Keine Retaxationen und maximale Transparenz

Fahrplan beschlossen: 30.000 E-Rezepte bis Ende März

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Berlin -

Nach dem abgesagten Start des E-Rezepts haben sich die Gesellschafter der Gematik auf das weitere Vorgehen geeinigt. In den kommenden Wochen sollen vermehrt digitale Verordnungen erstellt, eingelöst und abgerechnet werden. Und die Kassen wollen sich nicht querstellen.

Für die fortlaufende Testphase, die im 1. Quartal weiterläuft, wurden Qualitätskriterien definiert. So sollen mindestens 30.000 E-Rezepte erfolgreich abgerechnet werden. Die Krankenkassen hätten eine enge Zusammenarbeit mit Apotheken zugesichert, damit technische Fehler bei der Abrechnung nicht zur Retaxierung, also die Erstattung nicht zu verweigern, wenn die Arzneimittel abgegeben wurden.

Beschlossen wurde auch, dass alle Beteiligten ab sofort „regelmäßig aktuelle Daten zu Lage, Ausstattungsgrad und Einsatzbereitschaft liefern“. Die Gematik soll die Testphase weiterhin eng begleiten und dabei einen Schwerpunkt auf die Evaluierung der Nutzererlebnisse legen. An die Testphase schließt sich die flächendeckende Einführung an. „Die weitere Planung stimmen die Gesellschafter in Zusammenarbeit mit der Gematik ab.“

Warnung vor Retax-Risiko

Zuletzt hatten Apothekerverbände gewarnt, dass Apotheken, die sich aktiv an der Testphase beteiligen wollten, damit rechnen müssten, dass „aufgrund noch bestehender technischer Probleme ihr Vergütungsanspruch seitens der Krankenkasse abgelehnt wird“. Ein Gutachten der Rechnenzentren warnte ebenfalls vor Problemen bei der Abrechnung: „Das E-Rezept entspricht in seiner aktuellen Form nicht dem Stand der Technik, insbesondere mit Blick auf die Sicherheit vor Manipulationen. Daraus ergeben sich erhebliche Risiken hinsichtlich der Abrechenbarkeit elektronischer Verordnungen“, so die Analyse der Rechtsanwälte Dr. Morton Douglas und Dr. Lukas Kalkbrenner. Unklar sei vor allem, ob die Einhaltung technischer Spezifikationen gegeben sein muss, damit ein E-Rezept als ordnungsgemäß ausgestellt gilt.

Kurz vor Weihnachten hatte das Bundesgesundheitsministerium (BMG) die für den 1. Januar geplante verpflichtende Einführung des E-Rezepts abgesagt. In einem Schreiben an die Gesellschafter erklärte das Ministerium, dass die Voraussetzungen für eine sichere flächendeckende Einführung nicht gegeben seien. Die bisher durchgeführten Feldtests zur Erprobung des E-Rezepts reichen nicht aus, um einen sicheren Betrieb zu garantieren. Es werde deutlich, dass, „anders als oftmals von den Akteuren kommuniziert, die erforderlichen technischen Systeme noch nicht flächendeckend zur Verfügung stehen.“

Deshalb sollte laut BMG ab Januar „der kontrollierte Test- und Pilotbetrieb schrittweise fortgesetzt und ausgeweitet werden“, um die Rahmenbedingungen für die Einführung des E-Rezepts möglichst schnell zu schaffen. „Sobald die vereinbarten Qualitätskriterien erfüllt sind, soll die Umstelllung auf das E-Rezept nach einem noch festzulegenden Rollout-Verfahren erfolgen.“ Die gesetzliche Verpflichtung zur Nutzung des E-Rezepts ab dem 1. Januar, wie im Patientendatenschutzgesetz (PDSG) verankert, war damit faktisch vom Tisch. Seit Sommer waren gerade einmal 42 E-Rezepte ausgestellt worden.

Das E-Rezept war eines der Prestige-Projekte von Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD) sah die Sache anders: „Beim E-Rezept gab es nicht unerhebliche technische Umsetzungsprobleme“, so Lauterbach. Diese seien bis jetzt nicht bewältigt worden. „Wir arbeiten intensiv daran.“ Dennoch wäre ein Start zum 1. Januar insbesondere den Leistungserbringern nicht zuzumuten gewesen: „Ich konnte nicht sehen, dass wir in der aktuellen Notlage, in der Praxen und Kliniken an der Belastungsgrenze arbeiten, eine weitere Belastung hinzubringen durch die nicht vorbereitete Einführung des E-Rezepts.“

Zuvor hatte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eigenmächtig den Stecker gezogen: „Sofern die Apotheken in räumlicher Nähe zur Praxis nicht in der Lage oder nicht dazu bereit sind E-Rezepte zu empfangen und einzulösen, kann die Vertragsarztpraxis dem Versicherten ein Papierrezept auf Muster 16 ausstellen“, lautete die Empfehlung der KBV an die Ärzt:innen.

Laut KBV haben die Erfahrungen des vergangenen Jahres die niedergelassenen Ärzt:innen regelrecht verschreckt, was das Thema Digitalisierung angeht. Ausfälle, unausgereifte Konzepte, fehlende Angebote und vor allem das Durchboxen von Fristen hätten für Frust gesorgt, so KBV-Vize Dr. Stephan Hofmeister. Beim E-Rezept habe die Politik billigend in Kauf genommen, dass ein „nachweislich nicht einwandfrei funktionierendes System“ eingeführt werde. „Das ist so, als ob Sie ein neues Auto auf den Markt bringen, das noch nicht einmal auf der Teststrecke überzeugt hat.“

Ignoranz der Verantwortlichen

„Die Ignoranz der politisch und technisch Verantwortlichen hat Konsequenzen: Die Erwartungshaltung der Praxen an die Digitalisierung ist regelrecht eingebrochen“, so Hofmeister mit Verweis auf eine aktuelle Umfrage unter Ärzt:innen. Enttäuschung und Frust machten es schwierig, selbst diejenigen noch zu motivieren, die bislang optimistisch gewesen seien.

„Die Politik ist nonchalant davon ausgegangen, dass die Praxen ein Experimentierfeld für die Digitalisierung sein könnten – und das mitten in der Corona-Krise“, so KBV-Vorstand Dr. Thomas Kriedel. Er rechnete vor: 3850 Stunden lang ist die Telematik-Infrastruktur (TI) je Praxis in den vergangenen 13 Monaten laut Umfrage ausgefallen – nur jeden zweiten Tag habe das System also funktioniert. „So etwas verträgt das Gesundheitswesen nicht.“

Das E-Rezept seit bislang nicht von Anfang bis Ende durchgetestet worden, die Beteiligten hätten jeweils nur ihre Bereiche erprobt. „Es mag von außen so aussehen, als ob wir mehr erreichen hätten können in der Gematik“, so Kriedel. Aber tatsächlich habe man gerade einmal 7,4 Prozent der Stimmen, die Mehrheit von 51 Prozent liege beim BMG. „Und in der letzten Legislaturperiode war es eindeutig so, dass die vorgesehenen Termine gehalten werden sollten“, so Kriedel. Noch Ende des Jahres habe es – gegen die Stimme der KBV – einen Beschluss gegeben, dass das E-Rezept zum Jahresbeginn verpflichtend werden sollte.

Leistungserbringer immer überstimmt

Laut Kriedel hat sich die KBV massiv eingebracht, was die Gestaltung der Rahmenbedingungen geht. „Bei der Gematik haben wir aber nur einen begrenzten Einfluss“, so Kriedels Fazit. „Für uns stellt sich daher die politische Frage, ob wir noch mitmachen bei der Gematik, wenn wir immer überstimmt werden.“ Er hat die Hoffnung, dass die Umwandlung der Gesellschaft in eine Agentur, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt ist, Gestaltungsspielraum bietet und die Chance für einen Neuanfang ist. „Wir brauchen dringend einen politischen Kurswechsel, der glaubwürdig sein muss.“

Hofmeister verwies auf die belustigend oder eher erschreckend geringe Anzahl an E-Rezepten, die bislang getestet wurden. „Jede App wird vor der Einführung als Beta-Version getestet. Mir ist absolut schleierhaft, warum das nicht bei so elementaren Abläufen im Gesundheitswesen passiert.

Zentrale Anforderung für die KBV sei daher, dass der Aufwand durch das E-Rezept sinke – und nicht weiter ansteige. „Heute dauert das Ausstellen eines Rezepts zwei bis drei Sekunden, das ist ein Massenprozess, der problemlos läuft“, so Hofmeister. „Für das E-Rezept müssen dagegen 40 bis 50 Sekunden veranschlagt werden. Jeder Controller würde bei so etwas aufschreien.“ Laut Hofmeister profitieren vom E-Rezept vielleicht die Kassen oder die Apotheken, keinesfalls aber die Praxen oder die Patient:innen.

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