ApoRetro – der satirische Jahresrückblick

HiMi, TI, Notdienst: Selbsthilfegruppe für Apotheker

, , Uhr
Berlin -

Der eine lebt in der Notdienst-Matrix, der andere hat einen Blütenshop im Beratungsraum und beim nächsten verwandelt sich die Offizin in ein pharmazeutisches Berghain: Die Apothekenteams haben in diesem Jahr einiges durchmachen müssen. Da kommt der Aufruf zu einem Jahresabschlussgespräch gerade recht!

Es brennt schon Licht in Raum A28 der VHS Kaltenkirchen, als Amtsapotheker Lutz Müller aus Drolshagen-Kalberschnacke eintritt. Über eine Facebook-Gruppe hatte er von einem Austauschgespräch für Apothekerinnen und Apotheker zum Jahresende erfahren – und irgendwie hatte ihn die Neugier gepackt. Da er seit dem RTL-Arzneimittelpreischeck Redebedarf über die Praktiken der Versender hat – insbesondere der Rezeptur von DocMorris – hatte er den Weg auf sich genommen.

Vor ihm: ein praktisch quadratischer Raum mit einem zum Teil bereits besetzten Stuhlkreis in der Mitte. Im Hintergrund tummeln sich ein derangierter Tageslichtprojektor und eine spärlich geputzte wie krakelig beschriftete Tafel. „Reflexions- und Kriseninterventionsgespräch“ murmelt Müller das Geschriebene vor sich hin.

„Wir sind hier die anonymen Apotheker, AA“, witzelt ein Mann im Kittel, der für seinen Kommentar nicht einmal von seinem Tablet aufschaut. Müller runzelt die Stirn: Der Apotheker betrachtet einen Splitscreen mit acht Kameras in Echtzeit. „Pfeiffenschneider-Scholz, angenehm. Bei mir wird gegebenenfalls gerade eingebrochen“, erklärt er mit gebanntem Blick auf das Display. „Es wird so viel und so oft eingebrochen in Apotheken, ich weiß nicht, wie sie hier alle ruhig sitzen können!“

Ein anderer Apotheker stampft wütend mit dem Fuß auf, „Mensch, wegen Ihnen habe ich meinen 400-Captcha-Streak nicht geschafft.“ Wütend wirft er sein Handy neben sich, „Carsten Seppelsmeyer, Bündelpeter-Apotheke in Nordhausen“, stellt er sich gegenüber Müller vor. „Unsere Notdienstklappe öffnet sich jedes dritte Mal nur dann, wenn wir erfolgreich ein Captcha lösen. In meiner Freizeit trainiere ich, um auch wirklich jeden versorgen zu können. Sie haben bestimmt das mit dem LAGeSo gehört.“

Doch ehe er weitersprechen kann, legt ihm eine Frau besänftigend die Hand auf den Oberarm. „Und jetzt stellen Sie sich mal vor, dass Sie obendrein noch eine Fälschung entgegennehmen. Das ist ja trotz des E-Rezepts nicht weniger geworden. Ich komme nächste Woche mal bei Ihnen vorbei und teste Ihre Approbierten, ja?

Amtsapotheker Müller wollte gerade weiter nachfragen, was das denn überhaupt bedeuten soll, da rempelt ihn eine Frau von der Seite an. Sie trägt einen Bauchladen mit Arzneimitteln, ein leichter Duft von süßem Popcorn umgibt sie. „Oh, entschuldigen Sie, habe ich Ihnen wehgetan? Ich habe ein paar NSAR dabei oder auch was Topisches?“ Er runzelt die Stirn, während sie nahtlos weiterspricht. „Ich bin Marketingexpertin für Apotheken und ich kann nicht aus meiner Haut. Ich weiß, Sie sind gar nicht meine Zielgruppe, aber ich hatte noch einen Slot zwischen Kino und Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt frei.“

Sie seufzt. „Ach, eigentlich will ich das alles gar nicht machen, aber die Versender machen mir Angst. Und jetzt auch noch dm. Ich will in eine Apotheke gehen können, um mich beraten zu lassen und in eine Drogerie, um mir die Special Edition meines Macadamia-Honig-Shampoos zu kaufen. Ich will zurück in eine Welt, in der es noch Schlecker gab und alles okay war!“

Die Frau verlässt weinend den Klassenraum, als eine weitere den Amtsapotheker am Ärmel zieht: „Ich habe auch Angst“, wispert sie mit belegter Stimme. „Dr. Vera Stillmann. Ich habe die einzige Apotheke im Umkreis von 50 Kilometern die einen exklusiven Hilfsmittel-Einzelvertrag mit der IKK classic hat. Ich kann nicht mehr schlafen, ständig klingelt das Telefon oder jemand klopft an meine Tür.“ Die Apothekerin zückt ihr Diensttelefon, das sie wie einen Revolver im Western in einem Holster an der Hose trägt – dabei hatte es nicht einmal geklingelt. „H-hallo?“

Der Amtsapotheker weiß gar nicht wie ihm geschieht, als ihn plötzlich eine rüstige Rentnerin mit ihrem Gehstock gegen das Schienbein schlägt: „Hören Sie mir mal gut zu, Bürschchen. Wegen Leuten wie Ihnen darf meine Apotheke DocMorris mir keinen Bonus mehr auf meine Rezepte geben. Das war das einzige, was mir neben Bingo am Sonntagnachmittag noch Freude gemacht hat.“ Die alte Dame ist gar nicht mehr zu bremsen. „Und das nur, weil Sie Apotheker den Hals nicht vollkriegen. Porsche vor der Tür, aber trotzdem kein Arzt!“

Auch Logistik-Uwe hat den weiten Weg zur Selbsthilfegruppe auf sich genommen. Als er am 17. Dezember das Flutlicht der neuen dm-Versandapotheke einschaltete, klingelte plötzlich sein Handy: „Mensch Uwe mein Junge, ich glaube, du leidest unter Größenwahn! Ich habe da so eine Gruppe für dich, da solltest du hingehen, irgendwas mit anonyme Apotheker“, appellierte sie an sein Gewissen. Reflexions- und Kriseninterventionsgespräche könnten auch für ihn sinnvoll sein, dachte er sich und blickt verschämt zu Pfeiffenschneider-Scholz herüber, dem schon der kalte Schweiß aufs Tablet tropft.

Dann durchbricht ein unaufgeregtes wie rheinisches „Hallo“ die Stille. Es ist niemand geringeres als Professor Dr. Karl Lauterbach. Drahtig wie eh und je setzt er sich auf den noch einzig freien Stuhl und lächelt in die Runde. „War ein anstrengendes Jahr für Sie, für mich auch. Haben Sie mein neues Buch eigentlich gelesen? Sehr empfehlenswert.“

Als niemand darauf reagiert, wird es kurz still – eine Frau im Hosenanzug und mit strenger Miene betritt den Raum und stellt sich an den Overheadprojektor. Es ist Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU), die die Anwesenheitsliste durchgeht: „Hallo. Es fehlen Rolf-Dieter Haberkorn aus dem MVZ St. Christophorus im schleswig-holsteinischen Lohe-Rickelshof – gut, der macht nicht zu, weil er durchimpft – und Winifred Kallmeyer-Zumbruch mit seinem Blütenshop im Beratungsraum. Schade, der hätte uns zum Thema Medizinalcannabis weiterhelfen können. Sei's drum.“ Sie entzündet eine große Kerze im Glas. „Wer die Kerze hat, darf reden, und damit herzlich willkommen – Karl, leg das Salz weg, du darfst anfangen!“

Just in diesem Moment stößt ein völlig zerzauster Mann mit Augenringen von hier bis nach Meppen, die Tür auf. Sein leerer Blick gleitet über die Personen im Stuhlkreis: „Sagen Sie mir, ist immer noch der 4. Januar 2025? Habe ich immer noch Notdienst? Läuft die TI wieder? Gibt es eine neue Notdienstregelung? Und überhaupt, wer ist denn diese Frau da?“

In diesem Sinne: Einen schönen Jahreswechsel!

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Lesen Sie auch

APOTHEKE ADHOC Debatte