Preisverfall bei Blüten und Extrakten

Cannabis-Rabattverträge: Diesmal sind die Ärzte unter Druck

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Berlin -

Was passiert eigentlich gerade im Cannabismarkt? Da sind sich auch viele Experten unsicher: Die steigende Zahl an Rabattverträgen bringt Unruhe in die Branche und erzeugt viele Fragen – nicht zuletzt, weil Uneinigkeit herrscht, ob es sich überhaupt um Rabattverträge im rechtlichen Sinne handelt. Immerhin: Bisher scheint die Arbeit in den Apotheken nicht betroffen zu sein. Diesmal dürfen sich wohl die Ärzte mit den Kassen herumschlagen.

Die Preise für medizinisches Cannabis könnten in naher Zukunft immer weiter fallen, getrieben durch Rabattverträge. Das kennt man bereits vom Generikamarkt – mit einem erheblichen Unterschied: Diesmal waren es die Anbieter, von denen die Initiative ausging. Die ersten Rabattverträge hatten Adrex, Cannamedical und Remexian Ende 2021 mit dem Kassendienstleister GWQ geschlossen. Welches Interesse könnten sie haben, die Preise zu drücken? Ein Erklärungsansatz könnte die Konsolidierung des Marktes sein: Die Zahl der Importeure und Großhändler ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, selbst Branchenkennern fällt es oft schwer, den Überblick zu behalten. Dabei ist die Zahl der Anbieter nicht nur stärker gewachsen als die der Abnehmer, sondern auch stärker als die der verfügbaren Menge.

Das Beispiel Bedrocan verdeutlicht das: 2,5 Tonnen exportiert der für die hiesige Versorgung wichtigste Hersteller über die niederländische Cannabisagentur jährlich nach Deutschland. Während diese Menge gleichbleibt, steigt die Zahl der beziehenden Großhändler kontinuierlich. Allein bis Mitte vergangenen Jahres ist die verfügbare Menge pro Großhändler und Jahr deshalb laut Cannamedical-Geschäftsführer David Henn von 40 auf 5 Kilogramm gefallen. Eigentlich ergibt es wenig Sinn, dann noch die Preise zu drücken. Doch da die Zahl der Anbieter stärker wächst als die abgenommene Menge, scheinen viele im Markt zu versuchen, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Verträge mit den Kassen scheinen da eine gute Möglichkeit, sich strategisch sicher zu positionieren. Aber das könnte ein Trugschluss sein.

„Es gab hier einige Marktteilnehmer, die dachten, sie könnten dadurch einen Vorteil erlangen. Ich sehe das als Zeichen der Unerfahrenheit der Branche“, sagt Jan Witte, Arzt, Cannabis-Experte und ehemaliger Medical Director von Aphria und der Sanity Group. „Mit einem guten Verständnis von Market Access hätte man erst einmal juristisch geprüft, ob das überhaupt geht.“ Denn darüber herrscht Uneinigkeit. Fakt ist, dass §130a Abs. 8 SGB V von Herstellerrabatten auf Arzneimittel spricht – Cannabis ist aber juristisch gesehen kein Arzneimittel, sondern eine Rezeptursubstanz. Adrex-Geschäftsführer Mario Eimuth sieht diese Unterscheidung nicht: „Die meisten Rezepturarzneimittel sind einfach nicht relevant für Rabattverträge, weil sie nicht in der entsprechenden Menge benötigt werden. Das ist bei Cannabis anders“, sagt er. Witte widerspricht ihm da.

„Dass im SGB V nur Fertigarzneimittel gemeint sind, erkennt man schon daran, dass damals eine Gesetzesänderung notwendig war, um Parenteralia in der Onkologie aufzunehmen. Eigentlich wäre also auch jetzt eine Änderung des Sozialgesetzbuchs notwendig“, so Witte. Tatsächlich wurde dafür speziell der Folgeabsatz 130a Abs. 8a SGB V ins Gesetz geschrieben, der explizit die „in Apotheken hergestellten parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln in der Onkologie zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung bei Patienten“ miteinbezieht. Die rechtliche Grundlage ist also durchaus angreifbar. Und es gibt gute Gründe, sie anzugreifen.

„Rabattverträge sind ganz klar für Generika gedacht und Cannabis fällt schon deshalb nicht darunter, weil es nicht so einfach austauschbar ist“, sagt Witte. „Patienten merken sehr wohl Unterschiede in der Wirkung zwischen zwei verschiedenen Cannabissorten mit gleichem THC- und CBD-Gehalt, schon allein wegen des Terpenprofils. Es wurde schlicht niemals wissenschaftlich untersucht, ob man da austauschen kann.“ Dabei – auch das deutet darauf hin, dass es sich nicht um „echte“ Rabattverträge handelt – erfolgt der Austausch des verordneten Arzneimittels bei Cannabis gar nicht am HV. „Wir tauschen nicht in dem Sinne aus, das machen die Ärzte“, sagt Melanie Dolfen, die mit ihren Bezirks-Apotheken die wichtigste Cannabis-Versorgerin in Berlin ist. „Die sehen in ihrem Praxisverwaltungssystem, mit welchen Anbietern die Kasse des Patienten Verträge hat, und schreiben dann nur noch bestimmte Sorten auf. Und die Patienten machen im Zweifelsfall lange Gesichter.“

Denn neben dem Genehmigungsvorbehalt der Kassen sind die sogenannten Rabattverträge der nächste Eingriff in die ärztliche Therapiehoheit: Faktoren wie die Verträglichkeit treten hinter das Wirtschaftlichkeitsgebot zurück, wenn ein Arzt nicht mehr verschiedene Sorten mit dem Patienten durchprobieren kann, sondern von vornherein vertraglich festgelegt ist. „Und wenn der Arzt keine Sorte eines Anbieters verschreibt, der auf der Payroll der jeweiligen Kasse ist, dann kann es theoretisch sein, dass er von der Kasse in Regress genommen wird. So gesehen werden diesmal die Ärzte geknebelt.“

Verlierer zugunsten der Kassen könnten also diesmal Patienten und Ärzte sein, nicht die Apotheken. Das neue Konstrukt könnte mittelfristig aber durchaus auch auf die Hersteller zurückfallen, die es aus der Taufe gehoben haben. Denn die Preisspirale im Cannabismarkt dreht sich ohnehin seit langem nach unten, mit den Rabattverträgen dürfte sich das beschleunigen. Eine vertrauliche Aufstellung zu den bisher geschlossenen Verträgen, die APOTHEKE ADHOC vorliegt, verdeutlicht das: Demnach bewegt sich der Gesamtrabatt der bisherigen Vereinbarungen in einem Fenster von 20 bis 35 Prozent, wobei der Durchschnitt eher gegen 30 Prozent tendiert. Blüten werden dabei teilweise für 2 Euro je Gramm und Extrakte für 1,80 Euro je Milliliter abgegeben. Sie bewegen sich dabei auf dem Niveau der 2,30 Euro, die ein Gramm des im Auftrag des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) kostet – eine Summe, die von Fachleuten als unmöglich kostendeckend angesehen wird. Bei den drei Herstellern im BfArM-Auftrag, also Aphria/ Tilray, Aurora und Demecan, könnte immerhin noch das Argument gelten, dass es sich um ein strategisches Investment handelt. Aber für einen unabhängigen Großhändler?

Das deckt sich mit Wittes Ansicht: Er glaubt, dass sich manche Marktteilnehmer einfach verkalkuliert haben könnten. Dafür spreche auch, dass die größeren Anbieter bisher größtenteils außen vor bleiben. „Da herrscht gerade viel Panik. Die etablierteren Player wissen, dass das ein Lose-Lose-Geschäft ist, und schauen sich das jetzt erst einmal an. Firmen profitieren nur selten von Rabattverträgen, außer vielleicht im Sinne der Konsolidierung, wenn dadurch Mitbewerber verschwinden“, sagt er. Natürlich sei es auch eine legitime Überlegung, so den Absatz verstetigen zu wollen. „In der Geschichte der Rabattverträge gibt es in der Preisbildung aber nur einen Weg: den nach unten.“ Deshalb sondiere der Markt gerade: Wer macht mit und wer nicht? Welche Auswirkungen zeigen die Rabattverträge? Dass es dabei durchaus große Widerstände gegen das neue Modell gibt, zeigt der Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen (BPC), der sich schon kurz nach Unterzeichnung der ersten Verträge klar gegen sie positionierte.

Ob das etwas bringt, muss sich zeigen. Denn diejenigen Anbieter, die sich mit den Kassen auf Rabatte geeinigt haben, könnten damit Pfade eingeschlagen haben, auf denen einmal mehr die Patienten auf der Strecke bleiben, warnt Witte. Denn bei einem klassischen Generikum gebe es klar definierte Qualitätsstandards, die vereinheitlicht sind. „Die Rezeptur ist mit Blick auf die Qualität aber komplizierter und es gibt einfach verschiedene Standards. Ich sehe deshalb die Gefahr, dass bei einem massiven Preiskampf die Qualität eher unter die Räder kommt, als es bei Generika der Fall ist“, sagt er. „Rabattverträge haben den Generikamarkt massiv verändert, aber das war bereits eine gewachsene Industrie, als sie eingeführt wurden. Hier haben wir es mit einer Versorgungsstruktur im Aufbau zu tun. Das ist nicht gesund für einen so jungen Markt, der sich erst konsolidiert. Es ist Öl ins Feuer der Marktkonsolidierung und viele Firmen müssen sich nun fragen, ob sich das überhaupt lohnt.“

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