Großbritannien

Boots-Apotheker: Enttäuscht, müde und gestresst

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Berlin -

Nachdem der „Guardian“ über die Ausbeutung von Mitarbeitern bei der Drogerie- und Apothekenkette Boots berichtete, meldeten sich Angestellte und ehemalige Mitarbeiter bei der Zeitung. Eine solche Resonanz gab es nach Angaben des Blattes noch nie. Die meist anonymen Leserbriefe bestätigen die Geschäftspraktiken, wie der Guardian nun erneut berichtet.

Die Insider üben heftige Kritik an Boots und den Führungskräften: Weil viele Mitarbeiter unter enormen Stress stünden, könnten sie nicht mehr schlafen, heißt es. Die Angestellten hätten Angst, Medikamente falsch abzugeben und ihren Job zu verlieren.

Ein Mitarbeiter beispielsweise schreibt, dass er die alleinige Aufsicht über die Arbeitsprozesse und Mitarbeiter in der Filiale habe. Er sei überfordert; manchmal stehe er am HV-Tisch und berate Kunden, während zeitgleich im Lager das Telefon klingele und Neubestellungen organisiert werden müssten. Zeit für eine ausführliche Beratung für den Kunden gebe es ohnehin nicht mehr.

„Profit scheint mehr zu zählen als die Gesundheit und Sicherheit der Kunden oder die Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter“, heißt es in einer weiteren E-Mail. Beschwerden würden nicht ernst genommen, eher werde man als Unruhestifter dargestellt. Das Arbeiten bei Boots mache die Menschen krank: Ein Leser hat nach eigenem Bekunden schon über Selbstmord nachgedacht. Andere frustrierte Kollegen würden ganz ähnlich denken, schreibt er.

Ein Leser hat 20 Jahre für Boots gearbeitet. Er schreibt, er habe – völlig verausgabt – an Gewicht verloren und nur mithilfe von Antidepressiva und Schlaftabletten durchgehalten. Der Schlafmangel hätte Auswirkungen auf seine tägliche Arbeitsleistung gehabt. Der stetige Druck, Ziele und Erwartungen zu erfüllen, habe ihm körperlich und emotional zugesetzt.

„Ich bin ein leidenschaftlicher Apotheker und ich liebe meinen Job. Ich liebe es, Patienten zu helfen und ihnen einen brillanten Service zu bieten. Nichtsdestotrotz, mit den anhaltenden, sich verschlimmernden und unrealistischen Budgetkürzungen kämpfen wir jeden Tag mit ausgedünnter Personaldecke ums Überleben“, schreibt ein weiterer Leser.

Einem Apotheker fiel der Wandel von Boots über die Zeit ganz besonders auf: Er habe von 1981 bis 2004 als Manager in verschiedenen Filialen gearbeitet. Seine Patienten und Angestellten hätten immer an erster Stelle gestanden – erst danach kamen kommerziele Ziele. Nach einer Unterbrechung kehrte er 2009, also zwei Jahre nach der Übernahme durch Stefano Pessina, zu Boots zurück. Er habe nur noch unqualifizierte, unzureichend gebildete und schlecht bezahlte Leiter angetroffen, die meist keine Apotheker gewesen seien.

Recherchen des Guardian hatten ergeben, dass Boots-Manager Druck auf ihre Angestellten ausüben, sogenannte „Medicine-Use-Reviews“ (MUR) durchzuführen. Pro Medikationsanalyse von Patienten mit mehreren, meist chronischen Erkrankungen können Apotheken eine Pauschale von 28 Pfund beim staatlichen Gesundheitsdienst (NHS) abrechnen.

Seit 2005 kann jede Apotheke bis zu 400 MUR pro Jahr abrechnen. Bei Boots ist diese Zahl das unumstößliche Ziel – auch wenn viele Kunden sie laut Guardian nicht benötigen. „Ich arbeite schon länger nicht mehr in der Pharmabranche“, schreibt ein Leser, „kann aber bestätigen, dass Boots aggressiv Druck auf Apotheker ausübt, um eine bestimmte Zahl an MUR am Tag zu erreichen.“

In den Jahresabschlüssen von Boots wurde gelegentlich auf diesen neuen Einnahmezweig hingewiesen. Trotz Kritik des Steuerzahlerbundes wurde das Modell 2011 sogar ausgeweitet. Boots ist die größte Apothekenkette in Großbritannien: In mehr als 2500 Filialen sind mehr als 60.000 Mitarbeiter angestellt, darunter circa 6600 Pharmazeuten.

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