Rx-Switch

Schlafmittel ab 65: So debattierte der Ausschuss

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Berlin -

Seit Jahrzehnten werden Antihistaminika in der Selbstmedikation als Schlafmittel eingesetzt. Doch jetzt hat sich der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht überraschend dafür ausgesprochen, dass Menschen ab 65 Jahren Präparate mit den Wirkstoffen Diphenhydramin und Doxylamin nur noch auf Rezept erhalten sollen. Das Protokoll zur Sitzung Ende Januar gibt Aufschluss über die kontroverse Diskussion zum Thema. Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) hält sich derweil noch bedeckt, wie es mit der Empfehlung umgehen will.

Zwar stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) mit einer ausführlichen Präsentation dar, dass sich weder aus den Spontanmeldungen noch aus Studien ein erhöhtes Risiko für ältere Patienten ableiten lassen. Doch die Experten blieben trotzdem skeptisch.

Pro Rezeptpflicht

Es gebe einen Konsens unter Fachleuten, die sich mit der Alterspharmakologie beschäftigten, dass diese Substanzen negativ zu bewerten seien, argumentierte ein Mitglied des Ausschusses.

Ein weiterer Experte stellte eine Nutzen-Risiko-Abwägung an: Die Wirkung von Diphenhydramin als Schlafmittel sei sehr begrenzt, zudem komme es nach kurzer Zeit zu einer Toleranzentwicklung. Dagegen gebe es massive Nebenwirkungen vor allem im neurokognitiven Bereich bei älteren Patienten, die bereits nach einer Dosis auftreten könnten. Dabei handele es sich außerdem um Langzeiteffekte. Die zugelassenen Dosen von Diphenhydramin seien bereits relativ hoch und damit ein Maximum an anticholinergen Wirkungen zu erwarten. Patienten reagierten aber individuell sehr unterschiedlich, sodass eine graduierte Betrachtung bezüglich der Dosis daher fraglich sei.

Ein weiterer Experte bekräftigte, dass erhebliche neurokognitive Einschränkungen inklusive Demenz bei Gabe von Diphenhydramin bei Älteren auftreten könnten. Hierzu gäbe es ausreichend Daten, auch aus kontrollierten Studien.

Ein weiteres Argument war, dass sich bei Altsubstanzen generell die Frage einer aktuellen Bewertung stelle. Zu diesen seien teilweise in der Vergangenheit Entscheidungen gefallen, die heute einer kritischen Überprüfung bedürften. Dies sei hier der Fall.

Ein Ausschussmitglied merkte an, dass es eigentlich alle Sachverständigen des Ausschusses die Substanzen als problematisch bei älteren Menschen ansehen. Diesen Expertenmeinungen komme insbesondere bei fehlenden Studiendaten eine Bedeutung bei, die nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Ein Experte argumentierte, dass mit dem Rx-Switch erreicht werde, dass die Patienten zum Arzt gingen. Der Arzt könnte die Schlafstörung adäquat behandeln. Im Alter seien alle Schlafmittel problematisch, es gehe daher eher darum, die Schlafumstände und eventuelle Sekundärerkrankungen in den Blick zu nehmen.

Ein drittes Ausschussmitglied stellte zur Diskussion, ob es nicht im Sinne der Patientensicherheit das richtige Vorgehen wäre, die Substanzen der Verschreibungspflicht zu unterstellen, bis entsprechende Studiendaten die Unbedenklichkeit belegen würden. Das pharmakologische Profil lasse ein Risiko wahrscheinlich erscheinen.

Contra Rezeptpflicht

Das BfArM argumentierte, dass es fragwürdig erscheine, Substanzen, die seit Jahrzehnten apothekenpflichtig verfügbar seien, ohne belastbare neue Daten und ausreichende Evidenz jetzt der Verschreibungspflicht zu unterstellen. Das Nebenwirkungsspektrum sei seit langem bekannt, es gebe keinen neuen Kenntnisstand. Auch neuere Studien hätten keine Aufschlüsselung nach Substanzen vorgenommen. Da sich aber beispielsweise die Halbwertzeiten unterschieden, erscheine es fraglich, ob hier Gruppeneigenschaften ohne Differenzierung Grundlage für die Verschreibungspflicht sein könnten.

Ein anderes Ausschussmitglied merkt an, wenn man die Substanzen der Verschreibungspflicht unterstelle, blieben für die Selbstmedikation bei Schlafstörungen nur Baldrian und ähnliche Präparate, die kaum wirksam seien. Die Patienten würden dann voraussichtlich den Arzt aufsuchen und Benzodiazepine oder Z-Substanzen verschrieben bekommen. Es erscheine fraglich, ob dies die besseren Alternativen seien.

Ein weiteres Ausschussmitglied teilte die Einschätzung des BfArM, dass vorrangig die Kommunikation verbessert werden sollte und dass Patienten bei der Abgabe in der Apotheke Hinweise auf mögliche Risiken gegeben werden sollten. Eine Verschreibungspflicht ab 65 Jahren sei eine Ausnahmeregelung in der AMVV, die Altersgrenze sei zudem nicht belegt.

Ein Sachverständiger merkte an, dass die Umsetzung einer Verschreibungspflicht nur für die Altersgruppe ab 65 Jahren in der Praxis schwer vorstellbar sei. Ältere Patienten könnten sich bevormundet fühlen. Sofern die Selbstmedikation eingeschränkt werden solle, müsste eine Verschreibungspflicht für alle Altersgruppen erwogen werden.

Auf praktische Umsetzungsprobleme wiesen zwei weitere Experten hin, insbesondere sei die Umsetzung im Versandhandel problematisch.

Ein Ausschussmitglied gab zu bedenken, dass ein wesentlicher Punkt die Polypharmazie bei alten Menschen sei: Patienten nähmen neben Diphenhydramin gegebenenfalls eine Vielzahl weiterer Medikamente. Insbesondere zu Wechselwirkungen fehlten aber aussagefähige Daten und Studien. Ein weiteres Problem sei, dass die Exposition bei älteren Patienten nicht bekannt sei.

Ein anderes Ausschussmitglied berichtete von Überlegungen der Hersteller, wie eine Verbesserung der Datenlage möglich sei. Ein Unternehmen hätte einen Studienansatz über eine webbasierte Abfrage bei Ärzten verfolgt. Der Sachverständige stellte einige erste Ergebnisse der Untersuchung vor, die aber von einem anderen Ausschussmitglied aufgrund der sehr geringen Rücklaufquote und der Qualität der Studie als nicht belastbar und nicht zur weiteren Diskussion geeignet kritisiert wurden.

Ein Ausschussmitglied führte aus, das unklar sei, wie häufig die Substanzen auf grünen Rezepten verordnet und wie viele ohne solche Verordnung erworben würden. Für eine Entscheidung wäre es wichtig, solche Daten zu erheben.

Keine Lösung sind derzeit europäische oder nationale Initiativen zum Thema Alterspharmakologie: Laut BfArM gibt es war Diskussionen zum Thema Arzneimittel bei Älteren auf europäischer Ebene; allerdings sei die Verkaufsabgrenzung dabei kein Aspekt, da diese für national zugelassene Arzneimittel national geregelt werden würde. Das BMG führte aus, dass es den Aktionsplan Arzneimitteltherapiesicherheit gebe, bei dem zwar auch die Arzneimitteltherapiesicherheit bei älteren Patienten ein Thema sei. Allerdings werde dieser derzeit für die Jahre 2020 bis 2023 neu konzipiert.

Abstimmung

Auch wenn sowohl die Spontanberichte als auch die Studiendaten als problematisch angesehen wurden, stimmten die Experten am Ende mehrheitlich für den Rx-Switch. Da eine Änderung der Situation bei dieser alten Substanz nicht zu erwarten sei, müssten die vorhandenen Daten als Grundlage der Bewertung genutzt werden, hieß es. Neben den möglichen sturzassoziierten Nebenwirkungen seien insbesondere die möglichen neurokognitiven Effekte problematisch. Der Ausschuss bewertete die Evidenzlage basierend auf dem Nebenwirkungsspektrum, der Beers-Liste und weiterer, ähnlich gelagerter Listen sowie den Hinweisen aus der Literatur mehrheitlich als ausreichend, um ein Risiko für Patienten über 65 Jahren zu postulieren und die Einführung einer Rezeptpflicht zu empfehlen.

Einschätzung des BMG

Das BMG prüft laut einem Sprecher derzeit die Umsetzung dieser Empfehlung. „Die Voten der Sachverständigenausschüsse nach § 53 AMG (Verschreibungspflicht und Apothekenpflicht) sind für das BMG nicht bindend.“

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