Arzneimittelfälschungen

„Herr Müller“ und sein Omeprazol

, Uhr
Berlin -

Wenn stimmt, was Jürgen Andreas J. behauptet, ist es offenbar ein Kinderspiel, gefälschte Medikamente herstellen zu lassen und an den Mann zu bringen: „Ich bin überrascht und schockiert gewesen, wie leicht das geht“, sagte der 55-Jährige, der sich vor dem Landgericht Stuttgart gemeinsam mit Bruder Kay J. (51) wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz verantworten muss.

Die beiden Brüder sollen von 2008 bis 2013 im großen Stil Omeprazol-Generika gefälscht und über den Zwischenhändler Cito Med in Hessen in die Lieferkette eingeschleust haben. Insgesamt geht die Staatsanwaltschaft von 600.000 Packungen aus, die für 15 Millionen Euro verkauft worden sind.

Jürgen Andreas J. räumt die Vorwürfe ein – und betont dabei, wie leicht ihm der Betrug gemacht worden sei. „Ich musste beim Einkauf keine entsprechenden Nachweise vorlegen“, sagte der Pharmazeut, der zunächst eine eigene Apotheke gehabt hat, sich später aber bei Anlageprojekten verspekulierte und pleite ging.

In Spanien fand er mit dem Lohnhersteller Arafarma aus dem Großraum Madrid einen Partner, der keine Fragen stellte. „Die wollten keine Großhandelserlaubnis sehen, keine Lizenz, kein Zertifikat“, sagt J. und liefert dafür eine mögliche Erklärung: „Der Konkurrenzdruck muss wohl so groß sein.“ Mit Umschlägen, in denen das Geld steckte, wurden die Rechnungen auch gleich bei der Abholung in bar beglichen.

Als Zeuge wird in dem Prozess auch ein 65 Jahre alter Kurierfahrer befragt, der die Kapseln als Bulkware 2220 Kilometer durch Europa nach Henstedt-Ulzburg, 40 Kilometer nördlich von Hamburg, transportiert hat: jeweils zwölf blaue Fässer, die in Kartons verpackt waren, auf zwei bis drei Paletten.

Bei einem Abstand von meist sechs bis acht Wochen zwischen den Touren habe er insgesamt wohl um die 30 bis 40 Fahrten gemacht, so der Mann. Den Preis dafür habe er mit J. ausgehandelt, der sich als „Herr Müller“ ausgegeben habe. Was in den Fässern gewesen ist, habe er nicht gewusst, sagt der Fahrer.

Ein weiterer Zeuge ist Manfred Barz, Geschäftsführer von Cito Med. Er habe J. aus früheren Geschäftsbeziehungen seit Anfang der 1990er Jahre gekannt. 2008 seien ihm Omeprazol-Produkte von vier Herstellern angeboten worden. „Fragt man da nicht nach, woher die Medikamente kommen“, will ein Richter wissen. „Wir kennen die Gefahr von Plagiaten“, sagt Barz. Man könne die Medikamente aber nur in Augenschein nehmen und dabei beispielsweise prüfen, ob die Verpackungen und die Arzneimittel wie handelsübliche Waren aussehen und ob das Verfallsdatum okay sei. Bei J. sei nichts zu beanstanden gewesen, so Barz. Die 600.000 Packungen hält er angesichts von mehr als 13 Millionen Packungen, die Cito Med im selben Zeitraum insgesamt gehandelt hat, für realistisch.

Barz erinnert sich, wie Polizei und Staatsanwaltschaft im Februar 2013 Geschäftsräume und Lager am Firmensitz in Bickenbach bei Darmstadt auf den Kopf gestellt haben. Danach brach prompt der Absatz ein: Die Geschäftspartner wollten nicht in Verbindung mit den Fälschungen kommen.

Es habe ein wenig gedauert, bis die Ermittler zum Schluss gekommen seien, dass Cito Med hereingelegt worden war. „Erst als Polizei und Staatsanwaltschaft grünes Licht gegeben haben und erklärten, dass bei uns alles okay sei, zog das Geschäft wieder an“, sagt Barz.

Trotzdem sei Cito Med auf einem hohen Schaden sitzen geblieben, Barz schätzt den Betrag auf 330.000 bis 400.000 Euro. Nach dem Reinfall traue er sich nicht mehr, Omeprazol-Medikamente zu vertreiben, sagt Barz.

Die Fälschungen waren aufgeflogen, weil Patienten die Beipackzettel aufmerksam gelesen hatten. Dabei fiel ihnen eine falsche Wirkstoffangabe auf. Sie wandten sich an Ratiopharm. Morgen soll ein Vertreter des Generikaherstellers aus Ulm in dem Prozess als Zeuge gehört werden.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Mehr zum Thema
China verunsichert Unternehmen
Neue Engpässe wegen Anti-Spionagegesetz?
Mehr aus Ressort
Jahrgangsbester übernimmt in 2. Generation
Hochbegabt: Lieber Inhaber als Industriekarriere

APOTHEKE ADHOC Debatte