FAZ berichtet über „Scheinrechnungen“

ARZ Haan: Unregelmäßigkeiten bei Rechenzentrum?

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Berlin -

Das Letzte, was der Markt seit der Pleite von AvP und der Krise von Noventi gebrauchen kann, ist ein weiterer Skandal im Bereich der Rechenzentren. Doch genau der droht jetzt, und zwar beim ARZ Haan. Laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) hat die Staatsanwaltschaft Dortmund nach einer Strafanzeige ein Ermittlungsverfahren aufgenommen. Es könnte um Bilanzmanipulation gehen – oder um Betrug.

Im Frühjahr vermeldete das ARZ Haan die Übernahme des auf Pflegeberatungen und -schulungen spezialisierten Anbieters WDS aus Dortmund. Was damals nicht erwähnt wurde: Das Unternehmen war längst im Insolvenzverfahren – und zu den größten Gläubigern gehörte ausgerechnet die standeseigene Abrechnungsgruppe: Forderungen des Rechenzentrums für Heilberufe (RZH) in Höhe von 16 Millionen Euro drohten laut FAZ auszufallen und dadurch die Abrechnungsdienstleister, aber auch den Mutterkonzern in die roten Zahlen zu ziehen.

Laut Bericht war die Misere auf Finanzierungsgeschäfte bei der Abrechnung von Corona-Tests zurückzuführen. Ursprünglich als Webagentur gegründet, hatte WDS sich ab 2006 dem Pflegemarkt verschrieben. Um das mit der Pandemie wegbrechende Geschäft der Pflegeberatung zu kompensieren, stieg das Unternehmen, an dem neben den Gründern seit 2018 auch der Investor Luxempart beteiligt war, ab 2020 groß in den Betrieb von Testzentren ein – finanziert wurde das Ganze auch über die RZH.

Forderungen umgeschrieben

Bis Ende 2021 summierten sich die Außenstände laut FAZ auf 9 Millionen Euro. Statt aber das Geld einzutreiben, sollen Rechnungen dann plötzlich storniert und auf andere Firmen umgeschrieben worden sein – was womöglich mit Blick auf Fristen und den eigenen Jahresabschluss geschehen sei. Das ARZ Haan wies solche Vorgänge gegenüber der FAZ zurück: „Es wurden keinerlei Rechnungen gelöscht beziehungsweise durch andere ersetzt. Sämtliche Forderungen sind in unserem Buchhaltungssystem revisionssicher abgebildet und nachvollziehbar. Unsere Prozesse sehen vor, dass bei Rechnungseinreden nach Rücksprache mit dem Kunden die betroffenen Rechnungsbestandteile abgesetzt und dem Kunden zurückbelastet werden.“

Zusätzliche Brisanz gewinnt der Fall aber aufgrund der Tatsache, dass der Insolvenzverwalter der WDS laut Bericht die angemeldeten Forderungen des ARZ Haan bestritt. Grund könnte laut FAZ sein, dass er Unregelmäßigkeiten bei den Rechnungen erkannte. Denn mindestens eine der Firmen, denen im Dezember 2021 Rechnungen ausgestellt wurden, hatte die Forderungen im Sommer 2022 mangels „Bestellung und Lieferung“ zurückgeweisen.

Reine Scheinrechnungen?

Genau darum dreht sich laut Bericht auch das Ermittlungsverfahren: „Der Verdacht lautet nun: Bei diesen Unterlagen hat es sich mutmaßlich um reine Scheinrechnungen gehandelt. RZH soll das Geld ausgezahlt haben, ohne dass die Rechnungen wie üblich mit Kundenverträgen, Angeboten, Auftragsbestätigungen oder Lieferscheinen belegt werden mussten. Die Auszahlungen sollen oft via Chat-Zuruf und nicht selten per Eilüberweisung getätigt worden sein.“

Aus den Akten ergibt sich laut FAZ aber ein noch schlimmerer Verdacht: „Teile der Scheinrechnungen könnten unter Mitwirkung von Mitarbeitern aus dem Konzernverbund der ARZ Haan AG und mit Wissen des Vorstands eingereicht worden sein“, heißt es im Bericht. Und: Möglicherweise sei WDS sogar proaktiv angeboten worden, Scheinrechnungen einzureichen – zum Schaden des ARZ Haan.

Während der Finanzvorstand vor einem Jahr aus dem zweiköpfigen Führungsgremium ausgeschieden ist, stellt sich laut FAZ die Frage nach den Aufsichtspflichten der Kontrollgremien. Gesellschafter des ARZ Haan sind der Apothekerverband Nordrhein und die Deutsche Apotheker- und Ärztebank (Apobank), im Aufsichtsrat sitzen daher Verbandschef Thomas Preis sowie drei Verteter der Genossenschaftsbank.

Kosten: 20 Millionen Euro

Angesichts der Gesamtgemengelage erscheint es zumindest möglich, dass mit dem Erwerb der WDS wenigstens die drohenden Verluste verschleiert werden sollten. Laut Bericht zahlte das Rechenzentrum 500.000 Euro, bediente aber auch die Forderungen der anderen Gläubiger mit einer vergleichsweise hohen Quote von 80 Prozent. Insgesamt stellte das ARZ Haan demnach ein Gesamtvolumen von mehr als 20 Millionen Euro bereit – für ein Unternehmen, das 2021 in der Spitze 13 Millionen Euro umgesetzt hatte und 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte.

Für 2022 meldete ARZ Haan ein Konzernergebnis vor Steuern in Höhe von 7 Millionen Euro. Abgeschrieben wurden im selben Jahr Forderungen in Höhe von 4,9 Millionen Euro – im Geschäftsbericht ist die Rede von einer „notwendigen Wertberichtigung [...], die jedoch einen Einmaleffekt für die Unternehmensgruppe darstellt“.

Und an anderer Stelle heißt es: „Die Wertberichtigungen auf Forderungen von 4,4 Millionen Euro sind hauptsächlich durch einen größeren Fall von Abrechnungsbetrug im Bereich der Sonstigen Leistungserbringer geprägt.“ Der Verdacht eines wesentlichen Adressenausfallrisikos habe sich bestätigt, zwischenzeitlich habe der Kunde Insolvenz angemeldet. „Der Fokus der aktuellen Bemühungen liegt auf der Prüfung der Werthaltigkeit und den Optionen zur Rückführung der Forderungen.“

Unabhängig vom Ausgang der laufenden Ermittlungen könnten demnächst weitere Bilanzkorrekturen ins Haus stehen. Und jede Menge Fragen, was man als apothekereigenes Rechenzentrum eigentlich für Geschäfte betreibt. Das Unternehmen will bis Mittag eine Stellungnahme abgeben.

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