Seit Anfang Juli können Apotheken keine Hilfsmittel mehr zu Lasten der IKK classic abgeben, jedenfalls nicht ohne Einzelvertrag, und dem haben die wenigsten zugestimmt. Für Patienten ein Ärgernis – so groß, dass es auch in die Medienwelt schwappt: So ist in der WDR Lokalzeit Münsterland am Montag ein Patient begleitet worden. Der Asthmatiker aus Dülmen wollte seine neue Therapie starten, doch in seiner Apotheke wird ihm erklärt: Die Lösung können sie ihm geben, das Inhalationsgerät aber nicht – obwohl sie es vorrätig hätten. Für den Patienten beginnt damit eine mehrwöchige Odyssee.
„Ich würde Ihnen das Gerät gerne mitgeben, ich hab das da, aber ich kriege das leider von der Krankenkasse nicht erstattet“, erklärt Apothekerin Marietheres Reher-Gremme in dem WDR-Beitrag. Statt mit Apotheken arbeitet die IKK nun mit Sanitätshäusern zusammen – doch bei ihm in der Nähe gebe es keinen Vertragspartner, er muss sein Inhalationsgerät in Köln bestellen, doch auch nach drei Wochen ist es nicht geliefert. Unterstützung von seiner Kasse bekomme er nicht, mit der Abwicklung wolle sie nichts zu tun haben, heißt es in dem Beitrag. Schließlich wechselt er zur TK.
Krasser Einzelfall? Wohl kaum. Reher-Gremme kann auf Anfrage Dutzende weitere Beispiele nennen. „Wir hatten kurze Zeit später noch seine Tochter da“, berichtet sie gegenüber APOTHEKE ADHOC. Die Tochter brauchte eine Vortex-Maske, einen Vernebler für ihr Kind, ebenfalls an Asthma leidend; ebenfalls bei der IKK versichert. Die Apotheke konnte sie genauso wenig beliefern wie ihren Vater.
Ein anderer Fall sei ein älterer Mann gewesen. Er sei nach einem Schlaganfall auf Katheter-Beutel angewiesen und habe sie eigentlich bisher von der Apotheke bezogen. Der Mann ist seit dem Schlaganfall nicht mehr mobil, läuft mit Rollator. „Für seine Katheter-Beutel soll er bis nach Lünen fahren“, erzählt Reher-Gremme. „Ich weiß gar nicht ob der überhaupt noch Auto fahren kann.“
Aber nicht nur alte und immobile Leute leiden unter dem Vertragsende. Die Apothekerin erinnert sich an einen jungen Vater, der eine Babywaage gebraucht habe. Die IKK habe ihm zwar ein Sanitätshaus genannt, bei dem er sie bekommen sollte, doch dort habe man irritiert reagiert und gefragt, wie er auf die Idee käme, dass sie Babywaagen hätten.
Auch Milchpumpen werden wohl zum Problem werden. „In Dülmen macht fast keine Apotheke mit, und Sanitätshäuser, die Milchpumpen verleihen, sind doch eher rar“, so Reher-Gremmes Einschätzung. Im Endeffekt werde es darauf hinauslaufen, dass Patient:innen die Hilfsmittel vermehrt privat kaufen müssen – die Mehrkosten also für die Patienten entstehen.
Die IKK indessen entziehe sich der Verantwortung. In dem ersten geschilderten Fall habe es um die vier Wochen gedauert, wiederholt Reher-Gremme. „Nach drei Wochen hat sich der Patient bei der IKK beschwert, doch die haben sich nicht verantwortlich gefühlt, und ihn nur an das Sanitätshaus verwiesen. Dabei ist das doch deren Vertragspartner“, kritisiert sie. „Das passt hinten und vorne nicht!“
Dass das neue Konzept der IKK nicht aufgeht, kommt für Reher-Gremme nicht überraschend. Was vorher Tausende Apotheken geleistet haben, kann nicht einfach von viel weniger Sanitätshäusern übernommen werden.
Das IKK-Versprechen „Gleicher Preis für Gleiche Leistung“ sei schlichtweg falsch. Die Apotheken würden viel mehr Leistungen erbringen, allein schon durch die Beratung und Erklärung zur Anwendung. Sanitätshäuser seien da ganz anders aufgestellt und ausgestattet.
Als Beispiel nennt sie die Blutdruckmessgeräte: Die Manschette müss erst einmal passen, dann seien Erklärungen nötig zur Anwendung: Wie hoch muss die Manschette liegen, wie muss der Arm liegen und ähnliches. „Das geht doch den Bach runter“, kritisiert sie. Und bei fehlerhafter Anwendung und fehlender Beratung werde es im Grunde sogar deutlich teurer für das System: nämlich dann, wenn im Ernstfall Patienten im Krankenhaus landen.
Ein weiteres Problem sieht die Apothekerin im Notdienst: „IKK-Patienten können wir im Notdienst nicht helfen – jedenfalls bei Hilfsmitteln – oder sie müssen diese selbst bezahlen“, erklärt sie. Die Sanitätshäuser haben zu Nacht- und Notdienstzeiten in der Regel nicht geöffnet.