Kommentar

SPD verrät die Arbeitnehmer

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Berlin -

Einen Koalitionsvertrag für die „kleinen Leute“ habe man geschrieben, findet SPD-Chef Sigmar Gabriel. Für die Pläne der Großen Koalition zur Finanzierung der Krankenkassen gilt das kaum: Die SPD-Spitze hat einem Kompromiss zugestimmt, der einseitig die Arbeitnehmer belastet. Das hat nicht einmal die FDP geschafft.

Als Erfolg verbuchen die Sozialdemokraten für sich, dass der Beitragssatz künftig wieder paritätisch bezahlt wird. Der aus SPD-Sicht ungerechte Sonderbeitrag der Arbeitnehmer von 0,9 Prozent wird gestrichen. Außerdem wird es keine einkommensunabhängigen Zusatzbeiträge in Euro und Cent mehr geben. Auch das war ein Wunsch der Sozialdemokraten.

Für die Versicherten sind das allerdings Pyrrhussiege: Der Beitragssatz wird zwar auf 14,6 Prozent gesenkt. Gleichzeitig erhalten die Kassen jedoch das Recht, prozentuale Zusatzbeiträge zu erheben. Diese gehen dann wieder allein zulasten der Arbeitnehmer, denn der Arbeitgeberbeitrag bleibt auf Druck der Union bei 7,3 Prozent gedeckelt. Nur fällt die Kürzung auf dem Lohnzettel womöglich weniger auf als eine Rechnung von der Kasse.

Zusatzbeiträge werden nicht lange auf sich warten lassen: Die Einnahmen der Kassen werden schließlich um den Sonderbeitrag gekürzt, die Ausgaben steigen in einer älter werdenden Gesellschaft zwangsläufig. In den Koalitionsverhandlungen geisterte schon ein befürchtetes Defizit von zehn Milliarden Euro.

In dieses Finanzloch werden nur die Versicherten stürzen: Wörtlich heißt es im Koalitionsvertrag: „Die Notwendigkeit eines steuerfinanzierten Sozialausgleichs entfällt damit.“ Diesen hatte Schwarz-Gelb eingeführt: Ab einer Belastung von mehr als 2 Prozent des Einkommens wäre der Staat eingesprungen. Die pauschalen Zusatzbeiträge mögen ungerecht gewesen sein, aber sie waren nicht grenzenlos ungerecht.

Der Chefunterhändler der Sozialdemokraten, Professor Dr. Karl Lauterbach, hat das Verhandlungsergebnis mehrfach als „historisch“ bezeichnet. In der Tat: Dass ausgerechnet die SPD die Arbeitnehmer stärker zur Kasse bittet als die neoliberale FDP, dürfte in der Geschichte einmalig sein.

Immerhin könnte der Druck auf die Leistungserbringer steigen: Ohne Sozialausgleich lassen sich Sparpakete leichter anhand von Einzelschicksalen rechtfertigen: Wer wollte schon der armen Oma in die Tasche greifen, nur damit der Kassenabschlag der Apotheker sinkt.

Gabriel ist sich sicher: „Die Mitglieder der SPD werden stolz auf das sein, was wir für die Menschen in Deutschland in diesem Koalitionsvertrag erreicht haben.“ Das wird die Mitgliederbefragung in den kommenden Wochen zeigen.

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