BMG: Nur Teilmengen abrechenbar

Apothekenreform: Freibrief für Rezeptur-Retax

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Berlin -

Im Streit um die Berechnung von Rezepturen gibt es jetzt das erste Musterverfahren. Parallel greift aber auch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein: Mit der Apothekenreform soll in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelt werden, dass bei der Verarbeitung von Fertigarzneimitteln nur Teilmengen abgerechnet werden können. Das könnte ein Freibrief für die Kassen werden, die seit zwei Jahren im großen Stil retaxieren.

Seit knapp zwei Jahren gilt die Hilfstaxe nicht mehr; die Kassen hatten sich geweigert, die vom Deutschen Apothekerverband (DAV) ins Feld geführten Preissteigerungen zu akzeptieren. Seit der Kündigung der Anlage zur Hilfstaxe wird nach § 4 und § 5 Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) abgerechnet. Dort ist eigentlich klar geregelt, dass bei der Verarbeitung von Fertigarzneimitteln in Rezepturen „der Einkaufspreis […] der erforderlichen Packungsgröße“ zu berechnen ist, „höchstens jedoch der Apothekeneinkaufspreis, der für Fertigarzneimittel bei Abgabe in öffentlichen Apotheken gilt“.

Apotheken massenhaft retaxiert

Da viele Apotheken also gemäß der Empfehlung ihrer Verbände die ganze Packung abrechnen, kommt es zu massenhaften Retaxationen. Wie Thomas Rochell, Vorsitzender des Apothekerverbands Westfalen-Lippe (AVWL), bestätigt, gibt es jetzt in Münster einen Musterprozess zum Thema. Auch andere Fälle dürften bereits vor Gericht gelandet sein.

Mitten in diese Gemengelage platzt nun das BMG mit seiner Apothekenreform. Mit der Zweiten Verordnung zur Änderung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) und der Arzneimittelpreisverordnung (AmPreisV) soll § 5 neu gerelegt werden: „Auszugehen ist von den für die Zubereitung eingesetzten Mengen an Stoffen und Fertigarzneimitteln. Maßgebend ist […] bei Fertigarzneimitteln der anteilige Apothekeneinkaufspreis […] der erforderlichen Packungsgröße, höchstens jedoch der Apothekeneinkaufspreis, der für Fertigarzneimittel bei Abgabe in öffentlichen Apotheken gilt“, heißt es im Entwurf.

„Bei der Abgabe von Zubereitungen soll der Apothekeneinkaufspreis nicht für die gesamte in einer üblichen Abpackung enthaltene Menge, sondern anteilig auf Grundlage der tatsächlich in der Rezeptur eingesetzten Menge an Stoffen oder Fertigarzneimitteln berechnet werden“, heißt es zur Begründung. „Ziel der Regelung ist eine sachgerechte und wirtschaftlich nachvollziehbare Abbildung des tatsächlichen Wareneinsatzes in der Preisbildung für Rezepturarzneimittel. Sie trägt zur rechtssicheren Umsetzung der Arzneimittelpreisverordnung bei.“

Analog soll auch § 4 geändert werden: „Auszugehen ist von der abzugebenden Menge des Stoffes. Maßgebend ist der anteilige Apothekeneinkaufspreis der üblichen Abpackung.“

Kritik an BMG-Einmischung

Rochell findet es höchstproblematisch, dass sich das BMG an dieser Stelle einmischt: „Die Politik sollte lieber dafür sorgen, dass die Kassen ihrem Auftrag nachkommen, mit den Apotheken über die Einkaufspreise zu verhandeln.“ Der GKV-Spitzenverband habe von den tatsächlichen Kostensteigerungen nichts wissen wollen, aus der Not heraus habe man die Hilfstaxe daher gekündigt. Dadurch sei man auf die Regelung nach AMPreisV zurückgefallen, was nun unter falscher Auslegung der Rechtslage von den Kassen für Retaxationen genutzt werden.

Thomas Rochell am Mikro
Thomas Rochell verweist auf Urteile, die zugunsten der Apotheken ausgingen.Foto: AVWL

In der Hilfstaxe sei eindeutig geregelt gewesen, für welche Zubereitung nur anteilige und für welche die ganze Packung abgerechnet werden konnte. Rochell verweist auf zwei Urteile, die zugunsten der Apotheken ausgegangen seien: Sie seien nicht verpflichtet, bei der Verarbeitung von Fertigarzneimitteln in Rezepturen nur anteilige Packungen abzurechnen, hatten erst das Sozialgericht Münster (SG) und dann das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) entschieden. Es sei unter anderem für die Versicherten nicht zumutbar, dann nur noch Zubereitungen mit kurzer Laufzeit zu erhalten. Der Fall liegt jetzt beim Bundessozialgericht (BSG).

Sieben Jahre lang haben man mit der AOK Nordwest gerungen, so Rochell. Dann habe die Kasse anteilig gekürzt – und obendrein sehr willkürlich. So seien für dieselbe Rezeptur vier unterschiedliche Preise ermittelt worden. Doch auch nach den beiden Niederlagen sei die AOK nicht bereit, die Rechtslage zu akzeptieren. Rochell schätzt, dass das BSG sich noch in diesem Jahr mit dem Fall beschäftigen könnte. „Wir sind zuversichtlich, dass wir dann auch für den Musterprozess zur neuen Rechtslage ein Pfund in der Hand haben.“

Seyfarth warnt vor wirtschaftlichen Folgen

Die Apothekerschaft wurde von der Aufnahme des Rezepturthemas in die Apothekenreform überrascht, wie Holger Seyfarth, Vorsitzender des Hessischen Apothekerverbandes (HAV), sagt. Seine Mitgliedsorganisation appellierte zuletzt immer wieder, die ganze Packung abzurechnen und die Retaxierungen zunächst in Kauf zu nehmen und sie an den Verband zu schicken. Für diese Fälle stehe das Musterverfahren noch aus, sagt er.

Holger Seyfahrt auf Bühne
Auch Holger Seyfarth aus Hessen warnt vor den Folgen.Foto: APOTHEKE ADHOC

Kommt jedoch die geplante Änderung wie im Entwurf vorgesehen, würden die Apotheken weiter wirtschaftlich geschwächt. „Das belastet die Betriebe weiter, da sie den Verwurf nicht in Rechnung stellen können.“ Der Verband fordert vom BMG eine „Kurskorrektur“. Rezepturen würden für viele Apotheken unwirtschaftlich, weil Anbruch- und Restmengen nicht mehr refinanzierbar seien. „Mit der Folge, dass Leistungen ausgedünnt oder verzögert werden und gerade vulnerable Patientengruppen leiden. Rechtssicherheit ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, sie darf aber nicht zulasten der Wirtschaftlichkeit gehen, sondern muss zwingend von einer belastbaren Vollkostenvergütung für Rezepturen begleitet werden.“

Auf Vollkostenbasis seien neben Lohn- und Lohnnebenkosten insbesondere Overheads wie Labor- und Raumkosten, Energie, Qualitätssicherung und Dokumentation, Geräteabschreibung sowie die Vorhaltung und Bindung von Ausgangsstoffen zu berücksichtigen. Dazu komme ein angemessener Unternehmerlohn, „denn zum Selbstkostenpreis kann keine Apotheke dauerhaft“ versorgen“. Seyfarth fordert eine ganzheitliche Lösung: „Ohne diese Korrekturen entwerte der Entwurf die Rezepturherstellung, zehrt die Apotheken wirtschaftlich weiter aus und schwächt die flächendeckende Versorgung. Im Interesse der Patientinnen und Patienten fordern wir das BMG und Frau Ministerin Warken daher auf, die Teilmengen-Umstellung nur im Paket mit einer sachgerechten Vollkostenvergütung umzusetzen – andernfalls lehnen wir sie entschieden ab.“

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