Interview Sanacorp

„Wir agieren nicht im Naturschutzreservat“

, Uhr

Mit der Übernahme des Familienunternehmens „von der Linde“ landete die Sanacorp kurz vor Weihnachten den letzten großen Coup des Jahres 2008. Neben der Fusion mit der französischen Astera, ehemals CERP Rouen, steht nun eine weitere Großbaustelle für die Genossenschaft aus München auf dem Plan. APOTHEKE ADHOC sprach mit dem Vorstandsvorsitzenden der Sanacorp, Manfred Renner, über die aktuelle Marktposition, neue Projekte und die Zukunft der apothekereigenen Unternehmen in Europa.

ADHOC: Herr Renner, wo steht die Sanacorp Anfang 2009?
RENNER: Unser Apothekerunternehmen befindet sich in einer Position, die klar auf Zukunft ausgerichtet ist. Wir haben für die Sanacorp das Tor zu Europa geöffnet. Der Zusammenschluss mit unserem französischen Partner macht gute Fortschritte. Und unsere jüngste Akquisition stärkt uns in Deutschland.

ADHOC: Auf welche Position im Großhandelsmarkt werden Sie aufrücken?
RENNER: Zunächst: Die zuständigen Kartellbehörden müssen dem angestrebten Zusammenschluss mit „von der Linde“ noch zustimmen; der entsprechende Antrag ist gestellt und wird zurzeit bearbeitet. Wenn alles klar geht, werden wir nach Umsatz wohl die Nummer 2 innerhalb des Großhandelsmarktes in Deutschland. Natürlich freut es uns, wenn wir diesen Rang einnehmen und den vorherigen 5. Platz einem anderen überlassen. Aber wir sind kein Fußball-Club. Deshalb interessiert uns die statistische Rangfolge nicht so sehr.

ADHOC: Was waren dann die Gründe für die Übernahme von „von der Linde“?
RENNER: Als Unternehmen haben wir die Verpflichtung, unsere Markt- und Wettbewerbskraft stets zu verbessern. In unserem Markt ist dafür eine flächendeckende Präsenz von besonderer Bedeutung. Mit „von der Linde“ werden wir diesbezüglich einen hervorragenden Status erreichen, zumal unser Marktgebiet nahezu optimal komplettiert wird. Für Vermarktungsaktionen mit der Pharmaindustrie verfügen wir über ein Umsetzungspotenzial, das weitere Vorteile erschließen lässt. Diese Gelegenheit wollten wir im Sinne unserer Kunden, Mitglieder und auch Mitarbeiter nicht ungenutzt lassen.

ADHOC: Wie haben Sie denn die Übernahme finanziert?
RENNER: Der Begriff „Übernahme“ wird oft negativ gesehen, etwa als „feindliche Übernahme“. Das war hier nicht der Fall; wir sind harmonisch aufeinander zugegangen, unsere Strategien passen zusammen. Wie auch immer: Trotz Bankenkrise haben wir die Finanzierung reibungslos aufgestellt. Aufgrund unserer guten Bonität - die Sanacorp hat eine Eigenkapitalquote von mehr als 50 Prozent - gab es da keine Schwierigkeiten, eine Finanzierung mit unseren Hausbanken darzustellen.

ADHOC: Wäre denn auch ein Verkauf der Anzag-Anteile infrage gekommen?
RENNER: Wir haben nie erwogen, für die aktuelle Finanzierung unsere Anteile zu verkaufen. Unser Anzag-Paket ist ein strategisches wie auch rentables Finanzinvestment; unser Einfluss im rechtlich zulässigen Rahmen ist gesichert.

ADHOC: Vor einem Jahr hat die Sanacorp in Gelsenkirchen ein Vertriebszentrum neu eröffnet, „von der Linde“ folgte vor wenigen Monaten mit einem neuen Haus im benachbarten Herne. Wird es hier Abschreibungen geben?
RENNER: Nein. Wir werden das Haus in Gelsenkirchen wahrscheinlich für ein neues Geschäftsfeld nutzen. Haben Sie bitte Verständnis, dass ich Ihnen dazu im Moment noch keine Details nennen kann.

ADHOC: Man sagt, dass es kein Inhaber lange in seinem Geschäft aushält, wenn er es einmal verkauft hat. Nun wechselt Herr von der Linde in den Vorstand der Sanacorp.
RENNER: Wissen Sie, man hat nicht alle Tage die Möglichkeit, einen derart versierten Branchenkenner und erfolgreichen Unternehmer für das eigene Management zu gewinnen. Eine solche personelle Verzahnung, bei der nicht nur die Kompetenz, sondern auch die zwischenmenschliche „Chemie“ stimmt, kommt auch Kunden und Mitarbeitern zugute.

ADHOC: Wie bewerten Sie denn das Votum des Generalanwalts?
RENNER: Ich denke, man sollte das Thema nicht als erledigt betrachten. Denn selbst wenn die Besitzfrage geklärt ist, wird es weitere Versuche geben, Einfluss auf die Einzelhandelsstufe zu nehmen. Dazu haben einige Player einfach zu viel investiert. Sollten die Richter dem Generalanwalt folgen, werden wir möglicherweise eine hektische Flucht nach vorne erleben. Die bekannten Akteure werden zudem auch weiterhin versuchen, auf politischer Ebene den Boden zu bereiten.

ADHOC: Was bedeutet das für die Sanacorp?
RENNER: Wir wollen keine Ketten, aber wir fürchten sie auch nicht. Wir wüssten, wie wir damit umzugehen hätten. Das Bestreben von Systemveränderern, in diese Richtung vorzustoßen, sehe ich nach wie vor.

ADHOC: Zum Beispiel über Kooperationsangebote?
RENNER: Natürlich. Wir werden unabhängig von der einschlägigen Gesetzeslage künftig eine viel stärkere Ansprache seitens der Dachmarken gegenüber dem Verbraucher erleben als das heute der Fall ist.

ADHOC: Immerhin mischt die Sanacorp im Kooperationenmarkt mit.
RENNER: Wir agieren ja nicht in einem Naturschutzreservat, sondern im freien Wettbewerb. In Zukunft wird derjenige im Vorteil sein, der für gemeinsame Vermarktungskonzepte von Industrie, Großhandel und Apotheke möglichst viele Kooperationspartner vorweisen kann. Mit Aktivpartner und „meine apotheke“ verfügt die Sanacorp derzeit über rund 2500 derartige Partner. Andererseits bin ich nicht der Meinung, dass alle Apotheken unter das Dach einer Kooperation oder gar eines gemeinsamen Auftritts schlüpfen müssen. Wir werden das Thema jedenfalls auch weiterhin nicht aggressiv vorantreiben, aber uns dem Wettbewerb stellen und geeignete Konzepte für differenzierte Zielgruppen weiterentwickeln und anbieten.

ADHOC: Treiben Sie denn das Thema Exklusivvertrieb voran?
RENNER: Nein. Die Behauptung, dass wir als Steigbügelhalter für einen Hersteller agieren, ist vollkommener Unsinn. Wir haben in einem speziellen Fall ein Angebot abgegeben, aber erst nachdem bereits zwei Mitbewerber aktiv geworden sind. Wir sind der Meinung, dass wir ein solches Vorhaben eines Herstellers, wenn es denn zur Umsetzung kommt, im Einflussbereich der Apotheker halten sollten. Dafür steht das Apothekerunternehmen Sanacorp als Garant. Da das Thema DTP möglicherweise nicht nur unsere Kunden, sondern alle Apotheken in Deutschland beträfe, müsste meines Erachtens auch die Standesvertretung eingebunden sein; eine entsprechende Verständigung würden wir dafür vorsehen.

ADHOC: Wieviel zusätzlichen Druck bringen denn an dieser Front Absichtserklärungen von Logistikern oder Dienstleistern wie Arvato?
RENNER: Diese potenziellen Konkurrenten muss man ernst nehmen. Aber derzeit verzeichnen wir beim Thema DTP eher eine gewisse Zurückhaltung seitens der Hersteller.

ADHOC: Was gibt es Neues bei Millennium, Ihrer Kooperation mit der französischen Astera, ehemals CERP Rouen?
RENNER: Das Projekt läuft gut an. Wir haben Arbeitsgruppen eingerichtet, die Synergiefelder, zum Beispiel in den Bereichen IT und Einkauf, bearbeiten. Und wir werden auch beobachtet, zum Beispiel von Interessenten aus anderen Ländern, wie etwa Italien, Portugal oder Tschechien.

ADHOC: Muss ein solcher Zusammenschluss nicht konkrete wirtschaftliche Früchte tragen.
RENNER: Natürlich. Heute gibt es zum Beispiel bei der Handelsware noch keinen gemeinsamen Einkauf. Das soll sich ändern, und es gibt weitere Bereiche. Im Laufe dieses Jahres werden wir erste materielle Vorteile aus dieser Kooperation einfahren.

ADHOC: Wohin soll denn die Reise mit Millenium noch gehen?
RENNER: Unser Fernziel ist der Aufbau einer europäischen Genossenschaft nach EU-Recht. Es gibt viele Apothekergenossenschaften in den europäischen Nachbarländern. Die gebündelten Kräfte der Apotheker Europas können eine Stärke erreichen, die sie zum eigenen Nutzen auf Augenhöhe mit den Kapitalkonzernen bringt. Dafür lohnt es sich zu arbeiten.

ADHOC: Wäre ein nationaler Zusammenschluss nicht nahe liegender gewesen?
RENNER: Ich mache keinen Hehl daraus, dass wir hier in der Vergangenheit Wünsche hatten, die leider nicht in Erfüllung gegangen sind. Aber ich denke, wir können uns auch jetzt noch im apothekerbestimmten Großhandel sinnvoll ergänzen, um möglichst viele Interessenten für das genossenschaftliche Lager zu finden. Jeder selbstständige Apotheker in Deutschland, der auch in Zukunft noch unabhängig sein will, hat die Möglichkeit, sich einem oder auch beiden apothekereigenen Unternehmen anzuschließen.

ADHOC: Ist denn die Genossenschaftsidee überhaupt noch zeitgemäß?
RENNER: Auf jeden Fall. Nehmen Sie nur die aktuelle Finanzkrise: Die Banken sind vorsichtiger geworden, die Krise schlägt bei uns aber noch nicht auf. Das liegt zunächst natürlich an unseren Rücklagen, aber auch an der interessanten Mitgliederzahl. Dabei ist es ein klarer Vorteil, dass bei Genossenschaften die Finanzierung auf vielen Schultern verteilt ist. Oder anders ausgedrückt: Der breit aufgestellte Mittelstand ist nach wie vor äußerst attraktiv.

ADHOC: Rosige Aussichten also für die Zukunft?
RENNER: Die Aussichten sind absolut positiv: Die apothekerbestimmten Großhändler haben nach unserer - von mir erwarteten - Erweiterung in Deutschland einen kumulierten Marktanteil von mehr als 30 Prozent; so viel wie nie zuvor. Erfreulicherweise erkennen derzeit auch viele junge Apothekerinnen und Apotheker, wie wichtig es ist, sich auf ihrer vorgelagerten Handelsstufe die Möglichkeit zur Mitgestaltung zu sichern. Wir sind ja nicht altmodisch, weil wir Werte im Sinne der inhabergeführten Apotheken bewahren wollen. Die selbstständige Apotheke hat einen bewährten Platz in unserem Gesundheitswesen. Eine solche Tradition nicht über Bord zu werfen, finde ich fortschrittlich.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Mehr zum Thema
Nächster Besuch bei Merck
Habeck besucht Pharma-Standorte
194 Mitglieder wollen Vertragswerk retten
WHO-Pandemieabkommen: Neuer Entwurf, neue Verhandlungen
Mehr aus Ressort
Bald dann auch mit CardLink
Gedisa: App und Portal mit Shop-Funktion
Persönlicher Austausch mit Apotheken
Privatgroßhändler: Skonto-Urteil verändert Markt
Streit um Gesundheitsdaten auf Plattformen
OTC via Amazon: Generalanwalt sieht keinen Datenverstoß

APOTHEKE ADHOC Debatte