Acht Stunden im Handverkauf können zermürben. Denn viele Fachkräfte bekommen immer wieder verbale Ausbrüche der Kundschaft zu spüren. Auch in der Schmetterling-Apotheke von Uta Mühle wird es manchmal laut. „Die Zündschnur ist bei manchen so kurz, selbst bei Kunden, wo noch vor Jahren alles anders war.“ Die Inhaberin hat eine Erklärung für die Pöbeleien und klare Anweisungen für ihr Team.
Mühle betreibt zwei Apotheken und beobachtet die Entwicklung der Gemütslage ihrer Kundschaft. Seit Corona geht es mit dem Benehmen bergab. „Die Menschen gehen sehr schnell in Konfrontation“, sagt sie. Etwa wenn es einen Rabattvertragswechsel und eine andere Packung gebe oder ein Engpass vorliege. „Ich vermisse die Dankbarkeit, dass es überhaupt Medikamente gibt. Die Erwartungshaltung ist so hoch.“
Die Stadt-Apotheke in Gotha sei häufiger von solchen Ausbrüchen betroffen als die Landapotheke, sagt Mühle. „Jeder zweite Kunde, dem wir etwas wegen Rabattverträgen oder Engpässen erzählen müssen, rastet aus. Das Pöbeln hat so zugenommen, genau wie das Anspruchsdenken.“ Aber letztlich gebe es doch in den allermeisten Fällen Arzneimittel, betont sie. „Es ist doch fast alles noch therapierbar. Wie viele Länder gibt es da im Vergleich, die gar nichts bekommen.“
Wir haben die Kunden über Jahre hinweg wie selbstverständlich verwöhnt.
Mit den digitalen Verordnungen sei die Kommunikation mit der Kundschaft nicht leichter geworden. „In Zeiten des E-Rezeptes können wir oft nicht heilen. Es geht dann nur, die Verordnung ganz herauszunehmen und nicht wie früher, dass man mit einem Anruf in der Praxis etwas ändert. Wir haben die Kunden über Jahre hinweg wie selbstverständlich verwöhnt.“ Deshalb verstünden heute viele nicht, warum es nicht mehr ginge. Auch systemische Feinheiten wie Reimporte sind der breiten Masse nicht verständlich; hierzu hatte Mühle zuletzt einen besonders heftigen Vorfall.
Erklärungen nützten nur wenig, sagt sie. „Heute wird wegen vielen Dingen gemeckert. Klar, vieles ist unerfreulich, aber prozentual hat die Zahl der Menschen, die gleich rumschreien und so tun, als wären wir schuld, nach Corona stark zugenommen.“ Die Kunden, die schnell laut würden, seien ein Querschnitt der Gesellschaft: junge und alte Menschen aller Nationalitäten.
Für ihr Team hat Mühle, die auch Kommunikationstrainerin ist, klare Vorgaben: „Die Körperspannung darf nicht weggehen. Das spürt das Gegenüber und rastet richtig aus. Lieber ein Stück zurückgehen und sich aufrichten.“ Die Angestellten hätten die Freiheit, die Kundschaft aus der Apotheke zu werfen. „Sie sollen sagen, dass sie den Betrieb verlassen dürfen, wenn sie sich nicht benehmen können.“
Um ihre Angestellten zu schützen, fragt sie auch regelmäßig, wer eine Auszeit vom HV-Bereich benötige und lieber in die Rezeptur oder in das Backoffice wechseln möchte. „Wer am bedürftigsten ist, darf raus aus dem Kundenbetrieb, um Luft zu holen.“ Wegen der zunehmenden Verrohung der Kundschaft habe sie bereits Angestellte verloren. Darunter seien Mitarbeitende gewesen, die die Arbeit in der Apotheke eigentlich immer geliebt hätten.
Die Erwartung an die Kundschaft sei im Team relativ gering. „Da geht es nicht um Wertschätzung, wir machen es nicht deshalb, weil wir etwas erwarten, sondern weil wir optimal versorgen wollen. Man freut sich schon über jeden Kunden, der nicht pöbelt.“