Eigentlich gelten Festbeträge als eines der schärfsten Sparinstrumente im Generikamarkt. Doch was tun, wenn kein Wettbewerb mehr existiert und die Patientinnen und Patienten durch Preiserhöhungen zu Mehrkosten verdonnert werden? Der GKV-Spitzenverband drehte den Spieß um und hob zum 1. Januar 2023 bei Quilonum retard den Festbetrag auf. Statt der Versicherten muss nun der Hersteller Teofarma bluten.
Quilonum retard wird eingesetzt zur Vorbeugung und Behandlung von bipolaren Störungen, also manischen und depressiven Episoden, sowie zur Behandlung von Cluster-Kopfschmerz. Das Arzneimittel wurde bereits 1967 klinisch eingeführt und ist eines der ältesten modernen Psychopharmaka weltweit. Enthalten sind 450 mg Lithiumcarbonat, es gibt zwei Packungsgrößen mit 50 beziehungsweise 100 Tabletten. Seit 1991 ist das Präparat der Festbetragsgruppe „Lithium, feste orale Darreichungsformen, verzögert freisetzend“ zugeordnet.
Zwar gibt es mit Hypnorex ein Alternativpräparat des maltesischen Herstellers Essential Pharma; doch rund 85 Prozent des Marktes entfallen auf Quilonum. Teofarma erhöhte bereits vor Jahren den Preis für sein Präparat über Festbetrag, neben der Zuzahlung mussten die Versicherten auch die Mehrkosten von mehr als 3 beziehungsweise 7 Euro tragen. Beim Konkurrenzprodukt lag die Aufzahlung sogar noch höher.
Im August 2022 beschloss der Vorstand des GKV-Spitzenverbands daher die Streichung der Festbetragsgruppe. Begründet wurde dies damit, dass im Jahr zuvor nur 22,2 Prozent der Packungen und 0,08 Prozent der Verordnungen zum Festbetrag verfügbar waren. Laut § 35 Sozialgesetzbuch (SGB V) sind Festbeträge so festzusetzen, dass sie eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche sowie in der Qualität gesicherte Versorgung gewährleisten. Konkret müssen mindestens ein Fünftel aller Verordnungen und mindestens ein Fünftel aller Packungen zum Festbetrag verfügbar sein.
Zwar hätte Teofarma nun theoretisch die Möglichkeit gehabt, den Preis für sein Präparat beliebig festzusetzen. Allerdings gilt seit Jahren ein Preismoratorium: Erhöht sich der Abgabepreis gegenüber dem Preisstand am 1. August 2009, erhalten die Krankenkassen laut § 130a für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel einen Abschlag in Höhe des Betrages der Preiserhöhung. Damit steckt der Hersteller jetzt in der Preisfalle: Bislang konnte er den Preis anheben, weil dies über die Mehrkosten an die Versicherten weitergegeben wurde. Jetzt muss er etwaige Kostensteigerungen komplett aus eigener Tasche zahlen.
Hinzu kommt: Durch den Wegfall des Festbetrags wurde der komplette Herstellerabschlag wieder scharfgeschaltet: Statt 10 Prozent müssen Hersteller bei Generika ohne Festbetrag 16 Prozent Zwangsrabatt an die Krankenkassen zahlen.
Der GKV-Spitzenverband hatte die finanziellen Folgen genau ausgerechnet: Bei insgesamt 434.300 Verordnungen in 2021 und einem Gesamtumsatz von 19,52 Millionen Euro sollten sich hiernach Mehrbelastungen für die beiden Anbieter in Höhe von 5,26 Millionen Euro ergeben. Dagegen sollten Krankenkassen und Versicherte von Einsparungen in Höhe von 1,84 beziehungsweise 3,4 Millionen Euro profitieren. Einen ähnlichen Effekt sollte es bei Choriongonadotropin geben, für das parallel ebenfalls der Festbetrag gestrichen wurde.
Teofarma klagte, doch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) wies die Klage ab: Es handele sich bei der Entscheidung über die Aufhebung der Festbetragsgruppe nicht um einen Eingriff in eine Rechtsposition des Herstellers, sondern um die Beendigung eines Eingriffs insbesondere in die Rechte der Versicherten. Die Überprüfung des Festbetrags sei gesetzlich vorgeschrieben, um möglichst große Einsparungen zu generieren und gleichzeitig eine Überforderung der Patientinnen und Patienten zu vermeiden. Im Fall von Lithium sei der Anteil der aufzahlungsfrei erfüllten Verordnungen auf einen zu vernachlässigenden Anteil gesunken; gleichzeitig habe Teofarma seinen Marktanteil weiter steigern können. „Insgesamt hat sich damit über einen mehrjährigen Zeitraum betrachtet eine Entwicklung ergeben, die einen immer höheren Einfluss der aufzahlungspflichtigen Packungen auf den verordnungsgewichteten Durchschnittspreis mit einem kontinuierlich steigenden Marktanteil kombiniert.“
Trotz mehrerer Anpassungen des Festbetrags habe sich der tatsächliche Durchschnittspreis dahingehend entwickelt, dass er von den aufzahlungspflichtigen Arzneimitteln dominiert werde. Vor diesem Hintergrund war die Annahme des GKV-Spitzenverbands, es fehle an einem funktionierenden Preiswettbewerb im Sinne der kostendämpfenden Zielsetzung des Festbetragssystems, laut LSG nicht nur nicht willkürlich, sondern auch zutreffend. „Auf die Gründe der Preisanhebungen kommt es dabei nicht an.“
Der Festbetrag dient nicht der unmittelbaren Preisregulierung, sondern der Herstellung eines Wettbewerbs über die Beschränkung des Leistungsanspruchs der Versicherten und damit einhergehend der Therapiefreiheit der Vertragsärzte. „Objektiv hat sich hier die Situation entwickelt, dass die Versicherten durch die zeitliche Korrelation der Anhebung des Abgabepreises und der Festbetragsanpassung durchgehend zu Aufzahlungen für das Arzneimittel gezwungen waren, wobei es ohnehin nur zwei Hersteller (zuzüglich Importeure) gibt.“
Noch nicht einmal ein Dämpfungseffekt in Bezug auf Preissteigerungen. Teofarma habe alleine 2020 eine derart erhebliche Preiserhöhung durchsetzen können, dass das Arzneimittel faktisch zu keinem Zeitpunkt mehr zum Festbetrag erhältlich gewesen sei. Auch bei der Anhebung des Festbetrags im April 2022 habe der Hersteller zeitgleich eine Preiserhöhung durchgeführt, sodass mit Blick auf den Marktanteil keine Aussicht auf eine Änderung der eingetretenen Entwicklung bestanden habe: „Angesichts der gesetzlichen Verpflichtung, die Verfügbarkeit von einem Fünftel der Verordnungen zum Festbetrag sicherzustellen, kann ein pharmazeutisches Unternehmen mit einem verordnungsbezogenen Marktanteil von mehr als 80 Prozent – wie er hier nicht nur momentan vorlag – durch seine Preisgestaltung den neuen Festbetrag maßgeblich bestimmen.“
Faktisch habe sich der Festbetrag in Richtung einer Reduzierung des Anspruchs der Versicherten auf eine Teilkostenerstattung entwickelt. Hier habe der GKV-Spitzenverband reagieren müssen: „Die Aufhebung eines Festbetrages ist regelmäßig darin begründet, dass nicht mehr genügend Anbieter von Arzneimitteln der entsprechenden Festbetragsgruppe auf dem Markt sind und somit die Voraussetzungen zur Bildung einer Festbetragsgruppe nicht mehr vorliegen.“ Seit dem Engpassgesetz (ALBVVG) sei in solchen Fällen sogar ein „unmittelbarer Aufhebungsbefehl“ an den GKV-Spitzenverband gerichtet.
Dass der Hersteller nun einen höheren Zwangsabschlag zahlen muss, sei unerheblich. Denn die Ausnahmeregelung habe ihre Begründung gerade in der Annahme gefunden, dass in Marktsegmenten von Festbetragsarzneimitteln bereits ausreichend Preiswettbewerb vorhanden sei und dieser eine wirtschaftliche Versorgung ermögliche. „Liegt der Regelung die gesetzgeberische Vermutung eines Preiswettbewerbs zu Grunde, kann sie einem Aufhebungsbeschluss nicht entgegenstehen, der seine Rechtfertigung maßgeblich in der Widerlegung dieser Vermutung findet.“ Im Übrigen seien Preiserhöhungsbeträge oberhalb des Festbetrags seit 2014 vom Preismoratorium erfasst.
Doch selbst wenn man unterstelle, dass der Hersteller durch das Eingreifen dieser Regelungen in seinen Rechten verletzt werde: Laut LSG könnte dies nicht dazu führen, dass der Eingriff in die Rechte der Versicherten und Vertragsärzte durch die Festbetragsfestsetzung aufrechtzuerhalten wäre.