Versicherte kommen nicht an die PIN

E-Rezept: Schlechte Chancen für die Gematik-App

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Für wenige zu gebrauchen: Nur eingie tausend Menschen in Deutschland können sich für die volle Nutzung der Gematik-App authentifizieren – und die AOK hat Zweifel, ob es Anfang 2022 wirklich schon ein alternatives Verfahren gibt.Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin -

Der Gematik-App sollte eigentlich eine Gatekeeper-Funktion im E-Rezept-Verkehr zukommen. Immer deutlicher zeigt sich jedoch: Nicht nur ist die App nicht notwendig, um Rezept-Token zu versenden und zu empfangen. Sie kann wohl auch auf absehbare Zeit nur von einer erschreckend kleinen Zahl Versicherter in vollem Umfang genutzt werden. Denn von den 73 Millionen gesetzlich Versicherten erfüllen bisher nur ein paar Tausend die Voraussetzung zur Authentifizierung in der App. Abhilfe soll ab Januar ein alternatives Verfahren schaffen – doch zumindest der AOK-Bundesverband zweifelt bereits an, dass die Frist gehalten werden kann.

Damit die Gematik-App in der Breite Akzeptanz findet, muss sie auch in der Breite angewendet werden. Eine Woche vor dem offiziellen Start des E-Rezepts sieht es aber absolut nicht danach aus: So können sich bisher nur rund 0,007 Prozent der 27 Millionen AOK-Versicherten in Deutschland für die volle Nutzung der App authentifizieren. „Bisher haben die AOKen knapp 2000 validierte PINs ausgegeben. Die Zahl bewegt sich damit in den Größenordnungen anderer gesetzlicher Krankenversicherungen“, erklärt der AOK-Bundesverband auf Anfrage. Tatsächlich sieht es bei anderen Kassen ähnlich aus: Einem Bericht des Handelsblatts zufolge haben DAK und Siemens BKK dieses Jahr gerade einmal 500 PINs ausgegeben, bei der Barmer mit ihren neun Millionen Versicherten gebe es „Anfragen“ im vierstelligen Bereich.

Für die absolut unzureichende Verbreitung gibt es laut AOK bisher zwei Hauptgründe. Einer ist das umständliche Verfahren: Denn die Versicherten müssen sich vor Ort mittels Personalausweis identifizieren, um die Zusendung der PIN zu beantragen. Dazu müssen sie in die lokalen Geschäftsstellen ihrer Krankenversicherungen gehen – die in den vergangenen Monaten aufgrund der Coronapandemie größtenteils geschlossen waren. Und selbst wenn sie offen sein sollten: Ein durchschnittlich interessierter Versicherter hat wenig Ansporn, den Aufwand anzugehen, wenn alle entscheidenden Informationen auch auf dem Ausdruck des Tokens zu erkennen sind – und der Token auch ohne Gematik-App gescannt und versendet werden kann. „Dieses umständliche Verfahren sorgt dafür, dass bisher nur wenige PINs für die NFC-Funktion ausgegeben wurden“, so ein AOK-Sprecher. „Hinzu kommt, dass die PIN erst mit Einführung des E-Rezepts für die Versicherten relevant wird. Aktuell kann man sie nur nutzen, um sich für die elektronische Patientenakte anzumelden, die aber noch gar nicht befüllt wird. Außerdem gibt es dafür auch ein anderes Verfahren, das voll digital abläuft.“

Für viele Kassen ist das in doppelter Hinsicht bitter: Denn einerseits setzen sie sich seit langem gegen ein mögliches Teil-Monopol der Gematik-App ein. Sie wollen stattdessen den vollen Leistungsumfang auch in ihren eigenen Apps gewährleistet sehen. So begrüße die AOK die Einführung des E-Rezepts als wichtigen Baustein für die Digitalisierung des Gesundheitswesens. „Zugleich spricht sich die AOK dafür aus, dass das E-Rezept künftig nicht nur in der E-Rezept-App der Gematik, sondern auch in den Apps und Online-Plattformen der gesetzlichen Krankenkassen angeboten werden kann.“ Mit dem Digitale Versorgungs- und Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG) habe der Gesetzgeber die Tür dafür geöffnet und solle diese Möglichkeit auch zeitnah in einer Rechtsverordnung umsetzen, so die Forderung.

Andererseits hatten speziell die AOKen eigentlich schon begonnen, ihre Versicherten für E-Rezept und elektronische Patientenakte (ePA) zu wappnen: „Wir waren in der Vergangenheit schon sehr weit und hatten 2020 rund 130.000 PINs an unsere Versicherten versendet. Allerdings wurden dann mit Einführung der ePA die rechtlichen Rahmenbedingungen geändert.“ Denn zur Einführung der ePA am 1. Januar wurden in §336 Abs. 5 SGB V verschärfte Validierungsverfahren eingeführt, um die besonders sensiblen Daten in der ePA noch besser zu schützen. „Die bereits verschickten PINs konnten nicht nachvalidiert werden. Man konnte die Versicherten ja nicht in die Geschäftsstellen bestellen“, so der AOK-Bundesverband.

An Praktikabilität wurde dabei vorerst nicht gedacht. Das sollen die Kassen selbst übernehmen: Das DVPMG verpflichtet sie, bis zum 1. Januar ein alternatives, einfacheres Verfahren zur Authentifizierung anbieten, das ohne den PIN-Versand funktioniert. „Das finden wir auch richtig, weil es den Zugang zum E-Rezept deutlich erleichtert“, sagt der AOK-Sprecher. Nur, dass es auch klappt, steht noch nicht fest: Denn die Gematik habe den Kassen die entsprechenden Vorgaben zur Ausgestaltung noch nicht zukommen lassen – sie wissen also ein halbes Jahr vor der geplanten Einführung des neuen Verfahrens noch gar nicht, wie genau das überhaupt aussehen darf, soll oder muss. „Deshalb ist es sehr sportlich, das bis Anfang 2022 einzuführen. Wir hoffen, dass wir diese Frist einhalten können. Wie dieses alternative Verfahren im Detail funktionieren wird, können wir aufgrund der weiterhin fehlenden Gematik-Vorgaben selbst noch nicht sagen, aber generell läuft alles auf ein Onlineverfahren hinaus.“

Zumindest will die AOK nicht nur parallel zur Online-Authentifizierung auch das jetzige Verfahren weiter anbieten, sondern es ihren Versicherten bis Mitte kommenden Jahres auch auf neuem Wege den Zugang zur PIN ermöglichen: „Außerdem werden wir voraussichtlich ab Mitte 2022 auch ein weiteres Verfahren ermöglichen, bei dem der Briefträger bei der Zustellung des PIN-Briefs vor Ort die Authentifizierung durchführt. Das ist ein ganz neuer Service, für den die Ausschreibungen gerade laufen.“

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