Risiko letztlich nicht mehr tragbar

Belastung zu groß: Rabatt-Apotheker steigt aus

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Berlin -

Mit Rabatten oder kreativen Gewinnspielen hat Apotheker Wolfgang Wittig nicht nur in seinem Umfeld auf sich aufmerksam gemacht. Der Pharmazeut ist auch in der Branche bekannt – jetzt hat er seine beiden Bären Apotheken verkauft. Zu tief sei die Krise des Apothekenmarktes und das Risiko als Kaufmann sowie die Belastungen zu hoch, sagt er. Ein Zurück in die Vor-Ort-Apotheke sei derzeit nicht geplant.

Wittig war 17 Jahre lang selbstständig und führte zwischenzeitlich vier Apotheken mit knapp 60 Angestellten. Er war in der Branche für seine Marketingaktionen bekannt, bot etwa vor Jahren bei der Abgabe eines Rezepts eine Gratis-Werkzeugbox an, ließ Pokémon Go-Fans durch die Offizin jagen oder führte einen Mitteilungsdienst für die Kundenkommunikation ein.

Belastungen täglich spürbar

Im Dezember verabschiedete sich Wittig ganz aus der Branche. Er gab die verbliebene Bären Apotheke an der Messe in Düsseldorf und die Bären Apotheke am Neuenhausplatz in Erkrath an seinen Nachfolger, Alaa Al Goudeh, ab. Die Entscheidung zum Verkauf sei nicht leichtgefallen, sagt er. „Doch die Entwicklungen der vergangenen Jahre haben mich dazu bewogen, diesen Schritt zu gehen. Der Apothekenmarkt in Deutschland befindet sich in einer tiefen Krise.“ Vieles davon bleibe für Außenstehende unsichtbar – „doch wer in diesem System arbeitet, spürt die Belastungen jeden Tag.“

Apotheken gehörten zu den wenigen Branchen, die mit einem Betriebsergebnis von 2 bis 3 Prozent vor Steuern auskommen müssten – und das bei voller persönlicher Haftung der Inhaberinnen und Inhaber, mahnt er an. „Von diesem Ergebnis müssen Kredite für Investitionen abbezahlt werden, während die Risiken ständig steigen. Besonders das E-Rezept hat das Risiko von Retaxationen massiv erhöht.“ Oft seien die Gründe der Kassen dafür nicht nachvollziehbar. „Beträge im sechsstelligen Bereich können so plötzlich aus dem Privatvermögen der Inhaber eingefordert werden. Für mich als Familienvater von drei Kindern war dieses Risiko letztlich nicht mehr tragbar.“

System funktioniert nur wegen Aufopferung

Seit fast zwei Jahrzehnten gebe es einen „Stillstand beim Apothekenhonorar“. „Das bedeutet, dass wir mit nahezu unverändertem Rohgewinn arbeiten, während Löhne, Energiekosten und andere Betriebsausgaben um bis zu 70 Prozent gestiegen sind“, kritisiert er. Zudem würden Apotheken durch Krankenkassen drangsaliert. „Das Gesundheitssystem, insbesondere der Apothekenbereich, funktioniert heute nur noch, weil Apothekeninhaber und ihre Teams tagtäglich Belastungen und oft auch Willkür durch die Krankenkassen hinnehmen. Die Bürokratie ist enorm, die Kontrolle über Abrechnungen und Lieferungen wird immer schwieriger, und die Rahmenbedingungen verschlechtern sich kontinuierlich.“

Wittig war zuletzt nicht mehr zufrieden. Ein Beispiel sei das Thema Personalkosten: „Trotz übertariflicher Bezahlung empfand ich die Löhne meiner Mitarbeitenden oft als zu niedrig, doch das System gibt schlichtweg nicht mehr her.“ Wie in vielen Gesundheitsberufen beuteten sich Inhaberinnen und Inhaber sowie Angestellte selbst aus, weil man die Kundschaft „nicht einfach im Regen stehen lassen will“. Gleichzeitig nahm die Bürokratie zu: „Jede neue gesetzliche Regelung bedeutet zusätzlichen Aufwand, ohne dass dies – angemessen – honoriert wird.“ Der Druck wegen Lieferengpässen mache den Alltag noch schwerer.

Vor allem wegen seines Teams habe er so lange durchgehalten. „Gemeinsam haben wir unzählige Herausforderungen gemeistert und immer das Wohl unserer Patienten in den Mittelpunkt gestellt. Doch die Belastungen für mich als Inhaber wuchsen schließlich so stark, dass ich mich gezwungen sah, die Reißleine zu ziehen.“ Wittig prognostiziert, dass es ihm immer mehr Kolleginnen und Kollegen gleichtun werden, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht bald verbessern.

Grundlegende Reformen gefordert

Weitere Schließungen wären „nicht nur ein Verlust für die Gesundheitsversorgung, sondern auch für die Menschen, die mit Herzblut in diesem Beruf arbeiten.“ Auch wenn der Verkauf seiner beiden Apotheken ein persönlicher Schritt sei, hofft er, dass er als Weckruf verstanden werde. „Ohne grundlegende Reformen wird das Apothekensystem in Deutschland so nicht mehr lange existieren können.“

Aktuell verbringt Wittig Zeit mit seiner Familie. Eine Rückkehr in die Apotheke sei „aktuell“ nicht geplant. „Ich liebe den Beruf noch immer. Die Beratung macht mir Spaß und ich habe ein breites pharmazeutisches Wissen. Das werde ich irgendwann sicher wieder anwenden.“

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