Tschernobyl-Opfer

Apotheker für die Kinder von Kiew

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Berlin -

Fast 30 Jahre ist es her, dass im Block 4 des Kernkraftwerks Tschernobyl der Reaktor explodierte. Die Folgen sind in der Ukraine noch heute zu spüren. Der Apotheker Thomas Harms aus Weil am Rhein setzt sich mit dem Verein Kinderhilfe Kiew (KiHev) für Kinder ein, die von den Strahlenschäden betroffen sind. Für sein Engagement wird er nun von Bundespräsident Joachim Gauck geehrt.

Den Verein KiHev gibt es bereits seit 1992. „Wir haben das Leid und Elend gesehen“, erzählt Harms. „Am Anfang haben noch viele Hilfsorganisationen geholfen – doch nach einer Weile hat das nachgelassen.“ Harms selbst hat die Leitung des Vereins kurz nach dessen Gründung übernommen. Seitdem organisiert er Spenden und reist mindestens zweimal im Jahr nach Kiew und besucht das dortige staatliche Forschungszentrum für Strahlenmedizin.

KiHev hat maßgeblich zum Aufbau von mehreren Kinderabteilungen in dem Zentrum beigetragen. „Das ist ein Projekt, das nie endet“, sagt Harms. „Inzwischen werden in dem Krankenhaus Strahlenschäden in zweiter oder sogar dritter Generation behandelt.“ Das Problem aus seiner Sicht: Nach wie vor leben Menschen in der Region um das Kernkraftwerk Tschernobyl, sie essen Nahrungsmittel von dort oder leiden unter geerbten Strahlenschäden.

In Deutschland organisiert KiHev sehr erfolgreich Spenden für die Kinder in Kiew. Jedes Jahr kommen laut Harms zwischen 10.000 und 15.000 Euro zusammen, manchmal sogar 20.000 Euro. Die rund zehn Vereinsmitglieder sind kreativ: Sie veranstalten Benefizkonzerte, organisieren Sachspenden aus Supermärkten, sammeln alte Laborgeräte von Unternehmen ein und kooperieren mit anderen Hilfsorganisationen.

Wenn Harms große Spenden erhält, etwa drei Tonnen Zucker, 500 Jeans oder 2000 Beutel mit Dingen des täglichen Bedarfs, gibt er einen Teil an andere Organisationen weiter – im Gegenzug transportieren sie die Produkte zum Strahlenforschungszentrum nach Kiew. Harms ist inzwischen gut vernetzt.

Ein Supermarkt im Ort verkaufte im November Beutel mit Nudeln, Waschpulver, Zahnpasta und vielem mehr für zehn Euro, legte selbst fünf Euro dazu und spendete auf diese Weise insgesamt 2000 Taschen an die Ukraine. 200 gingen an das Strahlenforschungszentrum. Das Schweizer Labor Viollier spendete Laborgeräte im Wert von mehreren Zehntausend Franken, als es sich eine neue Einrichtung zulegte.

Harms berichtet aber auch von vielen privaten Spenden: Zu Weihnachten käme etwa immer ein Motorradclub mit verkleideten Harleys an der Apotheke vorbei und liefere eine Spende ab. Ein Spender aus Frankreich sammele Münzen und gebe regelmäßig einen großen Beutel Euros ab. Ein anderer überweise jeden Monat 25 Euro. Durch viele kleine Beiträge kämen große Summen zusammen, freut sich der Apotheker.

Harms sammelt in seiner Apotheke am Rathaus. Wenn er Blutzucker- oder Blutdrucktests durchführt, gibt er die Einnahmen an KiHev. Außerdem stehen Sammelbüchsen am HV-Tisch. Der Apotheker spendet selbst nicht nur seine Zeit, sondern auch Geld und Arzneimittel. Seine Reisen in die Ukraine finanziert er nicht aus den gesammelten Geldern, sondern selbst.

Die Produkte in die Ukraine zu bringen ist allerdings nicht ganz einfach – die Einfuhr von Arzneimitteln beispielsweise ist verboten. Harms hat inzwischen Mittel und Wege gefunden, um dennoch bei jedem Flug drei bis vier Taschen voller Medikamente mitzunehmen.

Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland mache den Krankenhausmitarbeitern in Kiew das Leben nicht leichter, berichtet Harms. Sie müssten nun auch Geschädigte aus der Ostukraine behandeln. Außerdem sei die Versorgung mit Dingen des täglichen Bedarfs schwierig: „Wie hier jeden Morgen die Börsenwerte berichtet werden, sind es in der Ukraine die Lebensmittelpreise“, so Harms. Durch den Verfall werde alles teurer – und umso nötiger seien Spenden.

Er arbeitet eng mit den Krankenhausmitarbeitern zusammen, die ihm mitteilen, was benötigt wird. Wird ein Laborgerät gebraucht, recherchieren die Mitarbeiter die günstigste Bezugsmöglichkeit – KiHev finanziert es dann.

Mit den Spenden können die Mitarbeiter des Strahlenforschungszentrums nicht nur die betroffenen Kinder behandeln, sondern auch die Folgen des GAU untersuchen. Jedes Jahr werden ein bis zwei LKW in die Ukraine geschickt. KiHev liefert nicht nur Laborgeräte für die Diagnose und die damit verbundene bessere Therapie, sondern auch Kleidung, Spielzeug und Süßigkeiten für die Kinder.

Am kommenden Freitag ist Harms ins Schloss Bellevue eingeladen. Bei dem jährlich stattfindenden Bürgerfest würdigt Bundespräsident Joachim Gauck Menschen, die sich in besonderer Weise für andere Menschen oder gesellschaftliche Anliegen einsetzen.

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