Schleswig-Holstein

Kammer streitet über Notdienstreform

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Berlin -

Die Organisation der Notdienste ist eine Kunst für sich. Für die Bevölkerung soll es möglichst bequem, für die Apotheken möglichst gerecht sein. In den Kammerbezirken Westfalen-Lippe und Nordrhein werden die Dienste anhand von Geodaten von einer Software automatisch verteilt. Die Apothekerkammer Schleswig-Holstein will dieses System nun auch einführen: Morgen sollen die rund 30 Mitglieder bei der Kammerversammlung eine neue Richtlinie beschließen. Doch es gibt Widerstand – und einen Gegenantrag.

Die Kammer hat die „Richtlinie zur Regelung der Dienstbereitschaft“ erarbeitet, die zum Jahreswechsel in Kraft treten soll. Dazu wird ein „Notdienstnetz“ über Schleswig-Holstein gelegt, die Verteilung soll nach einheitlichen Grundlagen erfolgen: Je geringer die Bevölkerungsdichte, desto weiter darf der Weg zur notdiensthabenden Apotheke sein.

Die Richtlinie unterscheidet zwischen Groß-, Mittel-, Klein- und Landstädten, die maximale Entfernung liegt zwischen 10 und 38 Kilometern. Ausgenommen von der Regelung sind die Apotheken auf den Inseln Sylt, Föhr, Amrum, Pellworm und Helogland, die ohnehin immer Notdienst leisten müssen.

Die Software für die Berechnung der Notdienste stammt von der Agentur Cyrano aus Münster, die auch den Leitbildprozess begleitet und die aktuelle Wir-sind-Kampagne der ABDA verantwortet. Hinterlegt sind die Apotheken und die Mittelpunkte einzelner Orte sowie deren Einwohnerzahl. Großstädte erhalten dabei mehrere Mittelpunkte. Die Software berechnet dann, welche Apotheke wann Notdienst leisten muss. Besondere Belastungen werden berücksichtigt: Wer zu Weihnachten arbeiten musste, wird Ostern geschont. Insgesamt werde die Verteilung in Schleswig-Holstein effizienter und gerechter, erwartet die Kammer.

Trotzdem gibt es Widerstand: Apotheker Dr. Kai Christiansen, Vize beim Landesapothekerverband, hat sich in einem ausführlichen Brief gegen die Richtlinie gestellt und fordert Änderungen. Er moniert vor allem, dass die regional stark variierende Apothekendichte nicht ausreichend berücksichtigt werde.

So müsste aus seiner Sicht bei zwei gleich großen Orten mit unterschiedlich vielen Apotheken die Zahl der maximalen Kilometer angepasst werden. De facto werde aber nur die Einwohnerzahl berücksichtigt, so Christiansen. Er schlägt vor, als Alternative die maximale Fahrtzeit als Maßstab zu nehmen. Ansonsten könne für einzelne Apotheken eine erhebliche Belastung mit Notdiensten entstehen, warnt der Verbandsvize.

Bei der Kammer kennt man diese Bedenken, teilt sie jedoch nicht. Die Apothekendichte sei bei der Festlegung der Kilometergrenzen sehr wohl berücksichtigt und die Parameter entsprechend angepasst worden, sagt Kammervize Dr. Karl-Stefan Zerres. Keine Apotheke müsse mehr als 52 Notdienste im Jahr leisten, das sei nicht unzumutbar.

Dass die Umstellung nicht geräuschlos über die Bühne gehen würde, war zu erwarten. Aktuell gibt es in Schleswig-Holstein viele individuelle Lösungen: Oftmals haben sich Apotheken zu einem Ring zusammen geschlossen und leisten eingeschränkte Dienste, etwa bis 22 Uhr. Nachts können die Wege so schon mal weiter werden. Andere Apotheken haben eine Schließungserlaubnis. Diese Ungleichheiten will die Kammer mit dem neuen System ausbügeln.

Christiansen ist dagegen überzeugt, dass die pragmatischen Vor-Ort-Lösungen der bessere Weg sind. In Kiel und Lübeck gebe es heute etwa Regelungen zum Notdienst, damit die Einwohner nicht von der einen Seite der Förde auf die andere Seite fahren müssten.

Erhebliche Probleme erwartet er auch im Großraum Hamburg: Apotheken im sogenannten Speckgürtel hätten bislang am Notdienst der Hansestadt teilgenommen. Die geplante Umstellung des Notdienstes werde hier zu erheblichen Problemen führen, so Christiansen.

Grundsätzlich sieht er die Software positiv, kritisiert aber die konkrete Umsetzung bei der Kammer: „Die Richtlinie wirkt wie ein enges Korsett und lässt keinerlei Handlungsoptionen zu.“ Wenn sich die Ortsklassifizierung ändere, könnten auf die Patienten im Einzelfall zudem weitere Wege zukommen. Der Unmut der Bevölkerung könne sich dann auch schnell in der Presse wiederfinden, warnt der Apotheker. Denn auch für ihn stehe die Versorgung im Mittelpunkt.

Schließlich befürchtet er Wettbewerbsnachteile für Apotheken, die mehr Notdienste leisten müssen. Nach dem neuen System könnten sich bei zwei benachbarten Apotheken aus einem bisherigen Notdienstkreis eine Verteilung von 17 zu 35 Diensten ergeben. Das sei nicht nur unzumutbar, sondern sogar wettbewerbsrechtlich mehr als bedenklich, so Christiansen.

Bei der Kammer ist man überzeugt, dass die Verteilung insgesamt gerechter wird, weil alte Privilegien abgeschafft würden. Zerres ist daher guter Dinge, dass die Mehrheit der Kammerversammlung der Richtlinie zustimmen wird. Ab 2015 würde dann in Schleswig-Holstein das neue Modell angewandt. Westfalen-Lippe hatte bereits 2012 umgestellt, Nordrhein zum Jahresanfang.

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