Nutzenbewertung

Arzneimittel-TÜV: Patienten sollen mitreden

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Berlin -

Der Patient steht im Mittelpunkt – zumindest in der Theorie. Tatsächlich haben alle Beteiligten im Gesundheitswesen eigene Interessen, von den Herstellern über Ärzte und Apotheken bis hin zu den Krankenkassen. Damit für neue Medikamente keine überhöhten Preise aufgerufen werden, gibt es seit 2011 die Nutzenbewertung. Doch Experten kritisieren, dass diese die klinische Realität nicht ausreichend berücksichtigt. Auch der Pharmakonzern Bayer fordert, dass neben harten Studienergebnissen auch „weiche Faktoren“ eine stärkere Rolle spielen.

Laut Marco Annas, Politikchef bei Bayer, ist die Nutzenbewertung primär ein politisches Instrument zur Preisregulierung. Die Ergebnisse dürften daher nicht unreflektiert als ärztliche Therapieempfehlung interpretiert oder als endgültig betrachtet werden. Laut Annas stellen sie nur eine Momentaufnahme der vorhandenen Evidenz dar.

„Ein großes Problem bei der Arzneimittelbewertung ist, dass das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) stets nach der bestmöglichen Evidenz verlangt, dabei aber aus formalen Gründen die tatsächlich verfügbare Evidenz ignoriert, aus der sich auch Informationen für die Quantifizierung eines Zusatznutzens ableiten lassen“, kritisiert Annas. Häufig werde im Verfahren auf die Zulassungsstudien zurückgegriffen. Die Meinungen des IQWIG spiegelten daher nicht die Realität im klinischen Alltag wieder, was zu unbefriedigenden Bewertungsergebnissen führe.

Patienten sollten stärker eingebunden werden, forderte Professor Dr. Axel Mühlbacher, Experte für Gesundheitsökonomie und Medizinmanagement der Hochschule Neubrandenburg. Denn bislang bleibe ihre Perspektive bei der Bewertung des Zusatznutzens weitgehend unberücksichtigt. „Regulatorische Entscheidungen zur Therapie werden heute überwiegend aus der der Sicht von Experten beurteilt“, so Mühlbacher. „Das Messen von klinischen Daten ist extrem notwendig, aber nicht hinreichend für eine transparente Entscheidungsfindung. Die Kriterien der Patienten müssen nicht zwangsläufig deckungsgleich mit denen der Experten sein.“

Mühlbacher räumt ein, dass der Patientennutzen aus mehreren Variablen besteht und als „latentes Konstrukt“ schwierig zu definieren und zu messen sei. Dennoch gebe es wissenschaftliche Studien zu Patientenpräferenzen; diese würden derzeit aber kaum berücksichtigt. Das muss sich aus Sicht des Experten dringend ändern: Da sozialrechtlich die Eigenverantwortung der Versicherten gefordert werde, sei es wichtig, die Patienten an medizinischen Entscheidungen teilhaben zu lassen. Auch das IQWIG habe das Problem erkannt und drei Pilotstudien durchgeführt, um künftig Entscheidungskriterien unterschiedlich zu gewichten und die Bewertungsmethodik zu verbessern.

Auch Dr. Johannes Bruns, Generalsekretär der Deutschen Krebsgesellschaft, findet es problematisch, dass für ein- und dasselbe Arzneimittel unterschiedliche Maßstäbe angelegt würden: Während bei der Zulassung Wirksamkeit und Unbedenklichkeit entscheidend seien, spielten bei der Prüfung durch IQWIG und Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) die Kosten eine Rolle. Dabei seien die Studienergebnisse entscheidend. Im Arzt-Patient-Gespräch gehe es dagegen um Diagnose, Heilung oder auch um das Überleben des einzelnen Patienten.

„Wenn es bei einem Medikament aus der Zulassung Hinweise darauf gibt, dass es das progressionsfreie Überleben verbessert, dann ist das ein Grund, seinen Einsatz in Erwägung zu ziehen“, sagt Bruns. Für ihn ist der rasche und sichere Zugang zu medizinischen Innovationen für alle betroffenen Krebspatienten essentiell, um als Arzt einen Behandlungserfolg erzielen zu können. Bruns schlägt ein „gemeinsames Handeln“ vor, bei dem eine Brücke zwischen den unterschiedlichen Ansätzen gebildet werden könne. Dazu sei eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit notwendig – im Idealfall könnten so auch Daten aus dem klinischen Alltag berücksichtigt werden.

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