Mehr als eine Lungenkrankheit

Sars-CoV-2: Rezeptoren im ganzen Körper

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Berlin -

Rezeptoren für das neuartige Coronavirus konnten in die in einer Vielzahl menschlicher Zellen nachgewiesen werden. Das stützt die Annahme zahlreicher Wissenschaftler, dass Covid-19 nicht nur eine Atemwegserkrankung ist, sondern eine Infektion, die auf mehrere Organe übergehen kann – die oberen und unteren Atemwege scheinen somit häufig nur die erste Station des Virus im Krankheitsverlauf.

Dass das Virus die Lunge befällt ist bekannt – neben Husten gehört auch Atemnot zu den Leitsymptomen. Immer wieder wurden auch andere Begleiterscheinungen im Rahmen einer Sars-CoV-2-Infektion genannt, darunter Durchfall, Geschmacks- und Riechstörungen sowie Bindehautentzündung. All diese Symptome führten dazu, dass Wissenschaftler herausfinden wollten, in welchen Zellen sich das Corona-Virus eigentlich vermehren kann.

ACE2 und TMPRSS2

Der erste Schritt für die Forscher war es herauszufinden, welche Rezeptoren das Virus für den Zelleintritt nutzt. Diese Frage konnten Wissenschaftler unterschiedlicher Institute bereits vor einigen Wochen beantworten: Der Zelleintritt von Sars-CoV-2 hängt vom Vorhandensein der Proteine ACE2 und TMPRSS2 ab. Genauer gesagt nutzt das Virus den ACE2-Rezeptor für den Eintritt in die Zelle und die Serinprotease TMPRSS2 für das Priming des S-Proteins. Bei dem S-Protein handelt es sich um das sogenannte Peplomer des Virus – eine nach außen ragende Proteinstruktur in der Virushülle.

Bisher ist also bekannt, dass das Virus zwei Proteine zum Eindringen nutzt: ACE2 und TMPRSS – doch in welchen Zellen sind diese Proteine vorhanden? Dieser Frage sind nun Wissenschaftler unterschiedlicher Forschungseinrichtungen und Universitäte nachgegangen. Darunter auch Wissenschaftler des Helmholtz Zentrum München. Das Ergebnis: Nahezu alle Organe verfügen über eine gewisse Anzahl dieser Rezeptoren.

Um herauszufinden, welche Zellen über die Oberflächenproteine verfügen, haben Forscher umfangreiche Genexpressionsdatensätze untersucht. Sie konnten zeigen, dass potenzielle Zielzellen, die ACE2 und TMPRSS2 produzieren, über den gesamten Körper verteilt sind. Somit finden sich diese Proteine auch in Zellen des Herzens, der Blase, der Bauchspeicheldrüse und der Niere. Geringe Konzentrationen konnten auch im Auge und im Gehirn dokumentiert werden. Hohe Konzentrationen konnten in Epithelzellen nachgewiesen werden – also in der organauskleidenden Zellschicht wie sie in der Lunge existiert. Ergebnisse wurden in einem Preprint auf bioRxiv veröffentlicht.

Das Durchsuchen von Einzelzellsequenzierungsaufzeichnungen von etwa 1,2 Millionen Einzelzellen aus menschlichen Gewebeproben hat gezeigt, welche dieser Zellen sowohl ACE2 als auch TMPRSS2 produzieren. Die Analyse verwendete 16 unveröffentlichte Datensätze von Lungen- und Atemwegszellen und 91 veröffentlichte Datensätze, die eine Reihe menschlicher Organe abdecken.

Roadmap für den Körper

Jeremy Kamil, Virologe am Louisiana State University Health Shreveport, sagt, dass der Preprint wichtige Details über den menschlichen Körper enthält. Die neuen Erkenntnisse könnten Wissenschaftlern helfen zu verstehen, wie das Virus im Detail die Wirtszelle infiziert. Durch das Auffinden viraler Proteinfragmente in Gewebeproben von Patienten, die an Covid-19 gestorben sind, könnte man eventuell feststellen, welche Organe echte Infektionsherde sind, fügt er hinzu. „Ich würde sagen, dieses Papier gibt den Medizinern eine Art Roadmap, es fällt leichter zu verstehen, wo das Virus replizieren wird“, sagt er.

Auch Forscher des Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin wollten herausfinden, in welchen Zellen diese beiden Eintrittsproteine vermehrt enthalten sind. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass vor allem die schleimproduzierenden Becherzellen und Flimmerzellen in der Nase hohe Konzentrationen dieser beiden Proteine aufweisen. Ob die befallenen Organe auch alle potenziell infektiös sind, ist noch nicht abschließend geklärt. So ist der Chefarzt der Klinik für Augenheilkunde im St.-Johannes-Hospital Dortmund, Professor Dr. Markus Kohlhaas, der Auffassung, dass das Coronavirus in bestimmten Fällen auch über die Augen übertragbar sei. Das Risiko einer Übertragung über die Tränen sei dann gegeben, wenn der Corona-Patient eine Bindehautentzündung entwickelt. Bei der Entzündung schwillt das umliegende Gewebe an und wird durchlässiger – Ödeme können entstehen. Die Lymphknoten hinter den Ohren könnten anschwellen. Der Facharzt bezieht sich auf eine chinesische Studie, in der Viren in der Tränenflüssigkeit nachgewiesen werden konnten. Andere Studien sehen Tränenflüssigkeit nicht als infektiös an.

Endotheliitis führt zu Multiorganversagen

Auch in Blutgefäßen konnte Sars-CoV-2 nachgewiesen werden. So veröffentlichten der Kardiologe Frank Ruschitzka und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Zürich Mitte April ein Dokument im Fachjournal „The Lancet“, in dem sie beschrieben, wie Viruspartikel im Gefäßendothel gefunden wurden. Der Angriff des Endothels erklärt den Wissenschaftlern zufolge das entstehende Multiorganversagen bei Patienten mit Covid-19. Durch Vorerkrankungen ist das Gewebe meist schon geschädigt: Bluthochdruck, Diabetes, Herzinsuffizienz oder koronare Herzkrankheit bieten Sars-CoV-2 ideale Voraussetzungen für einen aggressiven und häufig sogar tödlichen Verlauf.

„Wir konnten mit unserer Untersuchung den Beweis für unsere Hypothese beibringen, dass COVID-19 nicht nur die Lunge sondern die Gefäße aller Organe betreffen kann. COVID ist eine systemische Gefäßentzündung, wir sollten das Krankheitsbild von nun als Covid-Endotheliitis beschreiben“, fasst Ruschitzka die Erkenntnisse zusammen. Für ihn ist somit klar, dass die Therapie bei Corona-Patienten an zwei Stellen ansetzen muss: „Wir müssen die Vermehrung der Viren in deren vermehrungsreichster Phase hemmen und gleichzeitig das Gefäßsystem der Patienten schützen und stabilisieren. Dies betrifft vor allem unsere Patienten mit Herzkreislauferkrankungen und einer bekannt eingeschränkten Endothelfunktion sowie den bekannten Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19.“

 

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