Kartellwächter widersprechen dem BMG

Bundeskartellamt stellt Google unter Aufsicht

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Berlin -

Google ist ein Anwendungsfall für die neue Aufsicht über große Digitalkonzerne: Das Bundeskartellamt hat entschieden, dass der Mutterkonzern Alphabet der erweiterten Missbrauchsaufsicht durch die Kartellbehörde unterfällt – denn Google habe eine „überragende marktübergreifende Bedeutung“, so Kartellamtspräsident Andreas Mundt. Er widerspricht damit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), das Google vergangenen Februar noch „keine marktbeherrschende Stellung“ attestierte.

Seit Januar 2021 soll eine neue Vorschrift des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen dem Bundeskartellamt ein früheres und effektiveres Eingreifen ermöglichen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. Es kann in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen. „Nach weniger als einem Jahr haben wir nun die erste förmliche Entscheidung auf der Basis dieser Vorschrift getroffen und eine überragende marktübergreifende Bedeutung von Google festgestellt“, so Mundt. „Das ist ein ganz wesentlicher Schritt, denn auf dieser Grundlage kann das Bundeskartellamt jetzt konkrete, für den Wettbewerb schädliche Verhaltensweisen aufgreifen. Wir haben bereits damit begonnen, uns mit der Verarbeitung persönlicher Daten durch Google sowie dem Thema Google News Showcase intensiver zu befassen. Parallel dazu betreiben wir mit Nachdruck weitere Verfahren gegen Amazon, Apple und Meta, ehemals Facebook.“

Nach Ansicht des Bundeskartellamts verfügt Alphabet über eine wirtschaftliche Machtposition, die dem Unternehmen vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte, marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet. In Deutschland habe Google mit Marktanteilen von über 80 Prozent eine beherrschende Stellung auf dem Markt für allgemeine Suchdienste und sei der wesentliche Anbieter für suchgebundene Werbung. Auch bei der Vermarktung von Online-Werbung verfügt Google über reichweitenstarke Werbedienste, die die gesamte Wertschöpfungskette abdecken.

Weiterhin habe Google in seinem digitalen Ökosystem bedeutenden Einfluss auf den Zugang anderer Unternehmen zu seinen Nutzern und Werbekunden – zum Beispiel über die Google-Suche, YouTube, Android, den Play Store oder seine Werbedienste – und könne marktübergreifend gegenüber anderen Unternehmen die Regeln und Rahmenbedingungen vorgeben. Insoweit könne deshalb von einem „Infrastrukturcharakter“ dieser Dienste gesprochen werden, weil eine Vielzahl anderer Leistungen weitgehend nur darüber erbracht werden können beziehungsweise diese Dienste eine hohe Bedeutung für die wirtschaftlichen Aktivitäten Dritter haben.

Dem hatte das BMG im Verfahren zu seinem Nationalen Gesundheitsportal noch vor weniger als einem Jahr widersprochen: Anfang Februar 2021 hatte das Projekt des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) vor dem Landgericht München I eine Niederlage kassiert. Spahn hatte einen – scheinbar informellen – Deal mit Google geschlossen, durch den bei Suchanfragen zu Gesundheitsfragen sein Portal bevorzugt angezeigt werden sollten. Dieser Deal bewirkte eine Beschränkung des Wettbewerbs auf dem Markt für Gesundheitsportale, entschied das Gericht, nachdem die Burda-Tochter Netdoktor dagegen geklagt hatte. 90 Prozent der Zugriffe auf Netdoktor kämen über Google, so das Argument. Außerdem habe auch die EU-Kommission Google bereits zweimal wegen des Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung bestraft, nämlich 2017 für Manipulationen in seinem Preisvergleichsdienst und 2018 wegen Einschränkungen für Android-Betriebssysteme.

Das BMG wies das vor Gericht zurück: Google habe keine marktbeherrschende Stellung und auch die Kartellstrafen samt Einschätzung der Kommission würden nichts Gegenteiliges belegen. Die Begründung: Die Entscheidungen lagen zum Zeitpunkt des Verfahrens zwei beziehungsweise drei Jahre zurück und hätten zudem keine Bindungswirkung und keinen Präzedenzcharakter. Die Richter waren dem nicht gefolgt.

Nutzerdaten können marktübergreifend eingesetzt werden

Das Bundeskartellamt erklärt nun ausführlicher als bisher, warum es zur selben Einschätzung gelangt wie die EU-Kommission: Insbesondere aufgrund der hohen Reichweiten seiner Dienste verfüge Google auch über einen herausragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten. Die große Nutzerbasis Googles, die weite Verbreitung seiner Werbedienste und die Vielzahl der Daten, die Google über Nutzerdienste und teilweise auch geräteübergreifend erheben kann, ermöglichten der Suchmaschine nicht nur die Vermarktung zielgerichteter Werbung, sondern auch die stetige Fortentwicklung ihrer Dienste. Die wettbewerblichen Vorteile aus diesem Datenzugang sowie andere Ressourcen, wie etwa die Marke „Google“ können demnach als vielfältig nutzbare Einsatzfaktoren („shareable inputs“) marktübergreifend eingesetzt werden. Dies erleichtert es, Dienste zu betreiben, zu verbessern, zu erweitern und völlig neue Dienste zu entwickeln. Schließlich komme Googles überragende Bedeutung für den Wettbewerb in seiner Marktkapitalisierung zum Ausdruck, die weltweit eine der höchsten ist und Googles große Finanzkraft widerspiegelt.

Die Entscheidung des Bundeskartellamtes ist entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auf fünf Jahre befristet. Innerhalb dieses Zeitraumes unterliegt Google in Deutschland der besonderen Missbrauchsaufsicht durch das Bundeskartellamt nach § 19a Abs. 2 GWB. Das Unternehmen hat erklärt, gegen den Beschluss kein Rechtsmittel einzulegen und die Normadressatenstellung nicht zu bestreiten – erklärt damit allerdings ausdrücklich nicht, dass es zwingend mit allen vom Amt in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen einverstanden ist.

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