Bioverfügbarkeit

45 Prozent Abweichung – pharmazeutisch bedenken

, Uhr
Berlin -

Pharmazeutische Bedenken, Nichtverfügbarkeit oder Wunscharzneimittel: Möglichkeiten, den Rabattvertrag zu umgehen, gibt es einige. Wichtig ist jedoch nicht nur die Wahl des richtigen Arzneimittels, sondern auch die passende Begründung.

Bedient die Apotheke den Rabattvertrag nicht oder ignoriert aus bestimmten Gründen gesetzliche Vorgaben, muss die Sonder-PZN 02567024 mit dem zugehörigen Faktor aufgedruckt werden.

Faktor 6: Pharmazeutische Bedenken
Ist ein Austausch trotz ausführlicher Beratung nicht möglich, weil der Therapieerfolg oder die Arzneimittelsicherheit gefährdet sind, kann die Apotheke eine Einzelfallentscheidung treffen und den Faktor 6 nutzen. Mögliche Gründe, pharmazeutische Bedenken geltend zu machen, sind beispielsweise kritische Wirkstoffe, Applikationsformen oder Indikationen. Auch älteren Patienten mit Polymedikation, Allergikern, Personen mit Handicap oder psychischer Instabilität kann ein Austausch mitunter schwer vermittelbar sein – die Compliance ist gefährdet. Setzen Generikahersteller auf andere Applikationshilfen, wie beispielsweise in der Asthmatherapie, kann dies zu Fehlern in der Anwendung führen.

Therapie und Arzneimittelsicherheit können vor allem bei Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite in Gefahr sein. Nicht alle Wirkstoffe sind in der Subsitutionsuasschlussliste aufgeführt. Laut Europäischer Arzneimittelagentur (EMA) muss die Bioverfügbarkeit eines Generikums im Vergleich zum Original nicht bei 100 Prozent liegen. Die Experten haben einen Akzeptanzbereich zwischen 80 und 125 Prozent festgelegt. Erhält im Zuge von Rabattverhandlungen ein anderes Generikum den Zuschlag, kann die Abweichung noch größer sein – denn bei der Spanne wird lediglich mit dem Original verglichen. Zwischen den Generika kann die Abweichung bis zu 45 Prozent betragen.

Tauscht die Apotheke nicht aus und nutzt Faktor 6, darf jedoch nicht das Wunscharzneimittel des Patienten, sondern lediglich das verordnete, eines der drei preisgünstigsten Arzneimittel oder ein wirtschaftlicher Import abgegeben werden. Auf der Verordnung ist ein entsprechender individueller Vermerk mit Datum und Unterschrift vorzunehmen.

Faktor 2: Rabattbegünstigtes Arzneimittel nicht lieferbar
Ist das rabattierte Arzneimittel nicht verfügbar, darf die Apotheke auf das verordnete oder eines der drei günstigsten Arzneimittel sowie einen preisgünstigen Import ausgeweichen. Das abgegebene Arzneimittel darf jedoch nicht teuer sein als das verordnete. Können die Kriterien erfüllt werden, muss neben der Sonder-PZN der Faktor 2 als dreistellige Ziffer aufgedruckt werden. In das Feld der Taxe kommt eine Null. Der Defekt wird dann auf der Verordnung mit Datum und Unterschrift handschriftlich dokumentiert. Der Engpass muss in der Apotheke per Defektbeleg dokumentiert werden.

Auch wenn mit der Novellierung von §3 Rahmenvertrag eine Retaxation nicht zulässig ist, wenn entweder Faktor oder Begründung auf der Verordnung fehlen, empfiehlt es sich, beide Angaben vorzunehmen. Der Apotheker verliert laut Gesetz seinen Vergütungsanspruch nicht, wenn nur das vereinbarte Sonderkennzeichen oder nur ein Vermerk auf der Verordnung aufgebracht ist und ein objektivierbarer Nachweis im Beanstandungsverfahren erbracht werden kann.

Faktor 3: Importarzneimittel nicht verfügbar
Sind die preisgünstigsten 15/15 Importe sind nicht lieferbar, kommt Faktor 3 ins Spiel. Laut 15/15-Regel muss ein Importarzneimittel entweder 15 Prozent oder 15 Euro günstiger sein als das deutsche Original. Ausschlaggebend sind dabei die Nettoabgabepreise, also die Preise nach Abzug des Herstellerrabattes.

Kann die Apotheke diese Importe jedoch nicht beschaffen, muss auf das Original oder einen teureren Import ausgewichen werden. In einigen Fällen wünschen die Krankenkassen eine Rücksprache mit dem Arzt sowie dessen Gegenzeichnung, dies gilt für viele Primärkassen. Ersatzkassen genügt in den meisten Fällen ein handschriftlicher Vermerk mit Datum und Unterschrift. In jedem Fall ist der Defekt zu dokumentieren.

Faktor 4: Rabattbegünstigtes und Importarzneimittel nicht lieferbar
Fehlt es den Apotheken sowohl am Rabattarzneimittel als auch an 15/15-Importen, bleibt nur Faktor 4 und die Belieferung mit dem verordneten oder einem der drei preisgünstigsten Arzneimittel – Vermerk und Dokumentation inklusive.

Faktor 5: Dringender Fall, Akutversorgung
Ob im Notdienst, am Wochenende oder am Abend – eine Akutversorgung kann jederzeit erforderlich sein. Ein dringender Fall kann sowohl bei Antibiotika, als auch bei Schmerzmitteln oder einer Dauertherapie auftreten, wenn diese gefährdet und ein Aufschub unverhältnismäßig ist. Apotheken können mit dem namentlich verordneten, einem der drei preisgünstigsten Arzneimittel oder einem wirtschaftlichen Reimport versorgen. Ein begründender Vermerk, Datum, Unterschrift und vorzugsweise die Angabe der Uhrzeit gehören auf das Rezept.

Im vergangenen Jahr hatte die Barmer mit Retaxationen im Rahmen der Akutversorgung für Ärger unter den Apothekern gesorgt. Die Kasse prüfte als Akutversorgung gekennzeichnete Rezepte auf Plausibilität und stellte diese in Frage. Die rechtliche Grundlage bietet §17 Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO): Demnach dürfen Apotheker bei der Dienstbereitschaft „ein anderes, mit dem verschriebenen Arzneimittel nach Anwendungsgebiet und nach Art und Menge der wirksamen Bestandteile identisches sowie in der Darreichungsform und pharmazeutischen Qualität vergleichbares Arzneimittel abgeben, wenn das verschriebene Arzneimittel nicht verfügbar ist und ein dringender Fall vorliegt, der die unverzügliche Anwendung des Arzneimittels erforderlich macht“, heißt es einschränkend.

Faktor 7: Abgabe des „Wunscharzneimittels“
Apotheker haben im Falle eines expliziten Produktwunsches des Patienten einen Joker mit dem Faktor 7 und dürfen das vom Versicherten verlangte Präparat, das sogenannte „Wunscharzneimittel“, abgeben. § 129 Sozialgesetzbuch (SGB V) regelt die Kostenerstattung.

Der Kunde zahlt das Arzneimittel aus eigener Tasche und erhält Rezeptkopie und Kassenbon, um die Kostenübernahme bei der Kasse zu beantragen. Apotheken reichen das Original in die Rezeptabrechnung und erhalten eine Aufwandsentschädigung von 50 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer. Apotheken gewähren den Krankenkassen den Zwangsrabatt nach § 130 SGB V und die Herstellerabschläge. Der Hersteller muss der Apotheke den gewährten Abschlag innerhalb zehn Tagen nach Rechnungsstellung erstatten.

Auch wenn der Versicherte das Rezept nicht bei Krankenkasse zur Kostenrückerstattung einreicht, ist die Zahlung der gewährten Abschläge geregelt. In diesem Fall hat die Krankenkasse die gewährten Abschläge an die Apotheke und den Hersteller zurückzugewähren.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Neuere Artikel zum Thema
Mehr aus Ressort
10-er Pack kann ausgeeinzelt werden
Meningokokken-B-Impfung: SSB oder Privatrezept?
Packungen in ausländischer Aufmachung
Ausnahmegenehmigung: Was gilt bei der Abgabe?

APOTHEKE ADHOC Debatte