Preisdeckel bei Neueinführungen

AOK: Neue Medikamente nur von Schwerpunktpraxen

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Berlin -

Nach zehn Jahren Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) und vor dem Hintergrund steigender Kassendefizite hält der AOK-Bundesverband eine Reform der Preisbildung für neue Arzneimittel für überfällig: „Das hat sich schon lange vor der
Corona-Pandemie abgezeichnet, wird aber mit Blick auf die drohende Finanzmisere der Krankenversicherung zwingend erforderlich”, sagte der Vorstandsvorsitzende Martin Litsch. Er verweist in diesem Zusammenhang auf den ungebrochenen Trend zu hochpreisigen Arzneimitteln im Patentmarkt.

So erreichten die GKV-Nettokosten für patentgeschützte Arzneimittel 2019 laut AOK einen Höchststand von 21 Milliarden Euro, was einem Ausgabenanteil am Gesamtmarkt von 47,8 Prozent, aber einem Versorgungsanteil von nur 6,5 Prozent entspricht. Sechsstellige Arzneimittelpreise für Neueinführungen würden immer öfter aufgerufen. „Es sind unter anderem die hohen Preise für neue Arzneimittel, die der Pharmaindustrie ihre hohen Gewinne ermöglichen. Bezahlen muss sie die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten. Der Gesetzgeber sollte deshalb endlich geeignete Maßnahmen ergreifen, damit Arzneimittel auch künftig für alle bezahlbar bleiben können“, so Litsch.

Vor diesem Hintergrund legt die AOK-Gemeinschaft ein Positionspapier vor, in dessen Zentrum die Reform überhöhter Einstiegspreise im Patentmarkt steht. „Hersteller können in Deutschland für ihre neuen Arzneimittel den Preis im ersten Jahr nach Marktzulassung frei festlegen. Das ist und bleibt der Kardinalfehler des AMNOG. Wir favorisieren stattdessen einen Interimspreis, mit dem sich von Anfang an ein fairer Preis für die Beitragszahler realisieren ließe“, erklärt Dr. Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung im AOK-Bundesverband. Dieser Startpreis sei vor Marktzugang vorläufig festzulegen und könne sich an den Kosten der Vergleichstherapie orientieren. Auf diese Weise könne man den sprichwörtlichen Teppichhändlereffekt, also das anfängliche Einpreisen späterer Nachlässe, aushebeln.

Die AOK schlägt vor, dass der Interimspreis durch den GKV-Spitzenverband auf Basis der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegten Vergleichstherapie rechnerisch ermittelt und nach abgeschlossener Preisverhandlung anschließend vom ausgehandelten Erstattungsbetrag rückwirkend ersetzt wird. Über- oder Unterzahlungen aus der Preisdifferenz zwischen Interimspreis und endgültigem Erstattungsbetrag würden dann zwischen den Krankenkassen und dem Hersteller ausgeglichen. „Durch die Kombination von Rückwirkung und Interimspreis entsteht ein fairer Ausgleich zwischen GKV und pharmazeutischem Unternehmen. Im Falle eines beträchtlichen Zusatznutzens erhält der Hersteller im Nachgang rückwirkend ein zusätzliches Umsatzplus“, so Richard. Zudem soll die Phase bis zum Vorliegen des Erstattungsbetrags deutlich verkürzt werden – von zwölf auf neun Monate. Welche Einspareffekte sich damit verbinden, wollte Richard nicht beziffern. Die Krankenkassen steuern Ende 2021 auf ein Defizit von 17 Milliarden Euro zu.

Außerdem fordert der AOK-Bundesverband, dass ein qualitätsgesicherter Einsatz neuer und beschleunigt auf dünner Datenlage zugelassener Arzneimitteltherapien jenen Patienten vorbehalten sein soll, die keine anderen Alternativen haben. Die Durchführung gehöre in die Hände besonders qualifizierter Ärzte an spezialisierten Behandlungszentren. „Eine Erstattung der Therapien durch die GKV ist zunächst auf diese Ärzte und Zentren zu beschränken und wird unter dem Vorbehalt ergänzender Datenerhebungen zur Beurteilung von Nutzen und Schaden geleistet. Sobald mehr Erkenntnisse zu diesen Therapien vorliegen, können die Anwendungseinschränkungen gelockert werden“, so Richard weiter.

Neben den Preisen im Markt der patentgeschützten Arzneimittel spielte auch die Versorgungssicherheit im Generikamarkt eine entscheidende Rolle. „Die AOK-Gemeinschaft ist hier bereits aktiv geworden und hat ihre Rabattverträge um Regelungen ergänzt, die sie gegen Produktions- und Lieferausfälle absichern“, sagte Litsch. Dazu gehöre beispielsweise die Verpflichtung, dauerhaft Arzneimittelreserven für drei Monate anzulegen.

Zwar gebe es auch in der Pandemie immer noch keine Hinweise für gravierende Liefer- oder gar Versorgungsengpässe. Wo es aber vereinzelt zu Lieferschwierigkeiten komme, fehle bislang immer noch der Überblick über die auf dem Markt befindlichen Bestände und die gesamte Lieferkette. Es werde zu spät und auch nicht kontinuierlich gemeldet, wenn Schwierigkeiten auftreten. „Deshalb muss die Politik die Ansätze des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes zu Lieferengpässen weiterentwickeln“, forderte Litsch. Dafür brauche es auf nationaler, aber auch auf europäischer Ebene ein einheitliches Frühwarnsystem, das über Lieferengpässe informiert und Einblick in Produktionsbedingungen ermöglicht.

 

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