Die Krankenkassen sind mit dem Spargesetz von Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) noch nicht zufrieden. Sie fordern eine drastische Ausweitung und hoffen darauf, dass im Rahmen der neuen Anhörung zum Omnibus-Gesetz noch weitere Änderungsanträge eingebracht werden. Gefordert wird etwa eine sofortige Auflösung des Fonds für pharmazeutische Dienstleistungen (pDL).
Mit dem Gesetz zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege sollen über Änderungsanträge einige Sparmaßnahmen beschlossen werden. Den Löwenanteil des 2 Milliarden Euro schweren Pakets sollen die Kliniken tragen, jeweils 100 Millionen Euro sollen bei den Verwaltungskosten der Kassen und beim Innovationsfonds eingespart werden.
Den Kassen reicht das bei Weitem nicht. Man bekomme die Ausgaben in den verschiedenen Leistungsbereichen nicht in den Griff, monierte der Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands, Oliver Blatt, bein einer Podiumsdiskussion in Berlin. Es sei keine Lösung, mehr Geld ins System zu spülen, denn dort seien genügend Mittel vorhanden. „Nicht verhandelbar“ sei aber, dass es endlich kostendeckend Bundesmittel für versicherungsfremde Leistungen geben müsse. Deshalb sei die Klage gegen den Bund auch ein wichtiges politisches Signal.
Er warnte davor, dass es im kommenden Jahr neue Zusatzbeiträge geben werde. Denn die Kassen seien verpflichtet, ihre gesetzlichen Rücklagen wieder aufzufüllen. Dies sei in den Prognosen bislang nicht berücksichtigt. „Die Nervosität bei den Kassen ist groß und auch die Verärgerung über die nicht gerade sehr verantwortungsvolle Kommunikation der Ministerin. Die Politik macht es sich leicht, weil die Kassen am Ende die Botschaft selber überbringen müssen.“
Er wünsche sich, dass der Katalog an Sparmaßnahmen noch einmal deutlich erweitert werden, auch die Pharmaindustrie und die Ärzte müssten ihren Beitrag leisten. „Wir brauchen auch unbequeme Reformen“, sagte er. Die Vorschläge der Kassen nach einem Deckel bei den Gehältern seien nicht vom Tisch. Auch bei der Regelung zur schnelleren Terminvergabe bekomme man für mehr Geld keine Leistung. „Das gehört in ein Spargesetz.“ Da es eine neue Anhörung geben werde, wäre Raum, die Sparpläne durch weitere Änderungsanträge zu erweitern.
Dr. Sabine Richard vom AOK Bundesverband forderte, dass der pDL-Topf aufgelöst und die Rücklagen von einer halben Milliarde Euro an die Kassen ausgezahlt werden. „Das Geld liegt nur rum“, kritisierte sie und wollte von Tino Sorge (CDU) wissen, warum man das nicht ins Auge gefasst habe.
Es sei nicht so, dass man das nicht diskutiert habe, so der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG). „Die Ideen dazu sind sehr unterschiedlich. Wir wollen das in ein Gesamtkonzept einbauen und so Anreize schaffen. Wir werden zum Schluss entscheiden, was wir damit machen.“
Ohnehin müsse man beim Blick in den „Besteckkasten“ immer auch überlegen, welche Folgen es etwa für den Industriestandort und die Konjunktur gebe. Auch könne man es sich nicht erlauben, wieder neue Engpässe zu provozieren. „Es ist auch nicht so, dass wir uns im BMG angucken, wen wir lieber haben.“
Laut Sorge führt an schnellen strukturellen Reformen kein Weg vorbei. „Wir müssen jetzt ausbaden, dass es in der vergangenen Legislatur keine rechtzeitigen Maßnahmen gegeben hat.“ Er rechne mit offenen Diskussionen im Parlament, auch über sinnvolle Anreize wie mehr Eigenverantwortung. Aber: „Wenn die Konjunktur besser wird, dann wird es auch dem Gesundheitssystem wieder besser gehen.“
Auch Dr. Christos Pantazis von der SPD hätte sich ein breiteres Portfolio an Sparmaßnahmen gewünscht; auch er nannte die Pharmaindustrie als Beispiel. „Wir haben kein Einnahmeproblem, sondern zu viele Kostentreiber im System.“ Er glaubt aber nicht, dass das Paket jetzt noch einmal aufgeschnürt und erweitert wird. „Das ist auf einer anderen Flughöhe entstanden, zu der wir keinen Zugang haben.“
Er räumte ein, dass man den der letzten Legislaturperiode nicht geliefert habe; dabei hätten die versicherungsfremden Leistungen sogar im Koalitionsvertrag gestanden. Man müsse mehr Druck auf Finanzpolitik machen und erklären, dass Gesundheitspolitik eine gesellschaftliche Bewährungsprobe darstelle. Von der Rechten im Bundestag würden die Defizite ständig thematisiert. „Das Verhetzungspotenzial ist nicht zu unterschätzen.“ Daher müsse man jetzt den Reformdruck aufrecht erhalten.
Zumindest zum ebenfalls auf 2 Milliarden Euro bezifferten Defizit in der Pflegeversicherung könnte es zeitnah eine Lösung geben, und zwar noch vor der Haushaltsbereinigungssitzung am 27. November, war sich Pantazis mit Sorge einige. Der Bund habe noch Schulden bei den Kassen wegen Corona, deutete er an. Ein Darlehen wäre für ihn die schlechtere Lösung.
Dr. Janosch Dahmen (Grüne) findet die Sparmaßnahmen dagegen „völlig kopflos“. Im Grunde schichte man Geld aus dem Sondervermögen um, um mit dringend benötigten Infrastrukturmitteln die GKV zu stabilisieren. Dabei würden auch noch alle Kliniken gleich behandelt, egal wie wichtig für die Versorgung sie seien. Dasselbe gelte für die Einsparungen bei den Kassen und beim Innovationsfonds. „Andere Dinge wären viel effektiver gewesen. Das ist ein völlig erratischer Kurs.“
Die Kommunikation von Warken, die Beiträge würden nicht steigen, bezeichnete er als „unredlich“. Denn die Einsparungen seien nicht von Dauer. „Das wird zum Bumerang, denn das zermürbt die Leute, egal ob Leistungserbringer oder Bürger. Das rächt sich auch für diese Ministerin, denn das wird ihr im Januar wieder vorgehalten.“
Dr. Martin Albrecht vom Iges-Institut gab zu bedenken, dass Strukturreform eine gewisse Zeit brauchen, bis sie wirken. „Wir können nicht warten.“ Das Spargesetz sei richtig, auch wenn es ungeschickt sei, den Krankenhäusern widersprüchlich Signale zu senden. Grundsätzlich sei es richtig, den stationären Bereich mit seinen hohen Kosten umzubauen. Aber dann brauche es parallel eine Reform der Notfallversorgung und eine stärkere Ambulantisierung. Das gehe aber nicht alleine über die Ärzte, hier brauche es digitale Lösungen und die Einbindung anderer Berufsgruppen. „Wir brauchen ein Primärversorgungssystem statt eines Primärarztsystems.“


