Urteil zu Plattformen

Apotheken interessieren EuGH nicht

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Berlin -

Wenn Arzneimittel von Apotheken über Plattformen wie DocMorris/Doctipharma vertrieben werden – wird das Portal dann selbst zur Apotheke? Nein, findet der Europäische Gerichtshof (EuGH), die Vermittlung von Bestellungen nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel sei als „Dienst der Informationsgesellschaft“ durch EU-Recht geschützt und dürfe nicht verboten werden. Anders als der Generalanwalt befassten sich die Richter überhaupt nicht mit der Frage, ob die Apotheken in solchen Konstrukten nur Erfüllungsgehilfen sind und ihre Position dadurch auf Dauer untergraben wird.

Die Mitgliedstaaten dürfen zwar selbst bestimmen, wer Arzneimittel verkaufen darf. Richtlinie 2001/83 sieht aber ausdrücklich vor, dass sie – abgesehen vom Bereich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel – dafür zu sorgen haben, dass dabei der „Fernverkauf mittels Diensten der Informationsgesellschaft“ möglich ist (Artikel 85c Absatz 1).

In diesem Zusammenhang wird den Mitgliedstaaten zwar wiederum die Möglichkeit eingeräumt, „aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigte Bedingungen für den auf ihrem Hoheitsgebiet durchgeführten Einzelhandelsvertrieb von Arzneimitteln“ für den Versandhandel aufzustellen (Art. 85c Absatz 2).

Doch daraus lässt sich laut EuGH für Plattformen nichts ableiten. Denn aus Sicht der Richter wäre es „widersprüchlich“ anzunehmen, dass die Nutzung eines Dienstes nach Absatz 1 von den Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Absatz 2 verboten werden könnte.

Beschränkt sich eine Plattform „durch eine eigene und vom Verkauf unabhängige Leistung darauf, Verkäufer und Kunden zusammenzuführen, dürfen die Mitgliedstaaten diesen Dienst nicht mit der Begründung verbieten, dass die betreffende Gesellschaft am elektronischen Handel mit Arzneimitteln beteiligt sei, ohne die Eigenschaft eines Apothekers zu haben“, so die Entscheidung.

Das Berufungsgericht in Paris muss nun prüfen, wie die Verhältnisse bei DocMorris/Doctipharma tatsächlich sind, ob die Plattform also nur den Kontakt vermittelt oder selbst als Verkäufer in Erscheinung tritt. Wie die Plattform für ihre Teilnahme vergütet werden – gar nicht, per Fixgebühr oder prozentualer Umsatzbeteiligung – spielt dabei laut EuGH jedenfalls keine Rolle.

Schutz des Vertrauensverhältnisses

Anders als Generalanwalt Maciej Szpunar befasste sich der EuGH nicht mehr mit den Risiken, die der Verkauf von Arzneimitteln über Plattformen womöglich auch mit Blick auf die Rolle der Apotheken haben kann. Szpunar hatte er ausführlich hingewiesen auf die Bedeutung des „Vertrauensverhältnisses, das zwischen einem Angehörigen der Gesundheitsberufe wie einem Apotheker und seinen Kunden herrschen muss“. Davon findet sich im Urteil nichts mehr.

Laut Szpunar könnte schon der „Schutz der Würde eines reglementierten Berufs“ einen überragenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der im Zusammenhang mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit steht und damit eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit rechtfertigen kann. „Gleiches gilt im Hinblick auf die Zuverlässigkeit und Qualität der Arzneimittelversorgung im Einzelhandel“, so der Generalanwalt weiter. Er verwies auf das EuGH-Urteil zum Fremdbesitzverbot aus dem Jahr 2009: Arzneimittel seien Waren von besonderer Art, sodass besondere Maßstäbe anzusetzen seien.

Schutz vor übermäßigem Konsum

Szpunar hatte auch daran erinnert, dass eine der relevanten EU-Richtlinien maßgeblich zum Ziel habe, das Eindringen von gefälschten Arzneimitteln in die Lieferkette zu verhindern. Aus seiner Sicht müsse daher auch aus EU-Perspektive sichergestellt werden, dass die Versorgung der Öffentlichkeit mit Arzneimitteln „zuverlässig und von guter Qualität“ ist – und zwar zum Schutz der menschlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens.

„Schließlich gehört meiner Meinung nach zum Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit auch die Verhinderung des irrationalen und übermäßigen Einsatzes nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel, was dem wesentlichen Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit entspricht“, so Szpunar weiter.

Und dann hatte der Generalanwalt noch ausgeführt, dass die Mitgliedstaaten schon bei Unsicherheiten über das Vorliegen oder das Ausmaß von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen ergreifen können – „ohne warten zu müssen, bis die Realität dieser Risiken vollständig klar wird“. Dasselbe gelte für Maßnahmen, mit denen ein Risiko für die öffentliche Gesundheit so weit wie möglich verringert werden kann.

Entscheidung bei Mitgliedstaaten

Zu guter Letzt hatte Szpunar in seinen Schlussanträgen noch einmal explizit betont, dass bei der Beurteilung der Frage, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Bereich der öffentlichen Gesundheit beachtet wurde, die Autonomie der Mitgliedstaaten zu berücksichtigen sei: Die Gesundheit und das Leben von Menschen stünden gemäß den EU-Verträgen unter den zu schützenden Werten und Interessen an erster Stelle. Die Mitgliedstaaten könnten selbst festlegen, welches Schutzniveau sie für die öffentliche Gesundheit gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll.

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