Apothekerkammern dürfen kein Vermögen anhäufen; ein aktuelles Urteil bringt dazu frischen Wind in die Debatte. Aber in welchen Kammerbezirken wurden noch unzulässige Rücklagen aufgebaut? Wo drohen den Kammern Einsprüche gegen Beitragsbescheide und Rückzahlungen? Obwohl sie Körperschaften öffentlichen Rechts sind, wollen die allerwenigsten Kammern dazu Einblicke geben. So werden, wie zur Stunde in Hessen, die Mitglieder wohl selbst aktiv ihre Auskunftsrechte geltend machen müssen.
Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) hat Rücklagen aufgebaut, die sich mit fast 6 Millionen Euro auf deutlich mehr als die Hälfte des jährlichen Haushalts belaufen. Zu viel, fand das Verwaltungsgerichts Düsseldorf (VG) und hob aufgrund der Klage eines Apothekers die Beitragsbescheide für vier Jahre auf. Berufung wurde nicht zugelassen, da laut Gericht die Grundsätze zur Zulässigkeit von Haushaltsrücklagen der Kammern „in der Rechtsprechung hinreichend geklärt“ sind. Allerdings kann die Kammer noch Beschwerde einlegen. Ihr drohen nun Rückzahlungen, und die Sache ist kein Einzelfall: Mindestens drei weitere Verfahren sind alleine im Kammerbezirk anhängig. Und im Prinzip kann jedes Mitglied nun Rechtsmittel einlegen.
Bei anderen Kammern könnte es ähnlich aussehen, doch statt für Transparenz zu sorgen, werden Informationen zu Haushalten, Rücklagen und eventuellen Reaktionen auf das Urteil verweigert.
Nur eine Kammer wollte auf Nachfrage Einblick in ihre Finanzen geben. In Schleswig-Holstein hat der jährliche Haushalt laut Geschäftsführer Dr. Felix-Alexander Litty ein Volumen von etwas mehr als 2 Millionen Euro. Die Rücklagen beliefen sich Ende 2023 auf knapp 600.000 Euro – und damit auf etwas mehr als ein Viertel von Einnahmen und Ausgaben. Laut Gericht wurden in der Rechtsprechung teilweise 30 Prozent für zulässig erklärt, das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte in einem Fall 15 Prozent bestätigt.
Ganz entspannt ist man auch in Thüringen: Die Kammerversammlung habe sich seit dem Jahr 2011 dafür entschieden, Überschüsse nicht in die Rücklagen zu überführen, sondern diese, sofern sie entstanden sind, für Beitragssenkungen zu verwenden, so Geschäftsführer Danny Neidel. „Durch diese Verwendung konnte die Beitragslast der Kammermitglieder in den letzten Jahren regelmäßig reduziert werden.“
So weist die Kammer jährliche Einnahmen und Ausgaben von rund 2 Millionen Euro aus; die Sonderrücklage für die Instandhaltung des Apothekerhauses betrug rund 25.000 Euro. Laut Neidel hat die Kammer ein Eigenkapital von knapp 2 Millionen Euro – mutmaßlich durch die Immobilie.
Neidel weist noch darauf hin, dass sich die Kammerversammlung dafür ausgesprochen hat, den Kammerbeitrag künftig auf der Grundlage des Rohertrags zu erfassen und gegebenenfalls die Beitragsbemessungsgrundlage umzustellen. Daher könne derzeit nicht eingeschätzt werden, ob aufgrund des Urteils des VG Düsseldorf ein erhöhtes Risiko für Einsprüche oder Klagen besteht. „Nach unserer Auffassung gehört es zu den legitimen Mitteln unserer Kammermitglieder Rechtsmittel gegen Bescheide einzulegen, so dass mit deren Einlegung jederzeit gerechnet werden muss und uns diese auch die Gelegenheit bieten, Entscheidungen zu überprüfen.“ Vorstand, Haushaltsausschuss und folgend auch die Kammerversammlung würden sich mit dem Urteil in ihren kommenden Sitzungen auseinandersetzen.
Corina Seidel, Justiziarin der Sächsischen Landesapothekerkammer (SALK) wollte zwar keine Zahlen nennen, verriet aber, dass die Betriebsmittelrücklage im vergangenen Jahr 25 Prozent der Aufwendungen für das Wirtschaftsjahr betragen habe und daher „unserer Einschätzung nach angemessen und rechtskonform“ sei.
Die Notwendigkeit der Bildung einer Betriebsmittelrücklage sei in der Haushalts- und Kassenordnung festgelegt; sie diene der Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Kassenwirtschaft ohne Inanspruchnahme von Krediten (Kassenverstärkungsrücklage), der Finanzierung von Fehlbeträgen sowie nicht vorhersehbaren Aufwendungen oder Investitionen und der Abdeckung von Ertragsausfällen. „Die Betriebsmittelrücklage ist in der erforderlichen Höhe vorzusehen und wird jährlich neu bewertet.“
Der Haushalt und die Finanzen würden nach „ausführlicher Berichterstattung des Vorsitzenden des Finanzausschusses“ in der Kammerversammlung beschlossen und auch mit dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) besprochen. Dabei würden auch die Notwendigkeit und Angemessenheit etwaiger allgemeiner und zweckgebundener Rücklagen gemäß des relevanten Urteils des BVerwG aus dem Jahr 2015 erörtert. „Einwände seitens des SMS wurden bisher nicht geltend gemacht.“
Bei der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) sieht man laut einem Sprecher mit Blick auf das Urteil aus Düsseldorf derzeit „keinen Handlungsbedarf“. Vor gut zehn Jahren habe es insgesamt drei Klagen gegen die damals aktualisierte Beitragsordnung gegeben, die allesamt zurückgezogen beziehungsweise vom Verwaltungsgericht zurückgewiesen worden seien. „Damit sehen wir unsere Beitragsordnung als gerichtsfest an.“
Die Rücklagen der AKWL würden Jahr für Jahr im Detail spezifiziert, diese Spezifizierung im Finanzausschuss und Kammervorstand vorgelegt und dann der Kammerversammlung zur Beschlussfassung vorgelegt, zuletzt im Juni. „Es handelt sich keineswegs um eine ‚statische‘ Spezifikation, sondern um eine Vielzahl an Projekten und Vorhaben – wie zum Beispiel Rücklagen für die alle fünf Jahren stattfindenden Kammerwahlen, für IT- und Digitalisierungsprojekte, für die Förderung der PTA-Ausbildung oder für die Stiftungsprofessur der AKWL an der Universität Münster. Letztere wird Jahr für Jahr bis zum Ende des zehnjährigen Förderzeitraums abgeschmolzen.“
Zahlen nannte der Sprecher nicht.
Auch andere Kammern wollten nur formelle Auskunft geben.
„Die Kammer Berlin stellt ihren Haushalt im Einklang mit dem Landesrecht auf und bemisst dabei ihre Beiträge nach den bestehenden kammerrechtlichen Prinzipien sowie in Übereinstimmung mit der Landeshaushaltsordnung und den Vorgaben der Aufsicht“, so Berlins Kammerpräsidentin Dr. Ina Lucas. „Die Gremien beachten bei der Planung und Beschlussfassung zum Haushalt stets darüber hinaus auch kammerrechtliche Grundsätze und nehmen dabei natürlich auch Rücksicht auf einschlägige Rechtsprechung.“ Das Urteil aus Düsseldorf entfalte für die Apothekerkammer Berlin übrigens keine unmittelbare Bindungswirkung, im Übrigen sei auch noch keine Rechtskraft eingetreten.
„Grundsätzlich ist es so, dass sich bereits zahlreiche Verfahren in der Vergangenheit mit dem Thema Kammerverbeitragung befasst haben und es auch seit langem einschlägige Urteile gibt, die sich mit Fragen wie dem Äquivalenzprinzip der Beitragsgestaltung, dem Kostendeckungsprinzip oder auch Gleichbehandlungsfragen befassen“, so Lucas. „Auch im Bereich zulässiger Rücklagenbildung gibt es umfassende Rechtsprechung. Wir haben das neue Urteil daher zunächst zur Kenntnis genommen und werden es bewerten.“
In Bayern verweist man darauf, dass man „die in den einschlägigen Satzungen statuierten Informationspflichten“ erfüllt habe und keine weiteren Informationen geben könne: „Nach der Haushalts- und Kassenordnung sind der Haushaltsplan und die Jahresrechnung nach der Beschlussfassung durch die Delegiertenversammlung zwei Wochen lang jeweils Montag bis Freitag zur Einsichtnahme in der Geschäftsstelle für die Kammermitglieder auszulegen. Auf die Auslegung wird regelmäßig im Kammerrundschreiben hingewiesen.“
Jahresrechnung und Haushaltsplan könnten alle relevanten Erträge und Aufwendungen sowie Rücklagenbildung entnommen werden. „Ebenfalls in der Haushalts- und Kassenordnung ist die Prüfung durch einen Wirtschaftsprüfer vorgeschrieben. Der Prüfbericht wird allen Delegierten und dem Aufsichtsministerium vorgelegt. Eine darüber hinaus gehende Informationspflicht beziehungsweise Darlegungspflicht gegenüber anderen Institutionen beziehungsweise Organisationen besteht jedoch nicht.“
Diese Position vertritt man auch in Baden-Württemberg: „Der Haushaltsabschluss ist grundsätzlich intern und kann Ihnen daher ebenfalls nicht zur Verfügung gestellt werden.“ Zu möglichen Auswirkungen des Urteils aus Düsseldorf könne man sich nicht äußern: „Durch die fehlende Rechtskräftigkeit ist noch nicht bekannt, um welche es sich dabei handeln könnte.“
„Die zuständigen Gremien und Stellen befassen sich derzeit mit der Entscheidung und deren möglichen Auswirkungen. Eine sorgfältige Bewertung und Einordnung des Urteils steht aber noch aus“, heißt es aus Rheinland-Pfalz, ohne die gestellten Fragen nach Zahlen zu beantworten: „Wir bitten um Verständnis, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt noch keine detaillierten Auskünfte erteilen können.“
Die Kammern in Brandeburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben bislang nicht geantwortet.