Streit um Priorisierung

Krebspatientin klagt auf Corona-Impfung

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Berlin -

Angesichts des fehlenden Impfstoffs wird es noch Monate dauern, bis die breite Bevölkerung gegen das Coronavirus geimpft werden kann. Die Impfverordnung gibt nur größere Gruppen vor, die Vorrang haben sollen. Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat zuletzt Einzelfallentscheidungen durch den Arzt empfohlen. Patienten mit lebensbedrohlichen Krankheiten fühlen sich alleine gelassen und klagen – zum Teil mit Erfolg.

In Hamburg hatte eine Krebspatientin ein Eilverfahren angestrengt, um die Schutzimpfung unverzüglich verabreicht zu bekommen. Bei ihr war kurz zuvor ein Tumor diagnostiziert worden. Aufgrund der Erkrankung und ihres Lebensalters fällt die Antragstellerin eigentlich erst in die dritte Personengruppe, noch Wochen oder gar Monate hätte sie nicht mit einer Schutzimpfung rechnen können – jedenfalls sicher nicht vor dem Operationstermin und Beginn der Chemotherapie.

Ärzte hatten ihr empfohlen, die Impfung vor der Operation durchführen zu lassen, solange das Immunsystem noch nicht durch die Krebstherapie geschwächt sei. Da sie vorübergehend durch die Therapie besonders anfällig und hilfsbedürftig sein werde, bestehe im Fall einer Infektion ein signifikant erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf. Dieses könnte durch die Schutzimpfung minimiert oder ausgeschlossen werden. Angesichts der zeitlichen Komponente gebiete das grundgesetzlich verankerte Recht auf Leben einen Anspruch auf die erste Schutzimpfung, eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren könne aus den genannten Gründen auch nicht abgewartet werden.

Die Stadt Hamburg beantragte zunächst die Ablehnung des Anspruchs, stimmte aber, nachdem das Gericht auf das Fehlen einer Härtefallregelung hingewiesen hatte, doch noch einer vorgezogenen Schutzimpfung zu.

Laut Rechtsanwalt Jascha Arif, der den Fall begleitet hat, verstoßen die „statischen unausgewogenen Priorisierungsvorgaben ohne Berücksichtigung von Einzel- und Härtefällen“ gegen das Grundgesetz. „Es bedarf einer Härtefallregelung, welche die Berücksichtigung exponierter Vulnerabilität ermöglicht.“ Die Lage besonders gefährdeter Personengruppen wie Krebspatienten wurde zwar nach seiner Ansicht von den Experten erkannt, aber nicht im Verordnungstext berücksichtigt. „Gegenwärtig werden die Impfziele – die Mortalität und Morbidität mit dem bestmöglichen Nutzen zu beeinflussen – nicht erreicht. Der Gesetzgeber sollte umgehend nachbessern und Betroffene nicht weiter dahintreiben, vor den Verwaltungsgerichten – potentiell Leben rettende – einstweilige Anordnung beantragen zu müssen.“ Auch ihn erreichten Anfragen von schwerstkranken verzweifelten Menschen. „Es ist wirklich beklagenswert.“

Noch ist anscheinend nicht einmal einheitlich geklärt, wo die Betroffenen klagen müssen: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte in dieser Woche entschieden, dass die Kreise und kreisfreien Städte für die Terminvergabe in Impfzentren verantwortlich seien und nicht das Land als Aufsichtsbehörde. „Ein etwaiger Anspruch ist gegenüber der örtlich zuständigen Gesundheitsbehörde zu verfolgen.“ Ihr obliege insbesondere die Entscheidung über die Impfberechtigung im Einzelfall. Sie müsste klären, ob Personen über die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission hinaus einen Anspruch auf vorrangige Impfung hätten und ob im Hinblick auf bislang nicht berücksichtigte Vorerkrankungen eine Einzelfallentscheidung über die Regelungen der Coronavirus-Impfverordnung hinaus zu ermöglichen seien.

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