Seit zwei Jahren ist Ricarda Spielvogel Apothekerin. Am Dienstag absolvierte die 28-Jährige ihren ersten Notdienst alleine. Weil die Anrufe und Anfragen so ungewöhnlich und skurril waren, nahm sie in der Nacht ein Video über die „witzigsten Vorfälle“ auf und veröffentlichte es bei TikTok. Die Erlebnisse aus dem Apothekenalltag wurden zum TikTok-Hit und ihr mit Abstand am meisten aufgerufenes Video.
Spielvogel ist ehrlich: Natürlich beginne das Video „catchy“, sagt die Apothekerin. Aber tatsächlich spiegeln der Inhalt und der Einstieg eine Erfahrung wider, die viele Approbierte im Notdienst erleben: „Der hat sich doch nicht gerade am Telefon einen runtergeholt“, sagt die Apothekerin. Im Anschluss kündigt sie den Zuschauenden an, die Highlights ihrer Notdienst-Premiere in alleiniger Verantwortung zusammenzuschneiden und zu veröffentlichen.
Entstanden ist ein zweiminütiges Video. Es sei eine spontane Idee gewesen, sagt Spielvogel. Sie war als Vertretung in einer Berliner Apotheke gebucht. „Ich spreche gerne in die Kamera und dachte, ich erzähle einfach drauf los und nehme die Leute mit.“ Dass dabei so viel Resonanz entstanden ist, hat sie nicht erwartet. Rund 430.000 Aufrufe gab es, rund 27.000 Nutzerinnen und Nutzer gaben ein „Like“ ab. Der Beitrag wurde rund 1400-mal abgespeichert und rund 160 Menschen kommentierten das Video.
In der Nacht zu Dienstag nahm Spielvogel die Anrufe zum Anlass und erzählte drauf los. Herausgekommen ist ein Notdienst mit „typischen“ Anfragen. Ein Kunde etwa rief um 22.30 Uhr an und fragte nach Taschentüchern, am besten die der Marke „Tempo“. Auf die Frage, wie viele er benötige, antwortete er zwölf Stück. Die Apothekerin konnte ihm jedoch nur eine Zehner- oder 20er-Packung anbieten. „Was du damit vorhast, will ich nicht wissen“, sagt sie im Video.
Dann kam der „Oberknaller“, wie sie sagt. Ein Mann habe angerufen und gesagt, er hätte vor sieben Stunden eine Viagra genommen und seit mehr als zwei Stunden eine Erektion. „Es wäre alles angeschwollen und würde sich komisch anfühlen.“ Sie habe ihn ans Krankenhaus verwiesen. „Boah, ich kann nicht mehr.“
Nach einem Schnitt geht es weiter mit dem nächsten Morgen. Spielvogel berichtet, dass um 2 Uhr nachts noch jemand gekommen sei, dreimal hintereinander, um Coffeinpulver und Basenpulver zu kaufen. Angeblich zu Studienzwecken. Das Basenpulver habe er beim dritten Besuch wieder zurückgegeben. „Da legt man sich hin, um zu schlafen und es klingelt. Ich habe gewusst, dass er es ist“, sagt sie.
Besonders der Hinweis auf die Belästigung im Notdienst liegt ihr am Herzen. In den Kommentaren hätten viele den Anruf mit dem vermeintlichen Viagra-Nutzer abgetan und andere geschrieben, dass auch ihnen so etwas schon passiert ist. „Ich finde, das ist kein normaler ‚0815-Scam‘“, betont sie. „Ich konnte den Anruf gut wegstecken, auch wenn er mich ein bisschen aufgewühlt hat. Aber was ist mit anderen? Das bringt mich zum Nachdenken und sollte nicht normalisiert werden.“ Am Anfang habe sie noch gedacht, es handele es ich um einen echten „Notruf“.
Generell macht sie die Arbeit in der Apotheke gerne, insbesondere wegen des Kundenkontakts. Solche Begegnungen im Notdienst lassen sie nicht am Beruf zweifeln. „Es gibt überall komische Menschen. Der Notdienst ist wichtig, weil er eine niedrigschwellige Anlaufstelle darstellt, dafür sind Apotheken da.“
@missredriya 12h in Berlin