Kommentar

Spahn: Meister der Schlagzeilen

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Berlin -

Eines hat Jens Spahn (CDU) immerhin schon geschafft: Bereits vor der Amtsübernahme ist der neue Gesundheitsminister in Stadt und Land bekannter als Amtsvorgänger Hermann Gröhe nach vier Jahren. In einem Interview-Marathon hat Spahn für Schlagzeilen gesorgt und Kritik auf sich gezogen. Als Polarisierer zieht der erst 37-jährige nun ins Bundesgesundheitsministerium (BMG) ein. Ob ihn die Schlagzeilen dereinst zu höheren Aufgaben pushen werden, bleibt abzuwarten. Jetzt muss er erst einmal Gesetze und Verordnungen liefern, kommentiert Lothar Klein.

Mit seinen Hartz IV-Aussagen hat Spahn einen politischen Nerv in Deutschland getroffen. Dabei sind die daraus produzierten Schlagzeilen provozierender als Spahns Worte. Das aber wird der medial erfahrene Politiker kalkuliert haben. Spahn will anecken, um Dinge zu bewegen. Spahn lässt sich nicht den Mund verbieten, weder von Parteichefin Angela Merkel noch von der neuen Kabinettsdisziplin. Spahn war immer unbequem und will dies offenbar bleiben.

Das alles sind Eigenschaften, die einem Politiker Aufmerksamkeit garantieren. Nach vier behäbigen Jahren im BMG weht dort ab sofort ein anderer Wind. Das ist gut so, weil viele Aufgaben auf Spahn warten. Gröhe war fleißig wie kein anderer Gesundheitsminister vor ihm, aber er hat die Dinge nicht vorangetrieben. Vor allem bei der Digitalisierung ist Deutschland im internationalen Vergleich abgehängt. Der Medikationsplan auf Papier ist dafür eine symbolträchtige Pleite des ambitionierten E-Health-Gesetzes.

Spahn traut man mehr Dynamik zu. Das kann er jetzt beweisen. Er kann zeigen, dass er sich im sogenannten Haifischbecken der unzähligen widerstreitenden Interessen des Gesundheitswesens nicht den Schneid abkaufen lässt. Das wird schwer genug. Man darf gespannt sein, ob er sich mit den Lobbyisten auf offener Bühne genauso anlegt wie mit den Hartz IV-Empfängern.

Provokation ist sinnvoll, wo sie weiterführt. Nicht um ihrer selbst Willen. Als Gesundheitsminister ist Jens Spahn der politische Kopf eines sensiblen Systems. Es geht um Menschen, um Patienten mit Ängsten und Sorgen und um ihre besorgten Angehörigen. Soziale Kälte ist nicht die passende Reaktion auf dieses Anliegen. Spahn muss erst noch unter Beweis stellen, dass er Staatsmann kann, dass er für die Anliegen der Patienten und Pflegebedürftigen die richtigen sachlichen Antworten und Worte findet.

Spahn ist stets für Überraschungen gut. Das kann in der kommenden Zeit mal die Ärzte treffen, die Pharmaindustrie oder auch die Apotheker. Das Kapitel Gesundheit des Koalitionsvertrags lässt ihm genügend Spielraum für eigene Ideen. Es ist kaum anzunehmen, dass Spahn Gröhes Gesetzentwurf zum Rx-Versandverbot unverändert übernehmen wird. Dazu gibt es auch in der CDU zu großen Widerstand. Mit Gröhe haben die Apotheker ihren wichtigsten politischen Unterstützer verloren. Jetzt werden die Karten neu gemischt. Womöglich sind die Aussagen von DAV-Chef Fritz Becker zum Rx-Versandverbot eine erste Reaktion darauf. Jedenfalls hat Becker die bisherigen ABDA-Akzente variiert.

Spahn eckt also an, er provoziert, dies aber kalkuliert. Unberechenbar ist er deshalb nicht. Er passt in kein politisches rechts-links Schema. In den vergangenen Jahren hat er sich vor allem als konservativer CDU-Politiker und Merkel-Kritiker profiliert. Politische Spalter haben es in der harmoniesüchtigen und auf sozialen Ausgleich bedachten deutschen Gesellschaft aber noch nie ins Kanzleramt geschafft.

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