blick auf die geplante Umsatzschwelle erklärte er, entscheidend werde sein, bei welchem Euro-Wert die Grenze liege. „Einfacher, konsequenter und besser wäre es jedoch, die miteinander verhandelten Preise ab dem ersten Tag gelten zu lassen.“

Der AOK-Bundesverband gibt sich zurückhaltend. „Noch ist hier alles offen“, so der Vorstandsvorsitzende Martin Litsch. Ob beispielsweise die Idee einer Umsatzschwelle bei der Preisgestaltung mehr als ein Placebo sei, werde unter anderem vom konkreten Begrenzungswert abhängen. Kritisch sieht Litsch die Flexibilisierung der zweckmäßigen Vergleichstherapie: „Wir sollten uns davor hüten, diesen bewährten Mechanismus aufzuweichen“, sagte er.

Beim Verband der Ersatzkassen (vdek) begrüßt man, „dass die Ärzte in Zukunft besser über den Nutzen von neuen Medikamenten informiert werden sollen“. Vorstandsvorsitzende Ulrike Elsner befürchtet aber eine weitere Belastung für die Beitragssätze, weil Ärzte keine Transparenz über die verhandelten Preise hätten. „Ärzte werden bei unterschiedlichen Therapiealternativen keine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung mehr vornehmen können.“

Die Barmer GEK freut sich über die geplanten Maßnahmen gegen „überteuerte Medikamentenpreise“: „Die Strategie mancher Pharmafirmen bei der Preisgestaltung neuer Arzneimittel ist ein Problem für die Solidargemeinschaft der gesetzlich Krankenversicherten“, sagte Kassenchef Dr. Christoph Straub. Es sei gut, dass die von Pharmafirmen und GKV-Spitzenverband verhandelten Arzneimittelpreise nun rückwirkend gelten sollten. Straub forderte darüber hinaus ein neues System der Preisfestsetzung: Auf eine Schnellbewertung bei Markteintritt soll eine Kosten-Nutzen-Bewertung spätestens nach fünf Jahren folgen.

KKH-Chef Ingo Kailuweit hält den Vorschlag einer Preisbremse für Arzneimittel für „richtungsweisend“: „Es ist gut, dass Gesundheitsminister Gröhe das Problem erkannt und die Kritik der Krankenkassen an den bisherigen Mondpreisen der Pharmaindustrie aufgegriffen hat.“ Wichtig sei, dass eine praxisgerechte Umsetzung der neuen Preisbremse gewährleistet werde, so Kailuweit.

Die AOK Baden-Württemberg sieht durch die Ergebnisse ihre eigene Rabattvertragspraxis bestätigt. Eine Vorlaufzeit zum Vertragsstart werde in den AOK-Verträgen ausnahmslos garantiert, soe Kassenchef Dr. Christopher Hermann. Das Ergebnispapier des Pharmadialogs bleibe hierzu mit einer allgemeinen Aussage zu einem „6-Monats-Vorlauf“ im Ungewissen. Das müsse präzisiert werden: „Entscheidend für mehr Sicherheit ist der Start der Vorlaufzeit. Die 6-Monats-Frist muss zum Zeitpunkt starten, wenn das Pharmaunternehmen über den Zuschlag im Ausschreibungsverfahren vorab von den Krankenkassen informiert wird“, so Hermann.

Die Herstellerverbände begrüßen in einer gemeinsamen Mitteilung, dass die Bundesregierung die Bedeutung der Industrie für die Arzneimittelversorgung, die Lebensqualität von Patienten und den Wirtschaftsstandort ausdrücklich anerkenne. Einigkeit bestehe beim Thema Antibiotika: „Die Dialogpartner haben sich unter anderem darauf verständigt, Aufklärungsinitiativen zu unterstützen und die Entwicklung neuer Antibiotika in Produkt-Entwicklungspartnerschaften voranzutreiben.“

Nachbesserungsbedarf sehen die Verbände bei der frühen Nutzenbewertung und den Erstattungsbetragsverhandlungen, bei der rückwirkenden Preisfestsetzung, bei der Weiterentwicklung bekannter Wirkstoffe und bei der Frage, wie sich Ausschreibungen stärker an der Versorgungssicherheit orientieren können.

„Deshalb gilt es jetzt, über Appelle hinaus, gemeinsam ein ausgewogenes und zukunftsfähiges Maßnahmenpaket zu erarbeiten“, schreiben der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der Branchenverband der Biotechnologie-Industrie (BIO Deutschland), der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI), Pro Generika und der Verband und der forschenden Arzneimittelhersteller (VFA).

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) haben derweil angekündigt, künftig enger zusammenarbeiten zu wollen. „Im Kern geht es darum, im Rahmen der Durchführung von klinischen Arzneimittelstudien gute Evidenz sowohl für die Beurteilung der arzneimittelrechtlichen Fragestellungen (Zulassung) als auch für die Beurteilung der sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen (frühe Nutzenbewertung) zu generieren“, teilten die Behörden mit.

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