„Wir als Gesellschaft müssen profitieren“

Ausländische PTA: So funktioniert Integration

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Berlin -

PTA-Ausbildungen sind im internationalen Vergleich sehr unterschiedlich. Damit geflüchtete oder zugewanderte Kolleg:innen in ihrem Beruf arbeiten können, müssen sie eine sogenannte Anpassungsmaßnahme besuchen. Um die Vorgaben erfolgreich umzusetzen, braucht es allerdings nicht nur eine angemessene, akkreditierte Form, sondern auch Engagement, Kreativität und eine ständige Anpassung des pädagogischen Konzeptes. Wie das erfolgreich funktionieren kann, zeigt die Völker-Schule in Osnabrück.

Einzelfälle von ausländischen Fachkräften mit Ausbildungswunsch gab es bereits in den 90er-Jahren, erklärt Schulleiter Burkhard Pölzing. 2016/17 kamen erstmals in größerer Zahl Geflüchtete ohne pharmazeutische Vorausbildung an die Völker-Schule, um PTA zu werden. Im Grunde waren sie wegen des Fachkräftemangels sehr willkommen, jedoch gab es keine ausgefeilten Konzepte. Das musste sich dringend ändern, denn: Aus ein oder zwei Schüler:innen pro Jahr war durch die Krise plötzlich eine ganze Klasse geworden.

Aus der Not eine Tugend machen

Die Völker-Schule ließ – nach Abstimmung mit der zuständigen Schulbehörde und dem Kultusministerium – den größten Teil der Klasse das erste Schuljahr wiederholen. Diese Notlösung war von Erfolg gekrönt. Zwar konnten die ausländischen Auszubildenden vielleicht 40 Prozent der Fachinhalte aufnehmen; zu wenig natürlich, um versetzt zu werden. Aber die ehrgeizigen Schüler:innen besserten ihre Deutschkenntnisse auf. Sie wiederholten das erste Ausbildungsjahr und wurden daraufhin allesamt versetzt. Im zweiten Jahr der Ausbildung konnten sie dann auf die weiteren Klassen der Schule verteilt und dort gut integriert werden.

Durch dieses Projekt sammelte die Schule erste Erfahrungen mit der Umsetzung eines echten Lehrkonzepts für Geflüchtete und Zugewanderte. Schließlich mussten sich nicht nur die Schüler:innen, sondern auch Lehrenden auf die neue Situation einstellen. Heute wird im Bewerbungsgespräch entschieden, ob eine Person für eine Voll- oder Teilzeitausbildung zur PTA geeignet ist. Besteht, beispielsweise durch fehlende Sprachkenntnisse, keine Aussicht auf einen erfolgreichen Berufsabschluss, wird sie erst einmal abgelehnt. Durch absolvierte Sprachkurse steht einer erneuten Bewerbung im Folgejahr nichts entgegen. Bei diesem Prozess ist die Schule behilflich.

Entwicklung eines neuen Lehrkonzepts

Aus dieser Erfahrung heraus entstand auch die Idee, ein eigenes Lehrkonzept für bereits im Ausland ausgebildete Pharmazeut:innen zu entwickeln. Diese sollten zukünftig gezielt an der Völker-Schule anhand der hier geltenden Ausbildungsverordnung für den deutschen Arbeitsmarkt qualifiziert werden. Nach intensiven Gesprächen und Recherchen stellte sich heraus, dass „Blended Learning“ – eine Kombination aus Präsenz- und Online-Unterricht – die richtige Lehrform für das zukünftige Format sein sollte. In Präsenz gab es nicht genügend Schüler:innen für einen qualifizierten Unterricht, die Gruppen mussten folglich größer werden. Deshalb entschied man sich dazu, das Konzept weiterzuentwickeln und bundesweit zu öffnen.

Es brauche viel Beratungsarbeit und Fingerspitzengefühl beim digitalen Onboarding, denn: Ein gegenseitiges Kennenlernen ist hier Pflicht. Sowohl die Schule als auch die potenziellen Auszubildenden müssen sich den Lehrgang miteinander vorstellen können. „Lieber anfangs mehr beraten und später bessere Ergebnisse haben, das zahlt sich am Ende immer für beide Seiten aus“, weiß Pölzing. Aktiv beworben werden muss das Schulkonzept nicht: Personalagenturen und Apotheken leisten hierbei Unterstützung. Sie bringen ihre Schützlinge mit der Schule in Kontakt. Zudem sind sie beim Onboarding-Prozess involviert.

Das Projekt ist mittlerweile informell so bekannt, dass es zum Selbstläufer geworden ist. Und das zahlt sich aus: Seit der Etablierung des Lehrgangs 2020 liegt die Erfolgsquote bei 98 Prozent. Konkret heißt das: Bereits 51 Absolvent:innen haben die Anerkennungsprüfung erfolgreich abgelegt. Eines von vielen Konzepten, das dem pharmazeutischen Fachkräftemangel die Stirn bieten will, denn „Die Apotheke vor Ort muss gestärkt werden.“

Der Ausbildungsablauf

Viermal je eine Woche ihres Vorbereitungskurses verbringen die Schüler:innen in Osnabrück, um sich auf die Abschlussprüfung vorzubereiten. Untergebracht werden sie in Hotels, durch Fördermittel finanziert. Das gilt auch für die digitalen Leihgeräte, mit denen die Lernenden von zu Hause aus am Kurs teilnehmen können. Der elfmonatige Vorbereitungskurs unterliegt den regulären Schulferien. In denen geht es für die Anwärter:innen für drei Wochen in die Apothekenpraxis. Das geht vor allem in der Nähe des Wohnorts gut. Die letzte Woche des Anerkennungslehrgangs findet dann wieder in Osnabrück statt. Die einzelnen Bundesländer delegieren die Prüfung nach Niedersachsen für die staatliche Eignungs- und Kenntnisprüfung. Diese besteht aus einem mündlichen und einem praktischen Teil. „Das ist nicht geschenkt, sondern ein hartes Stück Arbeit!“, erklärt Pölzing.

Rücksichtnahme auf die individuelle Lebenssituation

Heute büffeln pro Kurs 14 Schüler:innen mit einem Arbeitspensum von 32 Wochenstunden über das gesamte Bundesgebiet verteilt an ihren Laptops. Die Altersspanne reicht von 30 bis 45, manchmal sind auch ältere Lernende mit dabei. Die Herkunftsländer haben sich vom anfänglich arabischen Raum – Syrien, Irak – mittlerweile Richtung Balkan – Serbien, Bosnien, Polen und weitere osteuropäische Staaten – verlagert. Der Anteil junger Männer ist – aufgrund des Status als Weißkittelberuf – etwas höher als in der regulären PTA-Ausbildung. Apotheken haben im Ausland oftmals einen anderen Stellenwert als in Deutschland, berichten die Schüler:innen. Durch die Zertifizierung des Kurses werden die Kursgebühren sowie Hotel- und Reisekosten durch Jobcenter und die Agentur für Arbeit getragen.

Das Konzept geht auf und lässt sich gut mit der eigenen Familie oder Nebenjobs vereinbaren, „Wir nehmen Rücksicht auf die Lebenssituation“ erklärt Pölzing. Anders ginge es nicht, dafür seien die jeweiligen Lebensumstände viel zu individuell.

Es geht schließlich nicht darum, Leute irgendwie auszubilden. Die Ausbildung soll für beide Seiten erfolgreich sein. Wir als Gesellschaft müssen profitieren!

„Diversität gewinnt“

Mittlerweile ist das Schulkonzept so erfolgreich, dass die Ausbildungskapazitäten verdoppelt wurden. Das funktioniert nur mit dem passenden Team und entsprechenden „Connections“, wie Pölzing es nennt: „Das entwickelt sich.“

Davon profitieren alle Beteiligten: Die Schule gewinnt durch ein prozessoptimiertes, ausgeklügeltes und effektives System, das passgenau in den Schulalltag integriert ist. Die Schüler:innen haben bei dem Lehrmodell den Vorteil, nebenerwerbs- und familienfreundlich eine Qualifikation erwerben zu können. Die Vor-Ort-Apotheken kommen durch Praktika und Nebenjobs der Lernenenden frühzeitig und niedrigschwellig an neue Mitarbeitende. Nicht zuletzt steigt die Beratungskompetenz einer Apotheke durch fremdsprachige Mitarbeitende, die ausländische Kundschaftin deren Muttersprache beraten können. „Diversität gewinnt“ findet Pölzing.

Das Projekt ist in diesem Jahr mit dem Apostart-Award und dem Osnabrücker Wirtschaftspreis ausgezeichnet worden.

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