Kommunen sollen zahlen

Hunderte Millionen für Kioske und Polikliniken

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Berlin -

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nimmt einen zweiten Anlauf für sein „Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune“ (Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz, GVSG), das unter anderem die Einrichtung von Gesundheitskiosken, Gesundheitsregionen und Primärversorgungszentren beziehungsweise kommunalen MVZ vorsieht. Wie aus dem neuen Referentenentwurf hervorgeht, will er dreistellige Millionenbeträge in diese neuen Versorgungsstrukturen investieren. Während auch die Kommunen einen Teil beisteuern sollen, kommt der Löwenanteil von den Kassen.

Lauterbach sieht regionale Defizite in der Gesundheitsversorgung, die er mit Hilfe von drei neuen Strukturen angehen will und für die er den Kommunen eine Förderung durch GKV-Gelder verspricht:

Gesundheitskioske

Insbesondere in benachteiligten Regionen und Stadtteilen sollen Gesundheitskioske zu niedrigschwelligen Anlaufstellen für Prävention und Behandlung werden. Hier sollen den Menschen unabhängig vom Versichertenstatus allgemeine Beratungs- und Unterstützungsleistungen angeboten werden, etwa zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen und Präventionsangeboten. „Die Ratsuchenden sollen zudem bei der Vermittlung von Terminen oder konkreten Leistungsangeboten unterstützt werden.“

Gesundheitsregionen

Wo kein Kiosk gegründet werden soll, will Lauterbach den Kommunen ermöglichen, gemeinsam mit den Kassen sogenannte Gesundheitsregionen zu bilden. „Darüber soll es gelingen, regionale Defizite der Gesundheitsförderung und Prävention sowie der Versorgung zu beheben. Auch soll über entsprechende Gesundheitsregionenverträge die Zusammenarbeit an Schnittstellen und der Zugang zur regionalen Versorgung verbessert werden können“, heißt es im Referentenentwurf.

Ein Gesundheitsregionenvertrag stellt demnach eine „alternative Organisation der Regelversorgung ohne Einschreibepflicht der Versicherten“ dar; gleichzeitig sollen aber die freie Arzt- und Leistungserbringerwahl gewahrt bleiben. Beachtet werden sollen außerdem „die Verantwortlichkeiten zur Daseinsvorsorge, der gewachsenen Strukturen und der regionalen Bedarfe“.

Als Beispiele nennt der Entwurf etwa Regelungen zur Verbesserung von Mobilität, um etwa in unterversorgten Regionen Patientinnen und Patienten zu den Versorgern zu bringen, oder auch Regelungen zum Ausbau des Versorgungsangebots vor Ort, „zum Beispiel durch telemedizinische Angebote oder die Ausweitung von zertifizierten Präventionsangeboten etwa durch Kooperationen oder das Bereitstellen von Räumlichkeiten“.

In den Verträgen können laut Entwurf auch Regelungen zur Vergütung getroffen werden. „Insoweit erfolgt die Vergütung auf Grundlage der bestehenden Vergütungsregelungen.“

Primärversorgungszentren

„Mit dem Ziel, den Herausforderungen in der hausärztlichen Versorgung insbesondere in ländlichen und strukturschwachen Regionen zu begegnen und den besonderen Bedürfnissen älterer und multimorbider Patientinnen und Patienten gerecht zu werden, sollen Primärversorgungszentren etabliert werden. Sie sollen als attraktive Beschäftigungsmöglichkeit für Hausärztinnen und Hausärzte auch die Bereitschaft zur Niederlassung in diesen Regionen steigern“, heißt es im Entwurf.

Gegründet werden können solche Einrichtungen durch Ärzte, aber auch durch MVZ: „Mit dem Ziel, die Kommunen besser in die Lage zu versetzen, eine starke lokale Versorgungsinfrastruktur aufzubauen, wird die Gründung kommunaler MVZ erleichtert.“ Außerdem müssen Kooperationsverträge mit Gesundheitskiosken oder Kommunen, außerdem muss die Kooperation mit Fachärzten und anderen Leistungserbringern gewährleistet sein.

Millionen an Mehrausgaben

Alleine Gesundheitskioske und Gesundheitsregionen sollen mittel- und langfristig zwar aufgrund einer besseren Versorgung zu Einsparungen führen; zunächst stehen aber erhebliche Investitionen an.

400.000 Euro pro Kiosk pro Jahr

Für den Betrieb eines Gesundheitskiosks rechnet das BMG mit Kosten von 400.000 Euro pro Jahr, wovon drei Viertel auf Personal- und ein Viertel auf Sachkosten entfällt. 74,5 Prozent der Ausgaben sollen die Kassen übernehmen, weitere 5,5 Prozent die PKV. Für die restlichen 20 Prozent müssen die Kommunen selbst aufkommen.

Das BMG rechnet in einer ersten Schätzung damit, dass noch in diesem Jahr deutschlandweit rund 30 Gesundheitskioske eröffnen. Im kommenden Jahren sollen insgesamt etwa 60 Kioske am Netz sein, 2026 soll sich die Zahl erneut auf rund 120 verdoppeln. 2027 soll es dann etwa 220 Gesundheitskioske geben.

Damit sollen 2027 die Kassen bis zu 66 Millionen Euro für die Kioske aufbringen, die PKV knapp 5 Millionen Euro und die Kommunen knapp 18 Millionen Euro. In der Summe belaufen sich die Kosten also auf knapp 100 Millionen Euro.

150.000 Euro pro Gesundheitsregion pro Jahr

Die Kosten für die Gesundheitsregionen beziffert das BMG auf 150.000 Euro, auch hier entfallen drei Viertel auf Personalkosten. Hier sollen Kommunen und Kassen zu gleich großen Teilen aufkommen. Einer ersten Schätzung zufolge könnten im Jahr 2024 deutschlandweit rund 40 Gesundheitsregionen, im Jahr 2025 insgesamt etwa 70 Gesundheitsregionen, im Jahr 2026 insgesamt rund 120 Gesundheitsregionen und im Jahr 2027 insgesamt etwa 200 Gesundheitsregionen etabliert sein.

Damit müssten Kassen und Kommunen in drei Jahren jeweils 15 Millionen Euro aufwenden, in Summe also 30 Millionen Euro.

Was die Primärversorgungszentren angeht, traut sich das BMG noch keine Prognose zu. Allerdings werden sollen hier ja Leistungen nicht nur gesteuert, sondern auch erbracht werden, sodass die Finanzierung wohl zu einem großen Teil über die regulären Vergütungen und zu Lasten der anderen Leistungserbringer abgebildet werden kann.

Weitere Maßnahmen

Passend dazu soll den Ländern ermöglicht werden, „ihre versorgungsrelevanten Erkenntnisse in den Zulassungsausschüssen verbindlich zur Geltung zu bringen und damit die vertragsärztliche Versorgung maßgeblich mitzugestalten“.

Die Bewilligungsverfahren für Hilfsmittelversorgungen von Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen sollen beschleunigt werden.

Auch ein weiteres Transparenzregister soll eingeführt werden: „Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Transparenz hinsichtlich der Servicequalität der Kranken- und Pflegekassen sowie hinsichtlich des Leistungsgeschehens in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der sozialen Pflegeversicherung zu erhöhen.“

Wie bereits angekündigt, soll die Budgetierung der ärztlichen Honorare im hausärztlichen Bereich gestrichen werden. „Die finanzielle Attraktivität der Ausübung einer allgemeinärztlichen Tätigkeit wird angesichts des Verantwortungsumfangs in der hausärztlichen Versorgung im Vergleich mit der Tätigkeit anderer Facharztgruppen als vergleichsweise gering bewertet. Dies äußert sich in größer werdenden Problemen bei der Nachbesetzung hausärztlicher Arztsitze“, heißt es zur Begründung.

Homöopathische und anthroposophische Arzneimittel und Leistungen sollen aus der Erstattung gestrichen werden, da für ihre Wirksamkeit keine hinreichende wissenschaftliche Evidenz vorliege. „Die Nutzung von Homöopathika und Anthroposophika sowie homöopathischer Leistungen sollte daher ausschließlich auf der eigenverantwortlichen Entscheidung der Versicherten zur Finanzierung dieser Leistungen beruhen und nicht vom Versichertenkollektiv der Krankenkasse(n) finanziert werden.“

Um Abrechnungsbetrügern leichter auf die Schliche zu kommen, soll die Fehlverhaltensbekämpfung weiterentwickelt und gestärkt werden. Daher werden die Landesverbände der Krankenkassen nunmehr ausnahmslos einbezogen, um insbesondere kleinere Krankenkassen bei dieser Aufgabe zu unterstützen. „Zudem werden Datenübermittlungsbefugnisse erweitert und die Voraussetzungen für eine KI-gestützte Datenverarbeitung bei der Fehlverhaltensbekämpfung gesetzlich klargestellt. Der GKV-Spitzenverband wird verpflichtet, auf der Grundlage eines von ihm einzuholenden externen Gutachtens ein Konzept für eine bundesweite Betrugsdatenbank vorzulegen.“ Auch Kassenärztliche Vereinigungen (KVen), Bundesrechnungshof (BRH) und Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA) sollen Zugang zu den Informationen bekommen.

Der G-BA soll weiterentwickelt werden: „Es werden die Interessenvertretung der Pflege sowie die Patientenvertretung gestärkt, die Entscheidungen der Selbstverwaltung beschleunigt und die Mitsprachemöglichkeiten der Vertretungen der Hebammen, wissenschaftlicher Fachgesellschaften und weiterer Betroffener ausgebaut.“

Der Wechsel aus der PKV in die Familienversicherung soll für solche Personen untersagt werden, die nur aufgrund des Absenkens ihrer Altersrente auf eine Teilrente die Voraussetzungen für die Familienversicherung erfüllen. Dadurch werde eine bislang bestehende Gesetzeslücke geschlossen.

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