Ein Wiesbadener Apotheker setzte sich vor Gericht gegen die Retaxierung einer Krankenkasse von über 9800 Euro durch. Das Sozialgericht Wiesbaden entschied, dass formale Mängel auf den Rezepten, wie falsche Nummern, keinen Fahrlässigkeitsvorwurf begründen. Nur bei einem Krebsmedikament verlor er den Anspruch, da kurz zuvor konkret vor Rezeptfälschungen über das Mittel gewarnt wurde.
Im Jahr 2017 gab die Turm-Apotheke in Wiesbaden drei hochpreisige Medikamente ab. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es sich bei jeder dieser Verordnungen um Fälschungen handelte. Die damalige Inhaberin, Mutter des jetzigen Inhabers Johannes Luh, wurde von der Barmer daraufhin jeweils auf Null retaxiert und musste zunächst einen Verlust von mehr als 14.000 Euro hinnehmen.
Gegen die Retaxationen legte sie Einsprüche ein, alle drei wurden von der Barmer abgelehnt. Der Grund: Die Rezeptfälschungen seien klar zu erkennen gewesen. Das ließ sich die Mutter von Luh jedoch nicht gefallen, sie klagte gegen die Krankenkasse und forderte die Zahlung für die hochpreisigen Medikamente. Der Gesamtstreitwert betrug 14.599,02 Euro. Mit Übername der Apotheke kämpfte auch der Sohn weiter gegen die Retaxation an, der Prozess vor Gericht lief weiter.
Die Klage bezog sich konkret auf drei Abgaben:
Im August wurde das Urteil verkündet, das seit Mitte September rechtskräftig ist. Das Gericht gab dem Apotheker teilweise recht und verurteilte die Krankenkasse zur Zahlung von insgesamt 9823,01 Euro plus Zinsen. Die Krankenkasse konnte nicht für alle drei Fälle nachweisen, dass der Apotheker die Fälschungen hätte erkennen müssen.
Auffälligkeiten wie das angeblich falsche IK (Institutionskennzeichen), das Geburtsjahr im falschen Format oder der weite Weg der Patientin von Frankfurt nach Wiesbaden waren laut Gericht nicht gravierend genug, um auf eine einfache Fahrlässigkeit des Apothekers zu schließen. Auch der hohe Preis der Medikamente allein reichte dem Gericht nicht für eine generelle erhöhte Kontrollpflicht aus.
Die Klage im Fall von Norditropin wurde jedoch abgewiesen. Der Grund: Die Krankenkasse hatte die Apothekerverbände am 31. Januar 2018, also etwa zwei Monate vor der Abgabe, explizit vor Rezeptfälschungen zum konkreten Medikament gewarnt. Daher hätte die Apotheke bei dieser Abgabe besonders aufmerksam sein und die Fälschung erkennen müssen. Es bestand eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Da hier laut Gericht eine einfache Fahrlässigkeit der Apothekerin vorlag, entfiel der Zahlungsanspruch.
Das Gericht sprach dem Apotheker für die beiden gewonnenen Fälle zudem Zinsen in Höhe von 9 Prozent über dem Basiszinssatz zu. Ebenso durfte die Krankenkasse den Kassenabschlag nicht abziehen, weil die Zahlung durch die Retaxierung nicht fristgerecht erfolgte.
Formale Fehler auf dem Rezept oder allgemeine Verdachtsmomente wie der hohe Preis oder die Distanz zwischen Wohnort und Arztpraxis reichten also nicht aus, um dem Apotheker Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Mehr noch: „Selbst im dritten verlorenen Fall war die Richterin sich nicht sicher, ob wir nicht doch im Recht waren“, erklärt Luh. „Wir hätten noch in Revision gehen können, haben es aber schlussendlich doch nicht getan, da das Ganze jetzt sieben Jahre her ist und wir froh sind, dass wir mehr als 60 Prozent zurückgezahlt bekommen.“
Mit dem Fall will er alle Kolleg:innen motivieren. „Man darf auch nach abgelehnten Einsprüchen nicht aufgeben. Ich möchte Mut machen, dass man sich nicht alles gefallen lässt“, so Luh. Denn allzu oft gehe man davon aus, dass man gegen die Krankenkasse ohnehin keine Chance habe. „Das Interessante im Prozess war, dass die Richterin auf unserer Seite war, nicht auf der der Krankenkassen.“