„Überragende marktübergreifende Bedeutung“

Amazon: Kartellamt schaut genauer hin

, Uhr aktualisiert am 09.07.2022 10:43 Uhr
Berlin -

Jeder zweite im Versandhandel ausgegebene Euro fließt an Amazon. Daher hat das Bundeskartellamt gestern formal festgestellt, dass der US-Konzern ein „Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ ist. Entsprechend unterfällt Amazon gemeinsam mit seinen Tochterunternehmen jetzt der erweiterten Missbrauchsaufsicht.

Mit der Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB-Digitalisierungsgesetz) wurde Anfang 2021 eine neue Vorschrift eingeführt: § 19a erlaubt dem Bundeskartellamt seitdem ein früheres und effektiveres Eingreifen, insbesondere gegen Verhaltensweisen großer Digitalkonzerne. In einem zweistufigen Vorgehen kann die Wettbewerbsaufsicht allen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.

„Amazon ist der zentrale Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce. Die Angebote des Konzerns unter anderem als Händler, Marktplatz, Streaming- und Cloud-Anbieter sind zu einem digitalen Ökosystem verbunden“, so Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes. Daher habe man entschieden, dass der Konzern auch im kartellrechtlichen Sinne ein Unternehmen von überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. „Konkret bedeutet diese Entscheidung, dass wir bei Amazon mögliche wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen gezielt aufgreifen und unterbinden können, und zwar effektiver als das bisher der Fall war. Bei seinen Marktplatzdienstleistungen für Dritthändler halten wir Amazon für marktbeherrschend. Damit greift hier zusätzlich die parallel anwendbare klassische Missbrauchsaufsicht, auf deren Grundlage wir derzeit schon Verfahren gegen Amazon führen.“

Jeder zweite Euro an Amazon

Laut den Wettbewerbshütern entfallen von den weltweiten Umsatzerlösen von rund 400 Milliarden Euro im Jahr 2021 rund 32 Milliarden Euro auf Deutschland. Nach Einschätzung der Behörde wird damit mehr als jeder zweite Euro im deutschen Online-Einzelhandel auf der Amazon-Handelsplattform ausgegeben. Weitere Geschäftsfelder neben dem E-Commerce als Händler und Marktplatz seien digitale Inhalte wie Filme, Serien oder Musik im Prime-Abonnement sowie Dienstleistungen in den Bereichen Logistik, Werbung und Zahlungsabwicklung. Auch im Bereich des Cloud-Computing gelte Amazon mit Amazon Web Services (AWS) mittlerweile als führend und erziele dadurch einen Großteil seiner Konzerngewinne, nämlich 56 Prozent des Jahresüberschusses in 2021.

Die überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb verschaffe Amazon eine Machtposition, die ihm „vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume“ eröffne, schreibt das Kartellamt und listet auf:

  • Als Handelsplattform habe Amazon eine zentrale strategische Position im deutschen Online-Einzelhandel.
  • Bei Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler in Deutschland verfüge Amazon über einen umsatzbezogenen Marktanteil von über 70 Prozent und sei damit marktbeherrschend. Dies werde durch die eigene Einzelhandelstätigkeit auf der Plattform sogar noch verstärkt.

„Damit einher geht eine Regelsetzungsmacht, die erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit und den Geschäftserfolg anderer Unternehmen eröffnet. Das bedeutet, Amazon kann den Zugang anderer Unternehmen zu Absatz- und Beschaffungsmärkten kontrollieren und dabei seine Doppelrolle als Händler und Marktplatz ausspielen.“

Eigenes Ökosystem

Das breite Portfolio an Geschäftstätigkeiten habe Amazon zu einem stark integrierten digitalen Ökosystem verbunden, das dazu beitrage, Nutzergruppen zu binden. „Eine besondere Rolle spielt dabei das Prime-Abonnement, mit dem Endkunden neben einer versandkostenfreien Lieferung vielfältige weitere Dienstleistungen angeboten werden.“ Mehr als 17 Millionen registrierte Nutzerinnen und Nutzer besitzen demnach ein solches kostenpflichtiges Prime-Abonnement. „Zudem verfügt Amazon über erhebliche Ressourcen wie wettbewerbsrelevante Daten und eine starke Finanzkraft.“

Nach der Entscheidung des Bundeskartellamts unterliegt Amazon in Deutschland nun der besonderen Missbrauchsaufsicht. Dies ist gemäß den gesetzlichen Vorgaben auf fünf Jahre befristet. Zuvor hatte man in Bonn bereits eine überragende marktübergreifende Bedeutung bei Alphabet/Google und bei Meta/Facebook rechtskräftig festgestellt. Auf Basis der neuen Vorschriften laufen demnach gegen beide Konzerne auch bereits Verfahren, die sich gegen konkrete Verhaltensweisen richten.

Zwei laufende Verfahren

Auch gegen Amazon führt das Bundeskartellamt aktuell zwei Verfahren nach den Regelungen der klassischen Missbrauchsaufsicht, die schon vor der Gesetzesnovelle gültig waren. In einem Verfahren wird untersucht, inwieweit Amazon durch Preiskontrollmechanismen und Algorithmen Einfluss auf die Preissetzung der auf dem Amazon-Marktplatz tätigen Händler nimmt. In einem zweiten Verfahren prüft das Bundeskartellamt, inwieweit Vereinbarungen zwischen Amazon und Markenherstellern, unter anderem Apple, die Dritthändler vom Verkauf von Markenprodukten auf dem Marktplatz ausschließen, einen Verstoß gegen Wettbewerbsregeln darstellen.

Schon 2018 hatte das Bundeskartellamt mit einem Missbrauchsverfahren die Geschäftsbedingungen und Verhaltensweisen von Amazon gegenüber Dritthändlern aufgegriffen. Das 2019 abgeschlossene Verfahren habe weitreichende Verbesserungen für die Händler erwirkt.

Amazon kündigt Widerstand an

Amazon weist die Behauptungen zurück: „Wir stimmen den Feststellungen des Bundeskartellamts nicht zu und werden die Entscheidung sowie unsere Optionen, auch Rechtsmittel, sorgfältig prüfen. Amazon ist in erster Linie ein Einzelhändler, und der Gesamtanteil des E-Commerce am deutschen Einzelhandelsumsatz wurde für das Jahr 2021 durch den Handelsverband Deutschland auf nur 14,7 Prozent geschätzt. Wir konkurrieren mit vielen etablierten, erfolgreichen deutschen und internationalen Unternehmen – und das gilt gleichermaßen für unsere Geschäfte in anderen Branchen.“

In Deutschland habe man zwischen 2010 bis 2020 rund 36,5 Milliarden Euro investiert, arbeite eng mit der lokalen Forschung zusammen, beschäftige aktuell mehr als 30.000 Menschen und werde weitere 6000 neue Stellen in diesem Jahr schaffen. „Kund:innen, Partner:innen und die zehntausenden von Unternehmen in Deutschland, die in unserem Store verkaufen, vertrauen in und profitieren von unserer Innovationsfähigkeit. Verkaufspartner:innen stehen inzwischen für mehr als 60 Prozent aller im Amazon Store verkauften Waren, und bei Amazon verkaufende kleine und mittlere Unternehmen beschäftigen mehr als 150.000 Mitarbeiter:innen in Deutschland.“

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