Gastkommentar

Hände weg von Ausschreibungen!

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Berlin -

Die AOK vergibt aktuell die Zuschläge zu ihrer Zyto-Ausschreibung. In fünf Bundesländern gelten ab August exklusive Verträge. Die DAK Gesundheit und der BKK-Dienstleister GWQ haben erstmals bundesweite Verträge ausgeschrieben. Dr. Franz Stadler, Inhaber der Sempt-Apotheke in Erding, beobachtet die Entwicklung mit Sorge und richtet sich mit einem „Faktencheck mit Kommentar“ an seine Kollegen.

Seit Jahren wird vor den unkalkulierbaren Folgen einer Ausschreibung von parenteralen Zubereitungen in der Onkologie gewarnt. Trotzdem haben die DAK und der BKK-Dienstleister GWQ die Versorgung ihrer Mitglieder nun bundesweit ausgeschrieben. Möglich wurde dies durch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) von Ende vergangenen Jahres und natürlich durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Dazu nun einige Fakten, die sich aus den von der DAK veröffentlichten Zahlen für das Bundesland Bayern ergeben und die als Entscheidungshilfe für mögliche Bieter dienen können. Datenbasis ist das Jahr 2015.

Ausgeschrieben wurden 75.538 Zubereitungen mit einem Gesamtumsatz von 44,5 Millionen Euro. Dafür wurde Bayern in 47 Lose eingeteilt, die sich an den Landkreisgrenzen orientieren. Jeder Bieter kann sich für beliebig viele Lose bewerben, kann aber maximal acht gewinnen. Ob er den Zuschlag erhält, hängt von der Höhe der „Gesamteinsparung pro Gebietslos“ ab, die sich aus der Summe der Nettoeinsparungen für den Rabatt auf die drei verschiedenen Arbeitspreise und der Summe der Nettoeinsparungen für die Wirkstoffe (71) ergibt.

Dazu muss jeder Bieter in die 74 Felder des Loses, für das er bieten will, einen prozentualen Abschlag auf die Werte der Hilfstaxe (Stand 01.06.2016) eintragen, der mindestens 0,05 Prozent betragen muss und der dann mit den entsprechenden Werten des Jahres 2015 multipliziert das jeweilige Einsparvolumen ergibt. So lautet die Logik der ausschreibenden Partei.

Etwaige Verwürfe sind mit dem Angebotspreis für den jeweiligen Wirkstoff abgegolten. Das bedeutet im Fall Bayern, dass zu den oben gewährten Rabatten 1,02 Millionen Euro an bisher abgerechneten Verwürfen hinzukommen. Dieses Einsparvolumen wird bei der Berechnung des Gesamteinsparvolumens nicht berücksichtigt.

Es ist zudem sehr ungleich verteilt und hängt von der Haltbarkeit der eingesetzten Wirkstoffe ab. So fielen 2015 fast 66 Prozent der abgerechneten Verwürfe bei Wirkstoffen an, die laut Hilfstaxe unter 24 Stunden haltbar sind und die nur in 8,18 Prozent aller Zubereitungen enthalten sind. Außerdem handelt es sich in vielen Fällen um patentierte Originalpräparate, deren Rabattpotential naturgemäß sehr gering ist.

Der potentielle Bieter sieht sich also gezwungen, lege artis unvermeidliche Verwürfe des einen Wirkstoffes mit möglichen Rabatten eines anderen, möglichst lang haltbaren Wirkstoffes zu verrechnen. Das wird nicht nur dazu führen, dass er sein von der DAK errechnetes Gesamteinsparvolumen und damit seine Zuschlagschancen reduzieren würde, sondern was zudem auf Basis der 2015er Daten einem Lotteriespiel gleichkommt. Ein Beispiel: nab-Paclitaxel (Abraxane) ist nach Zubereitung nur acht Stunden haltbar, im Schnitt fällt erheblicher Verwurf an (2015: bayernweit rund 14 Prozent) und ein rabattierter Einkauf ist praktisch nicht möglich.

nab-Paclitaxel ist aber ein in seiner Bedeutung rasant wachsender Wirkstoff, der in den ersten sechs Monaten 2016 bereits doppelt so häufig eingesetzt wurde wie im gesamten Jahr 2015 (eigene Daten). Eine vorausschauende Verrechnung mit anderen Wirkstoffen, die natürlich ebenfalls therapiebedingten Schwankungen unterliegen, ist also belastbar nicht möglich.

Über die enormen logistischen Probleme, die bei der Lieferung kurzhaltbarer Wirkstoffe über längere Distanzen entstehen können, und die letztlich über unzulässig verlängerte Haltbarkeiten mögliche Gesundheitsgefährdung der Patienten wurde bereits berichtet. Bedenkt man dann, dass auch im Fall der bundesweiten DAK-Ausschreibung fast 83 Prozent der Zubereitungen (rund 93 Prozent des Umsatzes) mit Wirkstoffen erfolgen, die 24 Stunden oder weniger haltbar sind, wird klar, dass hier Einsparungen auf dem Rücken der herstellenden Apotheken zu Lasten der schwerkranken Patienten erzielt werden sollen.

Selbst die Gesundheitsministerkonferenz der Länder scheint dies inzwischen verstanden zu haben. Vielleicht ist es aber zu spät, auf die Politik zu warten. Vielleicht sollten wir die Sache selbst in die Hand nehmen. Vor diesem Hintergrund lautet die Empfehlung des Autors an seine Kollegen: Hände weg von Ausschreibungen! Nichtteilnahme ist besser als mit der Teilnahme fragwürdige Bedingungen zu akzeptieren.

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