Als Leiter der Leitungsabteilung im Bundesgesundheitsministerium (BMG) war Boris Velter einer der wichtigsten Mitarbeiter von Karl Lauterbach (SPD). Als Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) spricht er jetzt sein Bedauern aus, dass das Ressort an die CDU geht.
„Unsere Verhandlerinnen und Verhandler haben mit der Union hart über die Gesundheits- und Pflegepolitik in der 21. Wahlperiode gerungen“, so Velter in einem Brief an die ASG-Mitglieder. „Euch wird nicht überraschen, dass ich den Übergang der Ressortverantwortung für das BMG von SPD auf CDU für einen großen Fehler halte. Denn der Koalitionsvertrag wartet zwar mit vielen wichtigen und guten Arbeitsaufträgen auf; diese müssen aber nun konzeptionell-gesetzlich operationalisiert werden.“
Umso größer sei nun die Verantwortung für die SPD, ihre Bundestagsfraktion und die sozialdemokratisch geführten Ressorts, dass „die nun zu realisierende Gesundheits- und Pflegepolitik der neuen Bundesregierung mit unseren sozial-demokratischen Werten übereinstimmt“.
Denn wieder einmal habe sich in den Verhandlungen gezeigt, wie groß die inhaltlich-programmatischen Unterschiede zur Union teilweise seien, so Velter. „Es gibt sozialdemokratische Kernanliegen, die wir mit der Union nicht umsetzen können“, so Velter mit Verweis auf das System aus GKV und PKV. „Und schließlich gibt es ideologisch deutliche Unterschiede zwischen Union und SPD, wenn es um die Balance zwischen ‚Eigenverantwortung‘ und ‚Solidarität‘ geht.“
Dennoch sei es gelungen, eine „verdichtete, ambitionierte Reformagenda“ zu erstellen, so Velter, der die Delegation um Katja Pähle und Lauterbach begleitet hatte: Statt „Prosa“ finde sich in fast jedem Satz eine konkrete Maßnahme, oft versehen mit einem klaren Umsetzungszeitpunkt. „Das Kapitel verzichtet weitgehend auf Prüfaufträge; es ist – auch im Vergleich zu den anderen Abschnitten – ein echtes Arbeitsprogramm.“
Seine Meinung für die laufende Mitgliederabstimmung: „Aus gesundheits- und pflegepolitischer Sicht kann der Koalitionsvertrag meines Erachtens gut mitgetragen werden.“
Denn inhaltlich setze der Koalitionsvertrag den Modernisierungskurs fort, der zuletzt beschritten wurde: „Wichtige Vorhaben zur Verbesserung der Qualität und Effizienz aus der vergangenen Legislatur – wie zum Beispiel die Krankenhausreform und die Digitalisierung (elektronische Patientenakte) – werden konsequent weiterentwickelt.“ Auch Reformen, die man wegen der FDP nicht mehr zu Ende habe bringen können, seien im Koalitionsvertrag fest verankert worden. Als Beispiel nannte er die Notfallversorgungsreform, die Initiativen zur Entbürokratisierung des Gesundheitswesens, das Pflegekompetenzgesetz und das Pflegeassistenzgesetz oder die Ambulantisierung (Hybrid-DRGs).
„Und es werden neue, umfassende Strukturveränderungen angelegt: etwa ein Primärarztsystem mit Termingarantie, mit dem es gelingen kann, Patientinnen und Patienten schneller in die richtige ambulante Versorgung zu lenken – inklusive der entsprechenden Öffnung der Krankenhäuser für gesetzlich Versicherte. All dies entspricht unseren ASG-Beschlusslagen.“
Zudem setze der Koalitionsvertrag einen Schwerpunkt auf die Versorgungssicherheit, „auch dies aufbauend auf den Anstrengungen der 20. Wahlperiode“, so Velter. „Etwa durch Rückverlagerung von Produktionsstandorten für kritische Arzneimittel nach Deutschland und Europa, die Stärkung von Fachärztinnen und Fachärzten in unterversorgten Gebieten und von Apotheken im ländlichen Raum.“
Während hier die Chance bestehe, konkrete Verbesserungen im Alltag der Menschen zu erreichen, sehe es auf der Finanzierungsseite weniger positiv aus: Dass wesentliche Fragen der Beitragssatzstabilisierung in Kommissionen und Arbeitsgruppen verlagert wurden, berge hohe Risiken. „Gerade vor dem Hintergrund, dass es nicht gelungen ist, gesamtgesellschaftliche Aufgaben durch entsprechende Steuermittel kurzfristig umzufinanzieren. Hieraus folgt bis zum mittelfristigen Greifen der Strukturreformen ein enormer Beitragssatzdruck.“