Pharmahandelskonzerne

Eine neue Mutter für Phoenix

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Berlin -

Familien brauchen Mütter, Familienkonzerne brauchen Konzernmütter. Bei Phoenix waren, um im Bilde zu bleiben, die Verhältnisse etwas durcheinander. Jetzt räumt Ludwig Merckle auf: Der Mannheimer Pharmahändler bekommt eine neue Dachgesellschaft. Dazu bringen die Gründungsfirmen ihre Anteile in eine Societas Europaea (SE) ein.

Die Anfänge von Phoenix reichen weit zurück: Um sich auf die Produktion von Fertigarzneimitteln zu konzentrieren, hatte die Merckle-Familie noch vor dem 2. Weltkrieg ihre 1881 gegründete Chemikaliengroßhandlung verkauft – und im Gegenzug Anteile am Nürnberger Großhändler Otto Stumpf übernommen.

Dieses Aktienpaket baute Adolf Merckle später aus – „mit Zielstrebigkeit, viel Kapital und sehr langem Atem“, wie sein Sohn 2015 zum 20-jährigen Firmenjubiläum sagte. Dazu kamen Beteiligungen an F. Reichelt (Hamburg), Hageda (Köln) und zuletzt Ferd. Schulze (Mannheim). Ziel sei es gewesen, die regional aufgestellten Firmen zu einem deutschen Marktführer zu vereinen, was angesichts vieler Widerstände in der Anfangszeit nicht einfach gewesen sei, erinnert Ludwig Merckle.

Anfang der 1990er Jahre war es so weit: Adolf Merckle hatte – mehr oder weniger verdeckt – genügend Anteile eingesammelt, um seine Vision umzusetzen. Gemeinsam mit seinem damaligen Anwalt Dr. Bernd Scheifele – später Vorstands-, heute Beiratschef – funktionierte er die traditionsreichen, zum Teil börsennotierten Großhändler zu Immobilien- und Vermögensverwaltungen um – und überschrieb ihnen im Gegenzug wesentliche Anteile an den oberen Konzernebenen von Phoenix.

Am 18. Januar 1994 wurden die Betriebspachtverträge unterzeichnet. Das Modell funktionierte wie folgt: Der Mannheimer Großhändler Ferd. Schulze, zu 100 Prozent in Besitz von Merckle, wurde in Phoenix umgewandelt. Die anderen Großhändler verpachteten ihre Niederlassungen samt Kundenstamm an den Branchenprimus. Im Gegenzug erhielten sie jährlich Millionenzahlungen sowie einen Zuschlag auf alle Investitionen. 2008 wurden die gewinnabhängigen Pachtzahlungen gestrichen, stattdessen wurde der ursprünglich Fixbetrag erhöht. Das Modell war langfristig angelegt: Alleine der Vertrag mit Stumpf hatte eine Laufzeit bis 2025.

Parallel erhielten Reichelt, Hageda und Stumpf zwischen 10 und 20 Prozent der Anteile am Kommanditkapital von Phoenix. Doch die verbliebenen Minderheitsaktionäre gingen leer aus: Merckle peitschte die von ihm beherrschten börsennotierten Finanzdrehscheiben durch etliche Kapitalerhöhungen. Weil bei Phoenix im Jahrestakt Millionen für die internationale Kriegskasse aufgestockt wurden, konnten jahrelang keine Dividenden ausgeschüttet werden.

Erst ab 2004 gab es bei Reichelt & Co. überhaupt wieder Ausschüttungen an die Anteilseigner. Dies hatte zwar die Aktien vorübergehend aus dem Tiefschlaf geweckt und zweitweise zu den teuersten Anteilsscheinen in Deutschland gemacht. Doch spätestens als kurz vor Weihnachten 2007 bei Hageda und Stumpf die Minderheitsaktionäre ausbezahlt wurden, verschwanden die einst klangvollen Namen wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung.

Fünf Jahre später wurde auch Reichelt „abgewickelt“. Bis dahin hatte das Schicksal der Firma an einem einzigen Investor gehangen: Knapp 7 Prozent der Anteile – und damit indirekt etwas mehr als 1 Prozent an Phoenix – hielt die Familie von Horst Gaßmann, Autohändler aus dem niedersächsischen Sittensen. Als er sich mit der Merckle-Familie einig wurde, war der Weg frei für den Squeeze-out der übrigen Aktionäre. Vor allem ehemalige Mitarbeiter und Kleinanleger aus Hamburg hatten bis dahin ihre Anteile behalten. Entsprechend hoch war der Altersdurchschnitt; zuletzt wurden auch kaum noch Aktien gehandelt.

Zu sagen hatten Gaßmann und seine Mitstreiter bei Reichelt nichts. 2008, so kam später heraus, hatte Merckle im Alleingang sogar die Anteile, die Reichelt an Phoenix besaß, an die Banken verpfändet. Nur weil durch den Verkauf von Ratiopharm der Befreiungsschlag gelang, blieben die übrigen Vermögenswerte erhalten.

Einmal im Jahr durften die Kleinaktionäre bei den – nicht selten tumultartig verlaufenden – Hauptversammlungen Dampf ablassen. Wenn die Anteilseigner in kleinen Konferenzräumen in Hamburger Hotels zusammen kamen, ging es aber stets auch nostalgisch zu. Das kleine Reichelt-Sekretariat in der Hamburger Phoenix-Niederlassung achtete darauf, dass immer wieder auch Ehrengäste aus vergangenen Zeiten eingeladen wurden. Die Gesandten aus Ulm, die nach dem Tod des langjährigen Firmenchefs Werner Harder im Frühjahr 2009 gleich zweimal kurz nacheinander ausgetauscht wurden, wirkten dabei wie Zaungäste. Das änderte freilich nichts daran, dass ihre Stimmkarte die einzig entscheidende war.

Warum Merckle das Konstrukt nicht früher auflöste, darüber kann nur spekuliert werden. Eine Frage des Preises, sagen die einen. Hobby, sagen die anderen. Was seltsam klingt, könnte einen wahren Kern haben: Als Chef des Aufsichtsrats zoffte sich der Multimilliardär bis 2007 regelmäßig bei den Hauptversammlungen mit seinen Mitaktionären. Und ein Fan von überschaubaren Verhältnissen in der Unternehmensgruppe war er bekanntermaßen ohnehin nicht.

Doch jetzt stehen die Vorzeichen anders. Nach monatelangen Vorbereitungsarbeiten wurde im April die Phoenix Pharma SE mit Sitz in Mannheim gegründet, seitdem haben Reichelt, Stumpf und Hageda einen großen Teil ihre Anteile an Phoenix in die Firma eingebracht. Damit hält die neu gegründete Dachgesellschaft nun die Mehrheit der Kommanditanteile am deutschen Pharmahandelskonzern und seiner Komplementärin mit Sitz in Vaduz (Liechtenstein).

Laut Phoenix wurden mit der Umwandlung nicht nur die Beteiligungsstrukturen vereinfacht, sondern auch „die Weichen für die weitere Zukunft als Familienunternehmen gestellt“. Die Eigentumsverhältnisse blieben unverändert und auch für die Beschäftigten ändere sich nichts. „Familie Merckle betrachtet Phoenix als wichtiges und dauerhaftes Standbein ihrer Unternehmensgruppe und will gemeinsam mit der Geschäftsführung Wachstumschancen in Europa wahrnehmen, wo immer sie sich bieten.“

Das operative Geschäft ist nach wie vor in der Phoenix Pharmahandel GmbH & Co KG gebündelt, hier werden direkt und indirekt alle in- und ausländischen Tochtergesellschaften gehalten. Der Aufsichtsrat der SE setzt sich aus den fünf Beiratsmitgliedern von Phoenix zusammen, den Vorstand bilden die vier Phoenix-Geschäftsführer in Personalunion.

Phoenix ist der letzte verbliebene unabhängige Pharmahändler in Europa. Im Geschäftsjahr 2016/17 wurde beim Gesamtumsatz erstmals die 30 Milliarden Euro-Grenze geknackt. Als Großhändler ist Phoenix in 26 Ländern aktiv, als Einzelhändler mit eigenen Apotheken in 13 Ländern. Damit liegt Phoenix klar vor Celesio und Walgreens Boots Alliance, die allerdings größere Umsätze vorweisen können. 35 Prozent der Erlöse erzielt Phoenix in Deutschland, ebenfalls 35 Prozent in Westeuropa, 16 Prozent in Nordeuropa und 14 Prozent in Osteuropa. „In zwölf Ländern ist Phoenix die Nummer 1 im Großhandel“, so Windholz.

Die SE ist eine moderne Unternehmensform, die immer mehr Anklang findet. Das europäische Pendant zur AG wurde 2001 durch eine EU-Verordnung ins Leben gerufen und wird seitdem immer beliebter, weil sie mit Blick auf die Vorgaben zur Unternehmenführung flexibler ist. Außerdem genießt sie einen besseren Ruf. Weitere Beispiele sind Allianz, Axel Springer, BASF, Compugroup Medical (CGM), Fresenius, GfK, Porsche, ProSiebenSat.1 und Puma. Aber auch Bionorica firmiert als SE.

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